Mittwoch, 28. August 2013

Die Nacht der Giraffe (2012)




DIE NACHT DER GIRAFFE
(Kebun binatang)
Indonesien/Hongkong/Deutschland 2012
Dt. Erstaufführung: 17.01.2013
Regie: Edwin

Dass das asiatische Kino für den westlichen Zuschauer einige Blicke über den Tellerrand bereit hält, hat sich inzwischen sicherlich herumgesprochen. Die Nacht der Giraffe vom unabhängigen Regisseur Edwin macht da keine Ausnahme. Es geht ihm mehr um das Assoziative, die Suggestion und das Einfangen von teils wunderschönen Impressionen als um eine nach gängigen Mustern erzählte Geschichte. Wer sich auf das Experiment einlässt, der wird hier einiges lohnenswertes finden, vorausgesetzt, man kommt in der traumartigen Atmosphäre an, die Edwin erzeugt.

Die kleine Lana wird von ihrem Vater mit drei Jahren im Zoo von Jakarta zurückgelassen. Das Kind irrt verwirrt durch den Zoo, findet emotionalen Halt bei den Tieren, vor allem der einzigen Giraffe des Parks und arbeitet als Erwachsene (Ladya Cheryl) als Pflegerin, Toilettenfrau und an den Kontrollpunkten der Fahrgeschäfte. Als ein geheimnisvoller Magier (Nicholas Saputra) in Cowboymontur im Zoo auftaucht, ist Lana so fasziniert von ihm, dass sie ihr geschütztes Refugium verlässt und als seine Assistentin arbeitet. Als auch er sie verlässt muss Lana andere Einnahmequellen in einer Welt suchen, die ihr wohl auf ewig fremd bleiben wird.

Die Nacht der Giraffe hätte auch ein heftiges Drama werden können, Elemente wie Gewalt, Prostitution und Missbrauch sind alle enthalten. Doch der Film behält stets seine sphärische Qualität. Man mag Lana als emotionslos ansehen, scheint ihr doch vor allem ihr Abstieg zur Masseuse mit sexuellen Nebendienstleistungen nicht viel auszumachen, doch vielmehr bewegt sie sich wie ein gutmütiges Tier durch die Menschenwelt, dass aber bei aller äußerlichen Ruhe stets zurück in ihr angestammtes Territorium zurückwill. Lana nimmt die Welt außerhalb des Zoos hin, doch auf die Neugierde erfolgt die Ernüchterung. Die Nacht der Giraffe ist ein Traum, ein schräges Märchen, das sich sehr bewusst einer stringenten Erzählweise entzieht. Das mag man vom dramaturgischen Standpunkt aus bemängeln – ebenso wie man sich nach dem morgendlichen Erwachsen darüber beschweren könnte, dass der gerade geträumte Traum nicht ganz realistisch war.

Die Kameraarbeit ist exzellent und die durch die Montage geschaffenen Assoziationsketten faszinierend. Oberflächlich mag der Gegensatz Zoo/umgebende Stadt als Gut/Schlecht-Schema ziemlich trivial sein, aber Edwin gelingt es, diesem Paar mehr abzugewinnen. Bei ihm ist der Zoo der Ort, an dem verschiedene Spezies zusammenkommen und gerade durch ihr Zusammenleben (im wörtlichen Sinne – viele Tierpfleger leben auch im Zoo) bekommt der Zoo eine geradezu magische, mystische Qualität; ein Garten Eden, in dem die Vielfalt Frieden schafft. Außerhalb dieser Schutzzone gibt es weder Tiere, noch interessieren sich die Menschen für sie. Wann immer Lana ansetzt, ihr zoologisches Wissen weiterzugeben, reagieren ihre Gegenüber mit Unverständnis und/oder Desinteresse. Durch diese Konzentration auf eine Spezies, die sich in ihren Widersprüchen selbst nicht versteht, entstehen nach Edwin die Konflikte und die Grausamkeiten, die er ihn seinem Film anreißt. In gewisser Weise ist Die Nacht der Giraffe ein Film über die Notwendigkeit zur Diversität über die Artengrenze hinweg für das menschliche Wohlbefinden. Nach den erlebten Enttäuschungen (fast alle von Männern begangen – eine weitere Ebene des Films) ist die Giraffe schließlich das Wesen, dass Lanas Bedürfnis nach Ruhe und Nähe entsprechen kann. Diese Ikonografie kann man naiv nennen, aber welches Märchen ist das nicht? Der Respekt vor seinen tierischen Darstellern spiegelt der Film bis in den Abspann hinein, in dem die Tiere als Darsteller mit Rollen- und „richtigem“ Namen innerhalb der Besetzungsliste genannt werden.

Die Nacht der Giraffe ist ein verschrobener, durchaus faszinierender Film. Er meditiert genauso über das Wesen des Menschen wie über den Gegensatz von Kultur und Natur, wenn er die Zootiere nebst manchmal sehr seltsam anmutenden Sekundärattraktionen oder in kitschig-künstlichen Gehegen zeigt. Die Ruhe, die er dabei ausstrahlt, ist ebenso eine Klasse für sich. Lanas Konfrontation mit einer höchst ambivalenten Welt, die ihre Wurzeln zu verlieren droht, ist für experimentierfreudige Zuschauer auf jeden Fall den einen oder anderen Blick wert.



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