Montag, 5. August 2013

Schlaflos in Seattle (1993)




SCHLAFLOS IN SEATTLE
(Sleepless in Seattle)
USA 1993
Dt. Erstaufführung: 16.09.1993
Regie: Nora Ephron

Nach dem Tod von Frau und Mutter Maggie (Carey Lowell) ziehen Vater Sam (Tom Hanks) und Sohn Jonah (Ross Malinger) von Chicaco nach Seattle, um all den Erinnerungen an den geliebten Menschen zu entgehen. Doch Maggie reist stets mit und so hat Sam nach 18 Monaten nicht nur kein neues Date gehabt, er leidet zudem unter Schlaflosigkeit. Am Weihnachtsabend ruft Jonah, der seinem Vater gerne helfen möchte, bei einer landesweit ausgestrahlten „Therapiesendung“ im Radio an. Vater und Sohn erzählen so on air ihre Geschichte, die auf der anderen Seite der Staaten Annie Reed (Meg Ryan) zu Tränen rührt. Der melancholische Anrufer, im Äther nur als „Schlaflos in Seattle“ identifiziert, geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Kann es sowas geben: Liebe aufs erste Hören? Die Suche nach Sam wird für Annie zusehends zur Obsession, trotz ihrer bevorstehenden Heirat mit Walter (Bill Pullman), während Sam zunehmend den Widerstand gegen eine neue Partnerschaft aufgibt.

Schlaflos in Seattle in ein postmoderner Liebesfilm in dem Sinne, dass er zitiert, anstatt selbst neue Ideen zu entwickeln. Ständig schwebt Die große Liebe meines Lebens (An Affair to Remember, 1957) über dem Ganzen, hier als ultimativer „Frauenfilm“ stilisiert, den Männer niemals verstehen werden. Nicht nur, dass die Unterscheidung in Frauen- bzw. Männerfilm (hier: Das dreckige Dutzend, 1967) immer eine emotionale Inkompetenz vor allem auf männlicher Seite impliziert, hindert es den Film auch daran, eine gänzlich eigene Identität aufzubauen. Die Idee von einem Treffen auf dem Empire State Building wie in Die große Liebe meines Lebens ist an sich hübsch und romantisch, aber der Film wird so hochgelobt, so oft zitiert und so oft in Ausschnitten gezeigt, dass man sich des Gefühls nicht erwehren kann, man sollte lieber jenen Film ansehen anstatt eines hippen Quasi-Remakes. Die (inzwischen verstorbene) Regisseurin Nora Ephron (ihr letzter Film war der sehenswerte Julie & Julia) liebt Leo McCareys Film, ohne Frage, aber den Bogen von der bloßen Hommage zu einem seltsamen Abklatsch überspannt sie.

Dabei ist die Grundprämisse gar nicht dumm: Kann man sich in jemanden verlieben, ohne ihm oder ihr physisch gegenüberzustehen? Man kennt die Geschichten von Quasi-Liebesgeschichten, die Menschen zu fiktiven Charakteren und/oder ihren Darstellern aufbauen, aber auch zwischen „normalen“ Menschen funktioniert es – heutzutage in Zeiten des Internets noch viel mehr. Leider führt die durchaus niedliche Grundidee, die Ephron mit einem sicheren Gespür für Atmosphäre inszeniert, zu einer eher weniger nett anzusehenden Stalking-Obsession seitens Annie. Sich selbst beruhigt sie, dass sie als Journalistin ja „nur“ für einen Artikel über den einsamen Seattler recherchiert, aber spätestens, wenn sie Walter belügt um nach Seattle zu fliegen und dort Sam nachzustellen verliert der Film viel von seinem Charme. In einem Thriller würden wir nun beunruhigende Dinge erwarten, hier sollen wir verzaubert werden von Annies Distanzlosigkeit. Ärgerlich ist außerdem, dass Ephron Annies Verlobten als bloße Witzfigur zeichnet, der unter mannigfaltigen Allergien leidet und natürlich gar kein „Traummann“ ist – trotz der Tatsache, dass er ganz offensichtlich in Annie verliebt ist und sie auch noch ohne großes Brimborium aus der Beziehung „entlässt“. Ephron erspart Annie jegliche wirkliche Komplikationen, alles verläuft so schön reibungslos wie … im Film. Die Künstlichkeit, die dem Medium und seinen Geschichten nun mal zu Eigen ist, wird hier nicht zum vollkommenden Vorteil genutzt. Schlaflos in Seattle bleibt bei allem Bemühen ein recht artifizielles Werk, trotz der guten Schauspieler und einiger gelungenen Gags. Dass Hanks und Ryan kaum Zeit haben, eine wirkliche Chemie zu entwickeln, ist ebenso dem Drehbuch geschuldet, dass mehr Interesse am zitierten Ideal hat als an einer sich flüssig bewegenden Story. Schlaflos in Seattle hat seine spürbaren Längen.

Was bleibt ist die heimelige Atmosphäre, die vor allem in den Sam/Jonah-Sequenzen zum Tragen kommt und der durchaus vorhandene Wille, einen berührenden Liebesfilm zu drehen. Dass der Film letztlich an seiner Zitierwut und den nur daraus abgeleiteten Ideen scheitert, konnte weder das immense Einspielergebnis noch die OscarNominierungen beeinflussen. Dass Schlaflos in Seattle für das beste Originaldrehbuch nominiert war, erscheint wie ein Scherz. Die Postmoderne hat augenscheinlich gesiegt.



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