Dienstag, 27. Mai 2014

X-Men - Zukunft ist Vergangenheit (2014)




X-MEN - ZUKUNFT IST VERGANGENHEIT
(X-Men: Days of Future Past)
USA 2014
Dt. Erstaufführung: 22.05.2014
Regie: Bryan Singer

Die Screen Junkies konnten passenderweise in ihrem neusten Honest Trailer zu den bisherigen X-Men-Filmen die Frage nicht beantworten, warum die Mutanten und ihre Fähigkeiten von der Gesellschaft oftmals abgelehnt und angefeindet, während Helden wie Spider-Man, Iron Man und der Hulk im gleichen Universum gefeiert werden. An dieser simplen Fragestellung lässt sich bereits ablesen, dass a) die X-Men vor dem langsam aus allen Nähten platzenden „cinematic MARVEL universe“ das Licht der Leinwand erblickten und b) man es mit diesem ganzen Comic-Mumbo-Jumbo wohl nicht so genau nehmen sollte. Es ist recht praktisch, dass die X-Men-Filme (noch) nicht in den Rest des MARVEL-Universums eingemeindet wurden, denn sie haben wahrlich genug mit sich selbst zu tun.
Das stellenweise überbordende Lob, dass dem neusten Franchisebeitrage Zukunft ist Vergangenheit entgegenschlägt, lässt zudem die Vermutung aufkommen, dass die X-Men mehr wegen ihren Möglichkeiten denn wegen der Filme an sich geliebt werden. Als Projektionsfläche sind die Mutanten grandios, die inzwischen sieben in diesem Kosmos angesiedelten Filme kommen qualitativ sehr unterschiedlich daher. Nach einem sehr holprigen Start 2000 folgte mit X-Men 2 ein erfolgreicherer Beitrag, nur um danach von X-Men – Das letzte Gefecht konterkariert zu werden. Die zwei Solo-Abenteuer von Wolverine waren beide vergessenswerte Zuschauerbeleidigungen, bis 2011 mit X-Men – Erste Entscheidung ein Prequel in die Kinos kam, dass zwar erzählerisch nicht allzu viel neues bot, aber sehr viel energetischer und unterhaltsamer als die meisten anderen Beiträge zur Reihe daherkam. X-Men - Zukunft ist Vergangenheit ist nun ein Versuch, die beiden Erzählstränge zusammenzuführen, also die Riege der „alten“ X-Men aus den ersten drei Teilen mit ihren jüngeren Inkarnationen aus Erste Entscheidung zu vereinen.

In einer nicht allzu fernen Zukunft haben die Sentinels, hochentwickelte Kampfmaschinen, die Erde in eine Ödnis verwandelt. Einst geschaffen, um Mutanten aufzuspüren und unschädlich zu machen, wandten sie sich bald auch gegen normale Menschen, die Mutanten halfen oder die potenziell mutierte Kinder bekommen könnten. Die letzten Reste der X-Men kämpfen einen aussichtslos erscheinenden Kampf und schicken schließlich Wolverine (Hugh Jackman) zurück in die 1970er Jahre, um den jungen Charles Xavier (James McAvoy) mit seinem Erzfreund Erik Lehnsherr (Michael Fassbender) zu vereinen. Denn nur gemeinsam können sie ihre ehemalige Freundin Mystique (Jennifer Lawrence) aufhalten, die den Schöpfer der Sentinels, den Industriellen Dr. Bolivar Trask (Peter Dinklage) erschießen will und damit den Lauf der Geschichte erst richtig in Fahrt bringt. Keine einfache Aufgabe für den ungeduldigen Grantler und auch keine einfache Aufgabe für die zerstrittenen Freunde, die einst Professor X und Magneto sein werden…

X-Men – Zukunft ist Vergangenheit ist unbestreitbar ein ambitionierter Film, der sichtlich Lust an dem Spiel mit Zeitebenen, an ihrer Dekonstruktion und ihrer Neuschöpfung, hat. Kontinuitätsfreunde werden sich grausen und ein bisschen faul ist der Film in der Hinsicht auf die offensichtlichsten Fragen (wie Magnetos wiedergewonnene Kräfte und Prof. X‘ pure Existenz nach dem Ende von X-Men – Das letzte Gefecht), auch wenn sich die Fans im Internet genügend holprige Erklärungen für all die plot holes zusammenschustern. Man darf wohl annehmen, dass Zukunft ist Vergangenheit als eine Art Reboot funktionieren soll, das viele, wenn nicht gar alle, Ereignisse aus den bisherigen Filmen (mit Ausnahme von Erste Entscheidung) als obsolet erklärt. Gerade im Hinblick auf Totalausfälle wie X-Men Origins: Wolverine ist das wohl eine gute Nachricht.

