KICK-ASS
USA 2010
Dt. Erstaufführung: 22.04.2010
Regie: Matthew Vaughn
Dt. Erstaufführung: 22.04.2010
Regie: Matthew Vaughn
Ist es verwunderlich, dass das Jahr
2002 mit der Veröffentlichung von Spider-Man
als Urknall des stetig anhaltenden Stroms von US-Superheldenfilmen gesehen
werden kann? Sicherlich, vorher gab es bereits die X-Men auf der Leinwand, aber nach dem 11. September 2001 erhielten
diese Art von Filmen eine neue Dringlichkeitsebene, die wohl am plakativsten in
Superman Returns zum Vorschein kam,
als das New York-Stand-In Metropolis vom Helden vor einer nahenden Katastrophe
gerettet wurde: Das Publikum braucht die Vorstellung von Superhelden, von
Menschen, die durch die ein oder andere Fügung zum Wohle aller handeln. Die uns
vor Verbrechen und Katstrophen schützen. Die uns, um ein religiöses Motiv zu
verwenden, erlösen von dem Bösen. Kick-Ass
ist sich diesem Umstand sehr wohl bewusst und zwar in einer Deutlichkeit, die
ihn davor bewahrt, in Pseudo-Satire-Gebiete wie Shrek – Der tollkühne Held abzudriften. Kick-Ass liebt das Superheldengenre, er weiß aber auch um dessen
albernen Facetten und die problematischen Implikationen und wird so zu einer
funktionierenden Mischung aus Parodie und eigenständigem Werk, dessen viel
kritisierte Gewalt Teil des Konzepts ist.
Dave Lizewski (Aaron Taylor-Johnson) ist ein vollkommen
durchschnittlicher Teenager, der sich die Frage stellt, warum noch niemand auf
die Idee gekommen ist, die Superheldencomics, die er liest, in die Tat
umzusetzen. Kurzerhand kauft er sich einen lächerlichen Spandexanzug und begibt
sich als Kick-Ass auf die Straße, um den Menschen zu helfen. Sein erster
Einsatz endet prompt im Krankenhaus. Einige Nervenenden sind geschädigt, was
ihm eine höhere Schmerztoleranz beschert. Trotz des katastrophalen ersten
Einsatzes begibt sich Dave ernuet kostümiert auf die Straße und diesmal kann er
nicht nur einem von Gangmitgliedern verfolgten Mann helfen, er landet durch
diverse Handyvideos auch im Internet, wo er zu einem Phänomen heranreift. Jeder
liebt Kick-Ass, auch der Ex-Polizist Damon (Nicholas Cage) und seine 11-jährige
Tochter Mindy (Chloe Grace Mortez), die sich als Big Daddy und Hit-Girl ebenfalls
der Superhelden-Maskerade bedienen. Nur in ihrem Fall ist das Ziel größer: den
Drogenbaron D’Amico (Mark Strong) zur Strecke bringen, ist er doch am Tod von
Damons Frau/Mindys Mutter nicht ganz unschuldig. So wird der naive Kick-Ass,
der im Grunde nur das Mädchen seiner Träume (Lyndsy Fonseca) beeindrucken will,
in einen sehr realen, blutigen Kampf hineingerissen, der so gar nichts von der
glamourösen Welt der MARVEL-Comics hat…
Kick-Ass basiert
auf dem gleichnamigen Comic von Mark Millar und wenn während der Verfilmung bei
dem einen oder anderen Zuschauer Probleme hinsichtlich der Darstellung
auftauchen, dem sei Millars reaktionäres Werk eindeutig nicht ans Herz gelegt.
Regisseur Matthew Vaughn, der zusammen mit Jane Goldman das Drehbuch verfasste,
ändert die Vorlage an genau den richtigen Stellen ab, bleibt der Grundstruktur
aber treu. Während der Comic ein geradezu nihilistisches Verhältnis zu seinen
Figuren pflegte, sind sie Vaughn und Goldman nicht egal und vermeiden durch das
Hinzufügen emotionaler Komponenten, dass der Film nicht zu einer rein zynischen
Angelegenheit wird. Man kann dies als Verrat am Comic ansehen, wird Kick-Ass gerade durch die Änderungen
doch zu einem wirklichen Superheldenfilm und verharrt nicht in der Existenz als
reine, konsequenzlose Parodie. Oder als nötiger Schritt, um den Film ein über
den harten Kern der Comicleser hinausgehendes Publikum zu bescheren. Oder
schlicht als Maßnahme, damit der Film nicht zu torture porn in Spandex verkommt.
Dass die grausamsten Gewalttaten von der 11-jährigen
Hit-Girl verübt werden, ist der Hauptkritikpunkt, der immer wieder vorgebracht
wird. Ist Kick-Ass damit nicht ein
höchst amoralischer Film? Nicht ganz. Wäre es besser gewesen, Hit-Girl zu sexualisieren?
Nein, natürlich nicht. Wäre sie nur etwas älter, hätte man es aber wohl getan.
Warum? Weil die Wichtigkeit der Frauen im Superheldengenre ganz entscheidend
von der Größe der Brüste abhängt. Die Gewalt und die Profanität von Hit-Girl
sind also eine um die Ecke gedachte Parodie auf im Grunde immer latent
vorhandene Fragwürdigkeiten im Genre. Eine 11-jährige, die reihenweise Männer
ermordet? Nicht okay. 16, 17, 18-jährige in knappen, in dieser Form völlig
sinnfreien Outfits? Voll Okay! Kick-Ass
ist ein bisschen der Funny Games
unter den Superheldenfilmen.
Natürlich läuft man damit immer Gefahr, der Faszination zu
erliegen, über die man sich lustig macht. So ist Dave in letzter Konsequenz wirklich
ein Mensch mit besonderer Gabe, weil ihn seine zerstörten Nerven nicht so viel
Schmerz empfinden lassen und er so länger das Böse bekämpfen kann. Und Hit-Girl
wechselt im Finale während des Laufens die Magazine ihrer Waffen. Je länger Kick-Ass läuft, desto weniger bedient er
sich ironischer Brechungen und wird zusehends zu einem gradlinigen Genrefilm.
Oder liegt darin auch wieder ein subversives Element, kann ein Mensch im Kostüm
also schlussendlich nicht anders, als ein Superheld zu werden, egal wie sehr er
oder sie sich dagegen sträuben? Kick-Ass
verdient schon allein wegen seiner permanenten Doppelbödigkeit einigen Respekt.
Abgesehen von all den Diskussionen, die der Film lostreten
kann, ist er auch – und vor allem – ein pervers-diebisches Popcornwerk. Ähnlich
schillernd wie seine Figuren, die natürlich alle eine ernste psychische Störung
haben (der Comiccharakter tritt allein deshalb schon zutage, dass Big Daddy
nicht wegen Kindesmisshandlung an den Pranger gestellt wird), bewegt sich der
Film halsbrecherisch von einer Over-the-top-Szene
zur nächsten und macht nur halt, um den Figuren ein emotionales Gegengewicht zu
der blutigen Action zu geben. Der Nihilismus der Vorlage ist einem echten
Interesse an der Sache gewichen, unter all dem Spektakel hat Kick-Ass sein Herz
erstaunlicherweise an der richtigen Stelle. Und warum man bei Haneke über den tieferen
Sinn von medialer Gewalt diskutieren kann, bei Kick-Ass aber nicht, ist ein ganz eigenes Kapitel. Vaughns Film ist
ein effizienter Superheldenfilm und eine wissende Parodie und als solche
unterhaltsamer als viele seiner durch und durch gradlinigen Cousins.
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