Sonntag, 18. August 2013

Staub auf unseren Herzen (2012)




STAUB AUF UNSEREN HERZEN
Deutschland 2012
Dt. Erstaufführung: 17.01.2013
Regie: Hanna Doose

Staub auf unseren Herzen ist ein „typischer deutscher“ Film: etwas spröde, aus dem Leben gegriffen, in seiner Ästhetik eher mit Dogma 95 verwandt als mit den aufgemotzten Hollywood-Produktionen, inklusive der Independent-Filme, die es in die internationalen Kinos schaffen. Wer vom Kino Eskapismus verlangt, der wird hier in keiner Sekunde zufriedengestellt. Davon abgesehen bietet der Film aber nicht nur eine genau beobachtetet Studie zu Generationenverhältnissen im immer noch frischen 21. Jahrhundert, sondern auch bestechende schauspielerischen Leistungen.

Kathi (Stephanie Stremler) ist 30 Jahre alt, Mutter eines vierjährigen Sohns (Luis August Kurecki) und ihres Zeichens erfolglose Schauspielerin. Es gibt Vorsprechen, aber Engagements ergeben sich nicht daraus. Also ist Kathi immer noch von ihrer resoluten Mutter Chris (Susanne Lothar) abhängig, die stets alles besser weiß als ihre Tochter. Als dann auch noch Wolfgang (Michael Kind) wieder in Berlin auftaucht, Chris‘ Exmann und Kathis Vater, und ein Teil ihrer beide Leben sein möchte, kommt zu dem fragilen Verhältnis eine neue Komponente hinzu.

Die Schauspieler sind es, die Staub auf unseren Herzen zu einem kleinen Ereignis machen. Die inzwischen verstorbene Susanne Lothar (Die Klavierspielerin) brilliert als Chris, während die relativ unbekannte Stephanie Stremler (Wer wenn nicht wir) einen interessanten Ansatz für ihre Rolle findet: Stremler mimt die schlechte Schauspielerin im wirklichen Leben, die nur in wenigen Momenten aus sich heraus treten kann. Wie sie Dialoge spricht ist etwas gewöhnungsbedürftig, erlangt aber durch die spannungsvolle Beziehung zu ihrer Filmmutter Sinn. Kathi hält sich stets zurück, ist immer mit den Gedanken an anderer Stelle, bzw. scheint im Kopf all die Möglichkeiten durchzugehen, wie sie anderen Menschen begegnen könnte, ohne dass sie etwas davon in die Tat umsetzt. Kathi ist, um es neudeutsch auszudrücken, eine „verpeilte“ Persönlichkeit, wie sie wohl jeder kennt und als solche ein glaubwürdiges Gegengewicht zu Chris.
Die Mutter-Tochter-Beziehung lebt von der hervorragenden Beobachtungsgabe der Regisseurin Hanna Doose, die mit diesem Film ihren Abschluss an der Berliner Filmhochschule DFFB machte. Es sind die Details, die Nuancen, die Gesten, die Staub auf unseren Herzen einen mitunter schier unglaublichen Realitätsanspruch geben. Was sich hier vor dem Zuschauer entfaltet, hört und fühlt sich an wie das wahre Leben, nicht wie scripted reality oder ein schnöder Spielfilm. So erzeugt Doose eine große Nähe, schon allein, weil sich wohl Jeder in der einen oder anderen Situation selbst wiedererkennen kann – und damit wie ein unsichtbarer Beobachter auf Situationen des eigenen Lebens schaut. Auch hier offenbart sich die Großartigkeit der Schauspieler, denn es gehört einiges an Talent dazu, den Alltag so realistisch im Kontext eines Films darzustellen. Wie gesagt, man schaut weniger Schauspielern bei der Arbeit zu als vielmehr sich selbst in alltäglichen Situationen, wird aber durch das Filmumfeld gewahr, wie unendlich kompliziert eben jener Alltag sein kann und zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind, die sich lieben. Ein abschätziger Blick von Chris gegenüber Kathi kann da schlimmer sein als jede Splatterszene des Horrorkinos.

Staub aus unseren Herzen ist außerdem eine gut beobachtete Studie über eine sich verändernde sozioökonomische Situation. Mit verlängerten Ausbildungszeiten und prekären Arbeitsmarktverhältnissen sind nicht nur Kinder, sondern auch ihre Eltern verunsichert. Der alte Glauben von „Unseren Kindern wird es mal besser gehen“ greift nicht mehr und die Kompensationsversuche der Eltern (in Chris‘ Fall die ständigen Ratschläge, wie man etwas „besser machen könnte“) führen auch deshalb ins Leere, weil die Kinder an der Diskrepanz eben jener Vorstellungen und der wirklichen Situation verzweifeln. Man sympathisiert weder mit Kathi noch mit Chris über die komplette Laufzeit, kann aber den spezifischen Standpunkt eigentlich immer nachvollziehen. So ist es auch realistisch und gut, den Konflikt nicht mit einem Knall zu enden, wie es eine Big-Budget-Produktion womöglich getan hätte, sondern mit einem beginnenden Abnabelungsprozess, in der die Tochter anfängt, neue Wege zu beschreiten (und das Puppentheater für sich zu entdecken, dass für ihre Schauspielkünste durch das indirekte der Puppe augenscheinlich besser geeignet ist) und die Mutter schlicht im Nichts stehen gelassen wird. Die Geschichte ist damit nicht beendet, der Film schon und es könnte wohl kaum ein sinnvolleres Ende geben. Szenen wie die Streichsequenz, in der die Mutter sich über jeden töchterlichen Einwand hinwegsetzt, dürften danach der Vergangenheit angehören.

Staub auf unseren Herzen ergreift nicht Partei, findet in beiden Positionen negatives wie positives und verlässt sich lieber auf die konzentrierte Beobachtung. Schließlich sagt es mehr, wenn Chris einen von Kathi in ihrer Wohnung für das Wohnzimmer vorgesehenen Dekogegenstand ungefragt ins Bad verfrachtet, weil er sich ihrer Meinung da besser macht, als jede ausschweifende Dialogszene. Es gibt weniger funktionierende Elemente in Doose Kinodebüt (der „Wrestling“-Kampf zwischen Mutter und Tochter, das Zusammentreffen mit dem Regisseur, das Treffen mit dem Puppenspieler), aber im Kern bleibt die minuziös eingefangene Beziehung zwischen Mutter und Tochter das Herzstück und Highlight des Films, auch und gerade wegen der hervorragenden Darstellerriege.




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