Mittwoch, 14. August 2013

Kick-Ass (2010)




KICK-ASS
USA 2010
Dt. Erstaufführung: 22.04.2010
Regie: Matthew Vaughn

Ist es verwunderlich, dass das Jahr 2002 mit der Veröffentlichung von Spider-Man als Urknall des stetig anhaltenden Stroms von US-Superheldenfilmen gesehen werden kann? Sicherlich, vorher gab es bereits die X-Men auf der Leinwand, aber nach dem 11. September 2001 erhielten diese Art von Filmen eine neue Dringlichkeitsebene, die wohl am plakativsten in Superman Returns zum Vorschein kam, als das New York-Stand-In Metropolis vom Helden vor einer nahenden Katastrophe gerettet wurde: Das Publikum braucht die Vorstellung von Superhelden, von Menschen, die durch die ein oder andere Fügung zum Wohle aller handeln. Die uns vor Verbrechen und Katstrophen schützen. Die uns, um ein religiöses Motiv zu verwenden, erlösen von dem Bösen. Kick-Ass ist sich diesem Umstand sehr wohl bewusst und zwar in einer Deutlichkeit, die ihn davor bewahrt, in Pseudo-Satire-Gebiete wie Shrek – Der tollkühne Held abzudriften. Kick-Ass liebt das Superheldengenre, er weiß aber auch um dessen albernen Facetten und die problematischen Implikationen und wird so zu einer funktionierenden Mischung aus Parodie und eigenständigem Werk, dessen viel kritisierte Gewalt Teil des Konzepts ist.

Dave Lizewski (Aaron Taylor-Johnson) ist ein vollkommen durchschnittlicher Teenager, der sich die Frage stellt, warum noch niemand auf die Idee gekommen ist, die Superheldencomics, die er liest, in die Tat umzusetzen. Kurzerhand kauft er sich einen lächerlichen Spandexanzug und begibt sich als Kick-Ass auf die Straße, um den Menschen zu helfen. Sein erster Einsatz endet prompt im Krankenhaus. Einige Nervenenden sind geschädigt, was ihm eine höhere Schmerztoleranz beschert. Trotz des katastrophalen ersten Einsatzes begibt sich Dave ernuet kostümiert auf die Straße und diesmal kann er nicht nur einem von Gangmitgliedern verfolgten Mann helfen, er landet durch diverse Handyvideos auch im Internet, wo er zu einem Phänomen heranreift. Jeder liebt Kick-Ass, auch der Ex-Polizist Damon (Nicholas Cage) und seine 11-jährige Tochter Mindy (Chloe Grace Mortez), die sich als Big Daddy und Hit-Girl ebenfalls der Superhelden-Maskerade bedienen. Nur in ihrem Fall ist das Ziel größer: den Drogenbaron D’Amico (Mark Strong) zur Strecke bringen, ist er doch am Tod von Damons Frau/Mindys Mutter nicht ganz unschuldig. So wird der naive Kick-Ass, der im Grunde nur das Mädchen seiner Träume (Lyndsy Fonseca) beeindrucken will, in einen sehr realen, blutigen Kampf hineingerissen, der so gar nichts von der glamourösen Welt der MARVEL-Comics hat…

Kick-Ass basiert auf dem gleichnamigen Comic von Mark Millar und wenn während der Verfilmung bei dem einen oder anderen Zuschauer Probleme hinsichtlich der Darstellung auftauchen, dem sei Millars reaktionäres Werk eindeutig nicht ans Herz gelegt. Regisseur Matthew Vaughn, der zusammen mit Jane Goldman das Drehbuch verfasste, ändert die Vorlage an genau den richtigen Stellen ab, bleibt der Grundstruktur aber treu. Während der Comic ein geradezu nihilistisches Verhältnis zu seinen Figuren pflegte, sind sie Vaughn und Goldman nicht egal und vermeiden durch das Hinzufügen emotionaler Komponenten, dass der Film nicht zu einer rein zynischen Angelegenheit wird. Man kann dies als Verrat am Comic ansehen, wird Kick-Ass gerade durch die Änderungen doch zu einem wirklichen Superheldenfilm und verharrt nicht in der Existenz als reine, konsequenzlose Parodie. Oder als nötiger Schritt, um den Film ein über den harten Kern der Comicleser hinausgehendes Publikum zu bescheren. Oder schlicht als Maßnahme, damit der Film nicht zu torture porn in Spandex verkommt.

Dass die grausamsten Gewalttaten von der 11-jährigen Hit-Girl verübt werden, ist der Hauptkritikpunkt, der immer wieder vorgebracht wird. Ist Kick-Ass damit nicht ein höchst amoralischer Film? Nicht ganz. Wäre es besser gewesen, Hit-Girl zu sexualisieren? Nein, natürlich nicht. Wäre sie nur etwas älter, hätte man es aber wohl getan. Warum? Weil die Wichtigkeit der Frauen im Superheldengenre ganz entscheidend von der Größe der Brüste abhängt. Die Gewalt und die Profanität von Hit-Girl sind also eine um die Ecke gedachte Parodie auf im Grunde immer latent vorhandene Fragwürdigkeiten im Genre. Eine 11-jährige, die reihenweise Männer ermordet? Nicht okay. 16, 17, 18-jährige in knappen, in dieser Form völlig sinnfreien Outfits? Voll Okay! Kick-Ass ist ein bisschen der Funny Games unter den Superheldenfilmen.

Natürlich läuft man damit immer Gefahr, der Faszination zu erliegen, über die man sich lustig macht. So ist Dave in letzter Konsequenz wirklich ein Mensch mit besonderer Gabe, weil ihn seine zerstörten Nerven nicht so viel Schmerz empfinden lassen und er so länger das Böse bekämpfen kann. Und Hit-Girl wechselt im Finale während des Laufens die Magazine ihrer Waffen. Je länger Kick-Ass läuft, desto weniger bedient er sich ironischer Brechungen und wird zusehends zu einem gradlinigen Genrefilm. Oder liegt darin auch wieder ein subversives Element, kann ein Mensch im Kostüm also schlussendlich nicht anders, als ein Superheld zu werden, egal wie sehr er oder sie sich dagegen sträuben? Kick-Ass verdient schon allein wegen seiner permanenten Doppelbödigkeit einigen Respekt.

Abgesehen von all den Diskussionen, die der Film lostreten kann, ist er auch – und vor allem – ein pervers-diebisches Popcornwerk. Ähnlich schillernd wie seine Figuren, die natürlich alle eine ernste psychische Störung haben (der Comiccharakter tritt allein deshalb schon zutage, dass Big Daddy nicht wegen Kindesmisshandlung an den Pranger gestellt wird), bewegt sich der Film halsbrecherisch von einer Over-the-top-Szene zur nächsten und macht nur halt, um den Figuren ein emotionales Gegengewicht zu der blutigen Action zu geben. Der Nihilismus der Vorlage ist einem echten Interesse an der Sache gewichen, unter all dem Spektakel hat Kick-Ass sein Herz erstaunlicherweise an der richtigen Stelle. Und warum man bei Haneke über den tieferen Sinn von medialer Gewalt diskutieren kann, bei Kick-Ass aber nicht, ist ein ganz eigenes Kapitel. Vaughns Film ist ein effizienter Superheldenfilm und eine wissende Parodie und als solche unterhaltsamer als viele seiner durch und durch gradlinigen Cousins.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen