SCHLAFLOS IN SEATTLE
(Sleepless in Seattle)
USA 1993
Dt. Erstaufführung: 16.09.1993
Regie: Nora Ephron
Dt. Erstaufführung: 16.09.1993
Regie: Nora Ephron
Nach dem Tod von Frau und Mutter
Maggie (Carey Lowell) ziehen Vater Sam (Tom Hanks) und Sohn Jonah (Ross
Malinger) von Chicaco nach Seattle, um all den Erinnerungen an den geliebten
Menschen zu entgehen. Doch Maggie reist stets mit und so hat Sam nach 18
Monaten nicht nur kein neues Date gehabt, er leidet zudem unter
Schlaflosigkeit. Am Weihnachtsabend ruft Jonah, der seinem Vater gerne helfen
möchte, bei einer landesweit ausgestrahlten „Therapiesendung“ im Radio an.
Vater und Sohn erzählen so on air ihre Geschichte, die auf der anderen Seite
der Staaten Annie Reed (Meg Ryan) zu Tränen rührt. Der melancholische Anrufer,
im Äther nur als „Schlaflos in Seattle“ identifiziert, geht ihr nicht mehr aus
dem Kopf. Kann es sowas geben: Liebe aufs erste Hören? Die Suche nach Sam wird
für Annie zusehends zur Obsession, trotz ihrer bevorstehenden Heirat mit Walter
(Bill Pullman), während Sam zunehmend den Widerstand gegen eine neue
Partnerschaft aufgibt.
Schlaflos in Seattle
in ein postmoderner Liebesfilm in dem Sinne, dass er zitiert, anstatt selbst
neue Ideen zu entwickeln. Ständig schwebt Die
große Liebe meines Lebens (An Affair
to Remember, 1957) über dem Ganzen, hier als ultimativer „Frauenfilm“
stilisiert, den Männer niemals verstehen werden. Nicht nur, dass die
Unterscheidung in Frauen- bzw. Männerfilm (hier: Das dreckige Dutzend, 1967) immer eine emotionale Inkompetenz vor
allem auf männlicher Seite impliziert, hindert es den Film auch daran, eine
gänzlich eigene Identität aufzubauen. Die Idee von einem Treffen auf dem Empire
State Building wie in Die große Liebe
meines Lebens ist an sich hübsch und romantisch, aber der Film wird so hochgelobt,
so oft zitiert und so oft in Ausschnitten gezeigt, dass man sich des Gefühls
nicht erwehren kann, man sollte lieber jenen Film ansehen anstatt eines hippen
Quasi-Remakes. Die (inzwischen verstorbene) Regisseurin Nora Ephron (ihr
letzter Film war der sehenswerte Julie
& Julia) liebt Leo McCareys Film, ohne Frage, aber den Bogen von der
bloßen Hommage zu einem seltsamen Abklatsch überspannt sie.
Dabei ist die Grundprämisse gar nicht dumm: Kann man sich in
jemanden verlieben, ohne ihm oder ihr physisch gegenüberzustehen? Man kennt die
Geschichten von Quasi-Liebesgeschichten, die Menschen zu fiktiven Charakteren
und/oder ihren Darstellern aufbauen, aber auch zwischen „normalen“ Menschen
funktioniert es – heutzutage in Zeiten des Internets noch viel mehr. Leider
führt die durchaus niedliche Grundidee, die Ephron mit einem sicheren Gespür
für Atmosphäre inszeniert, zu einer eher weniger nett anzusehenden
Stalking-Obsession seitens Annie. Sich selbst beruhigt sie, dass sie als
Journalistin ja „nur“ für einen Artikel über den einsamen Seattler
recherchiert, aber spätestens, wenn sie Walter belügt um nach Seattle zu
fliegen und dort Sam nachzustellen verliert der Film viel von seinem Charme. In
einem Thriller würden wir nun beunruhigende Dinge erwarten, hier sollen wir
verzaubert werden von Annies Distanzlosigkeit. Ärgerlich ist außerdem, dass
Ephron Annies Verlobten als bloße Witzfigur zeichnet, der unter mannigfaltigen
Allergien leidet und natürlich gar kein „Traummann“ ist – trotz der Tatsache,
dass er ganz offensichtlich in Annie verliebt ist und sie auch noch ohne großes
Brimborium aus der Beziehung „entlässt“. Ephron erspart Annie jegliche
wirkliche Komplikationen, alles verläuft so schön reibungslos wie … im Film.
Die Künstlichkeit, die dem Medium und seinen Geschichten nun mal zu Eigen ist,
wird hier nicht zum vollkommenden Vorteil genutzt. Schlaflos in Seattle bleibt bei allem Bemühen ein recht
artifizielles Werk, trotz der guten Schauspieler und einiger gelungenen Gags.
Dass Hanks und Ryan kaum Zeit haben, eine wirkliche Chemie zu entwickeln, ist
ebenso dem Drehbuch geschuldet, dass mehr Interesse am zitierten Ideal hat als
an einer sich flüssig bewegenden Story. Schlaflos
in Seattle hat seine spürbaren Längen.
Was bleibt ist die heimelige Atmosphäre, die vor allem in
den Sam/Jonah-Sequenzen zum Tragen kommt und der durchaus vorhandene Wille,
einen berührenden Liebesfilm zu drehen. Dass der Film letztlich an seiner
Zitierwut und den nur daraus abgeleiteten Ideen scheitert, konnte weder das
immense Einspielergebnis noch die OscarNominierungen beeinflussen. Dass
Schlaflos in Seattle für das beste Originaldrehbuch nominiert war, erscheint
wie ein Scherz. Die Postmoderne hat augenscheinlich gesiegt.
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