DIE BUCHT – THE COVE
(The Cove)
USA 2009
Dt. Erstaufführung: 22.10.2009
Regie: Louie Psihoyos
Dt. Erstaufführung: 22.10.2009
Regie: Louie Psihoyos
Ob es den reinen Dokumentarfilm gibt oder nicht, darüber
kann man streiten. Regisseure gehen mit einer Intention an ihr Sujet heran,
auch das vermeidliche „nur beobachten wollen“ ist letztlich ein Eingriff, der
in der Postproduktion durch Schnitt und Musik und die sich dadurch ergebenden
Leerstellen (oder Implikationen) eine Wertung, eine Haltung erhält. Letztlich
kommt es auch bei Dokumentarfilm auf das Individuum an, das zuschaut. Religiöse
Menschen werden von einem Film wie Religulous
wenig amüsiert sein, Kritiker, Skeptiker und Atheisten könnten sich vor Lachen
auf dem Boden wälzen. Waffennarren werden Bowling
for Columbine nicht als klugen Versuch ansehen, den Waffenfetischismus der
USA zu erklären. Und bei Die Bucht
kommt es darauf an, ob man die Existenz einer anderen intelligenten Spezies
neben dem Menschen auf der Erde akzeptieren kann – mit all ihren ethischen und
sozialen Folgen. Die Bucht ist ein
Film mit sehr viel Haltung, mit sehr viel Meinung und sehr viel zum Denken.
Erzählt wird die Geschichte von Ric O’Barry, der dereinst
die Delphine für die TV-Serie Flipper
dressierte, im Laufe der Zeit aber seiner Arbeit mehr und mehr kritisch
gegenüberstand und heute gegen jedwede Ausbeutung der Meeressäugetiere kämpft.
Seinen größten Schlachtplatz findet er in Taiji, Japan, und das gleich in
doppelter Hinsicht. Hier werden jedes Jahr massenhaft Delphine gefangen. Einige
werden verkauft (Taiji wird als weltweit größter „Umschlagsplatz“ für Delphine
identifiziert, der Parks wie SeaWorld
und „Schwimm mit Delphinen“-Therapieprogramme beliefert), andere werden in
einer kaum einsehbaren Bucht bestialisch abgeschlachtet, ihr Fleisch verkauft,
teilweise falsch etikettiert um höhere Gewinne einzufahren. Doch damit nicht
genug: das Fleisch ist außerdem noch hoch belastet mit Umweltgiften, die durch
die Nahrungskette von den umgebenden Fabriken zuerst in den Delphinen und dann
wieder im Menschen landen. Mit Guerillataktik versuchen O’Barry und seine
Mitstreiter, die japanischen Behörden und Fischer auszutricksen und Bilder von
dem Massenmord, dem jedes Jahr 23.000 Delphine zum Opfer fallen, aufzunehmen.
Die Kameras für die Mission werden teilweise in künstlichen
Felsen versteckt, die von der renommierten Effektfirma Industrial Light & Magic hergestellt wurden. Im Delphinarium
von Taiji kann man, während man eine Delphinshow ansieht, Delphinfleisch essen.
Die Fischer sehen das Abschlachten als „pest control“ an, weil man ihnen
erzählt hat, die Delphine würden ihnen die Fische wegfressen. Die Einteilungen,
welche Walarten (und Delphine gehören zu den Walartigen) gefangen und getötet
werden dürfen, sind willkürlich und nach wirtschaftlichen Interessen ausgelegt.
Es sind all solchen Grotesken, über die man im Laufe von Die Bucht schmunzeln könnte, wenn der Film nicht so grausam und
schockierend wäre. Es wird außerdem suggeriert, dass es nicht viel Hoffnung aus
Besserung gibt, solange der Glauben von der „Krone der Schöpfung“ Mensch sich
ex- oder implizit noch in so vielen Köpfen hält. Man kann mit noch so viel
Erkenntnissen über Empfindungsfähigkeit, Spiegelkompetenz, Werkzeuggebrauch
oder Empathie bei Delphinen um sich werfen, solange beschränktes Denken,
gepaart mit wirtschaftlicher Verwertbarkeit, herrscht, werden auch in Zukunft
viele intelligente Lebewesen eben jenes Leben verlieren. Die Bucht ist ein verzweifelter Film, der sich für eine
weitreichende Ethik einsetzt; für eine Welt, die erkennt, dass man zur
Erforschung einer fremden Intelligenz nicht zwingend das Weltall absuchen muss.
„It’s all about respect, not exploitation“, sagt O’Barry an einer Stelle und
bringt es damit auf den Punkt.
Gerade in seiner Leidenschaft liegt auch seine
Angreifbarkeit. Die Bucht wurde
bereits dafür kritisiert, dass Amerikaner Japaner für Quälereien angreifen, die
in der einen oder anderen Form auch von ihnen „daheim“ begangen werden – siehe SeaWorld. Auch dass die japanische
Öffentlichkeit, die großstädterisch nichts von den Treiben in Taiji weiß,
marginalisiert wird, ist eine weniger funktionelle Entscheidung. Es gibt ein
paar kurze Interviews zu sehen und am Ende steht O’Barry mit einem
umgeschnallten Monitor, auf dem die blutigen Aufnahmen aus der Bucht laufen, in
einer japanischen Großstadt. Gerade als sich eine Menschentraube um ihn bildet,
um (wahrscheinlich) schockiert (ihre Gesichter sind nicht zu sehen) die Bilder
zu betrachten, blendet der Film in den Abspann hinein. So werden die Japaner
hauptsächlich als Zerrbilder wahrgenommen, als bösartige Fischer und als in die
Kamera schreiender, „Private Space“ genannter Mann, der die Filmarbeiten stört.
Dies stilistisch mit Propaganda aus dem zweiten Weltkrieg zu vergleichen, wie
es auch schon geschehen ist, mag etwas weit gehen, aber um einen ausgewogenen
Rundumblick bemüht sich Die Bucht
nicht gerade. Andererseits geht es hier auch nicht um ethnisch-kulturelle, rein
menschliche Konflikte, sondern um die Handhabung einer artübergreifenden
Tragödie.
Die Bucht ist ein
spannender Dokumentarfilm, der um seine dem Spielfilm entlehnten Elemente auch
keinen Hehl macht (wenn O’Barry die geheimen Aufnahmen der Walfangkommission
zeigt, wird die Musik heroisch wie in einem Superheldenfilm). Und es geht ihm
weniger um die Illustration eines „Gutmenschentuns“, sondern um Denkanstöße,
die über die eigene Art hinaus gehen. Filme wie Die Bucht können nicht die gesamte Welt verändern, das scheint auch
den Machern durchaus klar zu sein. Aber sie können es versuchen. Und mitunter
führen viele Versuche irgendwann auch zum gewünschten Erfolg.
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