So unterhaltsam und kurzweilig der Film auch ist, ganz kann man das Gefühl nicht abschütteln, dass Zukunft ist Vergangenheit sich mehr vornimmt, als er abarbeiten kann. So ist er geradezu versessen darauf, sofort mit der Action zu beginnen und lässt die dystopische, an Der Terminator erinnernde Zukunft, links liegen. Schnell abgefrühstückte Expositionen werden anstelle einer sinnlich erfahrbaren Situation gesetzt, mit einem „world building“ hält sich der Film nicht auf, was auf Kosten der Dringlichkeit geht. Sicherlich, wir werden Zeuge von ziemlich gewalttätigen Vernichtungen vieler X-Men, aber die Chance zu zeigen, dass die Sentinels eine Bedrohung für alle Menschenformen sind und die von ihnen geschaffene Zukunft kein lebenswerter Ort für Alle ist, wird auf geradezu ärgerliche Weise verschenkt. Andere Konflikte, wie der zwischen Xavier und seiner Behandlung, die ihn zwar wieder laufen lässt, ihm aber auch seine Kräfte nimmt, werden angerissen und dann fallengelassen, die Loyalitäten ändern sich manchmal etwas zu schnell, neue Mutanten werden eingeführt und lediglich auf ihre Fähigkeiten reduziert [besonders schlimm trifft es Bishop (Omar Sy) und Quicksilver (Evan Peters), dem immerhin eine der schönsten Sequenzen des Films gewidmet wird]. Der innere Kampf von Mystique wird hingegen sehr gut verhandelt, ebenso die wechselvolle Dreiecksbeziehung, die sie mit Xavier und Erik verbindet.

Zukunft ist Vergangenheit muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob die Geschichte zur rechten Zeit kommt. Erste Entscheidung war ein guter Ausgangspunkt für neue, frische, energiegeladene Abenteuer der X-Men, so dass die Zusammenführung mit der „alten“ Riege, die am Ende auch so enervierende Figuren wie Jean Grey (Famke Janssen) und Scott Summers (James Marsden) wieder auftauchen lässt, wie ein Bremsmanöver wirkt. In Zeiten von ständigen Neuauflagen ist es doch erstaunlich, dass sich eine Filmreihe wie diese um Dinge wie eine leidliche Kontinuität schert. Zumal man so fast alle Nebenfiguren aus Erste Entscheidung einfach für tot erklären kann. Außerdem drückt sich das Franchise wieder einmal darum, die Mutanten in einen gesellschaftlichen Kontext der Zeit zu stellen, ein Punkt, der schon im Vorgänger auffiel. In Zeiten der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, was hätte es da für Ansatzpunkte gegeben. Hier wird die Historie mit Hinweisen wie „John F. Kennedy war ein Mutant“ bedacht und dann ebenso vergessen wie viele andere Plotelemente. An großartigen Szenen vom Kaliber einer „Hast du schon einmal versucht, kein Mutant mehr zu sein“-Unterhaltung aus X-Men 2 mangelt es Zukunft ist Vergangenheit.

Handwerklich ist der Film selbstredend hervorragend und voller visueller Bonmots wie den multiplen Wurmlöchern, die von einer Mutantin erschaffen werden oder dem Design der Sentinel-Transportflugzeuge, die nicht von ungefähr an umgedrehte Särge erinnern. Auch eine Überschneidung zwischen „echtem“ Filmmaterial und „authentischen“ Super-8-Aufnahmen von Passanten ist ein herrlicher Einfall, ebenso die bereits erwähnte Quicksilver-Szene sich aller Register der Tricktechnik bedient, ohne dass es aufgesetzt oder protzig wirkt.
So ist X-Men – Zukunft ist Vergangenheit ein unterhaltsamer Popcornfilm mit mehr als den sonst im Superheldenfilm üblichen Ideen, die aber innerhalb der zwei Stunden Laufzeit etwas zu sehr miteinander konkurrieren. Regisseur Bryan Singer und Drehbuchautor Simon Kinberg fangen viel an, beenden wenig, setzten manchmal disharmonische Prioritäten, legen aber auch den Grundstein für interessante weitere Episoden aus dem Mutanten-Universum. Wenn man sich dann auch wieder mehr auf die Qualitäten von Erste Entscheidung konzentriert (sprich weniger „alte“ X-Men inklusive Wolverine und noch mehr Fassbender, Lawrence und McAvoy), stehen die Chancen gut, dass die wirklich großartigen Franchisebeiträge noch kommen werden.



3 Kommentare:

  1. Sehr gute Kritikpunkte. Der Film setzt sein Potenzial definitiv nicht genug um.
    Was es mir aber erleichtert, von seinen Fehlern etwas Abstand zu nehmen, ist die Tatsache, dass es eben nur ein Übergangsfilm ist, der alte Erzählstränge endgültig schließt und die neuen festigt. Und darin finde ich ihn sogar sehr mutig, indem er die Handlung von ganzen fünf Filmen einfach auslöscht, das Blatt wieder fast komplett reinwäscht. Das ist schon ein ungewöhnlicher Gewaltakt.

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    1. Das ist wahr, ein Gewaltakt ist der Film auf jeden Fall. Ich bin auch sehr gespannt, wie man nun weiterverfährt, da ich ja kein Freund der ersten drei Filme war und mir einfach mehr von der neuen Riege verspreche. Über das verschenkte Potenzial von "Days of Future Past" konnte ich derweil einfach nicht ganz hinwegsehen. Es ist wie bei "Godzilla": ich wollte den Film wirklich, wirklich aus ganzem Herzen empfehlen, aber das konnte ich dann doch nicht so ganz mit mir vereinbaren.
      Dein Text zu den X-Men ist im übrigen auch ganz grandios!

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    2. Oh, danke sehr. :)
      Ich mag die neue Riege auch etwas lieber (aber ich bin halt auch sehr, sehr großer Fassbender-Fan). "First Class" bereitet mir von der gesamten Reihe am meisten Spaß und Mitgefühl. Damit steht man allerdings relativ allein da (wobei man das als X-Men-Fan ja gewöhnt ist).

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