Sonntag, 11. August 2013

Harry und Sally (1989)




HARRY UND SALLY
(When Harry Met Sally)
USA 1989
Dt. Erstaufführung: 14.09.1989
Regie: Rob Reiner

Wenn ein Film auf nur eine Szene reduziert wird, zumindest in der populären Rezeption, dann birgt das auch eine gewisse Gefahr in sich. Wird womöglich diese eine Szene immer wieder gezeigt, weil der Rest des Films nicht erwähnenswert ist? Im Falle von Harry und Sally ist dies natürlich die „Vorgetäuschter Orgasmus im Restaurant“-Sequenz, die mit der unsterblichen Bestellung der Dame am Nebentisch endet: „Ich will genau das, was sie hatte.“ Für alle, die befürchteten, dies könnte der einsame Höhepunkt (kein Wortspiel) von Rob Reiners immens erfolgreichen Films sein, der kann sich beruhigt zurücklehnen, denn auch der Rest von Harry und Sally ist ein liebenswertes, gleichermaßen lustiges wie gefühlvolles Stück Kino.

Sally Albright (Meg Ryan) und Harry Burns (Billy Crystal) fahren nach ihrem Examen von Chicago nach New York. Harry ist mit einer von Sallys Freundinnen zusammen und die beiden können sich nicht ausstehen. Fünf Jahre später treffen sie sich durch Zufall wieder und ihre Beziehung steht unter keinem besseren Stern, zumal beide in einer Partnerschaft leben. Weitere fünf Jahre später hat sich dies geändert, beide sind Singles und laufen sich erneut über den Weg. Diesmal bleibt es nicht bei einer flüchtigen Begegnung von ein paar Stunden. Sally und Harry freunden sich an, unternehmen alles zusammen und erkennen, jeder für sich, dass sie sich ineinander verlieben. Doch die Angst geht um, dass Sex alles zerstören könnte, weiß Harry doch zu berichten: „Männer und Frauen können keine Freunde sein. Der Sex kommt immer dazwischen.“

Die Vergleiche mit den Filmen von Woody Allen á la Der Stadtneurotiker sind nicht nur durch das New York-Setting von Harry und Sally angebracht. Wie in vielen Allen-Werken geht es um das Zusammenspiel zwischen den Geschlechtern und wie sich eigentlich völlig unterschiedliche Charaktere zusammenraufen und verlieben können. Der Unterschied ist, dass Regisseur Reiner und seine Drehbuchautorin Nora Ephron (die später den weit weniger effektiven Schlaflos in Seattle inszenieren sollte) die Allen typischen Grotesken aussparen und das neurotische zurückfahren. Harry und Sally ist schnörkelloser, aber dadurch nicht weniger funktionell. Ephrons Drehbuch ist auf den Punkt, postmoderne Spitzfindigkeiten, die sie später maßlos übertreiben sollte, sind hier durch die Casablanca-Referenzen im Rahmen gehalten und ihre augenzwinkernden Dialoge werden von Ryan und Crystal hervorragend umgesetzt. Überhaupt sind es die beiden Hauptdarsteller, durch die der Film seine Seele erhält.

Viele romantic comedys scheitern an der mangelnden Chemie zwischen den Darstellern. Wie soll man ihnen die aufkeimende Liebe abnehmen, wenn die Schauspieler nicht emotional synchron agieren? Crystal und Ryan haben dieses Problem nicht. Nicht nur dass man ihnen die „Feindschaft“ am Beginn des Films abkauft, auch ihre Transformation zu besten Freunden und schließlich einem Liebespaar, dass ein paar Stolpersteine überstehen muss, ist nachvollziehbar. Vielleicht mögen einige Zyniker diesbezüglich einen Einwand einbringen wollen, aber selbst wenn es konstruierte Elemente gibt, kaschieren die beiden Protagonisten dies absolut bravurös. Auch die Nebendarsteller, unter ihnen Carrie Fisher und Bruno Kirby, sind gut aufgelegt und nicht umsonst zählt eine Vierer-Telefonat zu den besten Szenen des Films (ja, sogar besser als die Orgasmus-Szene).

Harry und Sally erfindet das Rad der romantischen Komödie nicht neu, weder tat er das 1989, noch tut er es auf heutiger Sicht. Aber gerade im Hinblick auf die extreme Formelhaftigkeit, die mit vielen Genrefilmen inzwischen einhergeht, erlaubt sich Harry und Sally ein Drehbuch, das die Figuren ernstnimmt und Darsteller, die wirklich in ihren Rollen aufgehen. Inkonsequent wie der Film sein mag, ist er dennoch eins der besten Beispiele für das so publikumsversöhnende Genre, dass danach mit Pretty Woman, Während du schliefst und dem grandiosen Before Sunrise noch einige Highlights mehr produzieren sollte. Harry und Sally ist charmant, witzig und ebenso schön fotografiert (New York im Herbst!) wie gespielt. Man könnte zu der Erkenntnis kommen, dass derjenige, der nur die vielzitierte Restaurantszene kennt, das Beste noch gar nicht gesehen hat.



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