Freitag, 9. Mai 2014

Reptilicus (1961)



REPTILICUS
Dänemark/USA 1961
Dt. Erstaufführung: bisher nicht in Deutschland veröffentlicht
Regie: Sidney W. Pink

Reptilicus ist ein seltsamer Fall, wurde der 1961 als dänisch-amerikanische Co-Produktion entstandene Film doch nie synchronisiert und in Deutschland zur Aufführung gebracht. In einem Land mit auch in den 1960er Jahren vielen potentiellen Zuschauern durchaus erstaunlich. Vielleicht wurde der Film von einem möglichen Verleih begutachtet und man kam zu dem Schluss, dass der Film einerseits zu erschreckend sei (es gibt Szenen, die in ihrer Schonungslosigkeit im Kontext der Entstehungsperiode überraschen), andererseits zu albern (die Effekte sind sehr schlecht). Was auch immer der Grund war, inzwischen besteht für den neugierigen Fan die Möglichkeit, dank DVD-Importen und YouTube auch ein Werk wie Reptilicus zu sichten. Und der Grund, dies zu tun, liegt auf der Hand: der Film gehört in eine ganz spezielle Kategorie, denn er ist so schlecht, dass er schon wieder viel Spaß bringt. Reptilicus ist Mumpitz der allerfeinsten Sorte.

Bei Bohrungen in Lappland wird der tief unter der Erde eingefrorene Teil eins bisher unbekannten prähistorischen Reptils gefunden und zur Untersuchung in Aquarium nach Kopenhagen gebracht. Durch Unachtsamkeit taut das als Teil eines Schwanzes identifizierte Stück auf und beginnt, sich zu regenerieren. Das wissenschaftliche Interesse weicht blanker Furcht, als aus dem Schwanz wieder ein vollständiges, riesenhaftes Tier geworden ist, dass beginnt, eine Spur der Zerstörung durch die Ostsee und dann Kopenhagen zu legen. Eine militärische Intervention erscheint wenig ratsam, denn aus jedem abgesprengten Teil des „Reptilicus“ getauften Monsters regeneriert sich eine neue Kreatur…

Das Drehbuch zu Reptilicus stammt von Sidney W. Pink (der auch die Regie übernahm) und Ib Melchior, dem „Dremteam“, dass sich auch für den kultigen Science-Fiction-Klassiker Weltraumschiff MR-1 gibt keine Antwort verantwortlich zeichneten. Ihre dramaturgischen Vorlieben demonstrieren sie auch anhand dieses „Creature Features“: ältere Männer mit Herzanfällen, gepflegter Sexismus, unlustige „comic reliefs“ und ein unbedingter Glaube an die Geschichte, die von der Ausführung konterkariert wird. Was durchaus gut funktioniert ist die Spannungskurve in der ersten Hälfte des Films. Wie das Monster entdeckt wird, wie es zunächst zu Untersuchungen kommt und sich die Gefahr langsam aufbaut ist ansprechend und flott erzählt. Alles andere in Reptilicus ist eher unfreiwillig komisch und zwar weitaus mehr, als es in Weltraumschiff MR-1 der Fall war.

Nach den Regeln des „richtigen“ Kinos müsste Reptilicus eigentlich vollkommen durchfallen. Die Schauspieler sind mies, vor allem Carl Ottosen als Mark Grayson ist eine Zumutung. Oft hat man auch den Eindruck, die Darsteller würden ihre Texte von schwer lesbaren Tafeln, die irgendwo in der Ferne stehen, entziffern. Über allem hängt ein jovialer Chauvinismus, Frauen kommen nur am Rande vor und wenn nicht, ist dies ein Grund zur höchsten Verwunderung („I’m not used to that such a beautiful woman has anything to do with science!“) und der intelligenzgeminderte Hausmeister (Dirich Passer) ist die „lustige Nebenfigur“.
Ähnlich schlecht sind die Effekte. Lässt der Beginn noch hoffen, sind die Stücke des Monsters doch gut in Szene gesetzt, sind diese Vorschusslorbeeren sobald „Reptilicus“ in Gänze auftritt, verspielt. Das Ungeheuer, dass ständig grünen Zeichentrick-Schleim hochwürgt und durch die Gegend spuckt, stümpert sich durch eine Spielzeuglandschaft und bewegt sich dabei wie eine Puppe der Augsburger Puppenkiste, die von einem äußerst talentfreien Spieler geführt wird. Eins der großen Experimente der Natur, wie der Film über sein Monster urteilt, sieht definitiv anders aus.

So versagt der Film also auf zwei der wichtigsten Gebiete. Dennoch ist Reptilicus unterhaltsam, eben weil er so billig inszeniert ist. Der Ernst, mit der der Angriff einer unkoordinierten Marionette durchgespielt wird, ist geradezu bewundernswert und entfaltet eben jenen Trash-Charme, den moderne Monsterfilme kaum noch bieten können. Und dann werden urplötzlich Szenen wie jene mit einer Zugbrücke eingestreut, die, hochgezogen um dem Monster den Weg abzuschneiden, diversen Kopenhagener Passanten zum Verhängnis wird und sie in ihren Tod stürzen. Diese Sequenz ist in ihrer Rohheit überraschend effektiv, auch wenn man zwischendurch immer wieder Komparsen mit einem breiten Grinsen im Gesicht sieht, die in den Massenszenen vor der Kreatur durch die Straßen der dänischen Hauptstadt fliehen. Auch dass „Reptilicus“ zwischendurch einen Familienvater verspeist und die Badegäste eines Strandes verätzt gibt der Theorie Aufschwung, dass der Film wegen seiner vergleichsweise drastischen Gewalt nicht für eine Auswertung in der BRD in Betracht gezogen wurde. Wirklich geschockt wird heute niemand mehr davon sein, in den 1960er Jahren war dies gewiss anders, trotz der sonst holprigen Ausführung.

Am Ende ist Reptilicus ein großer Spaß für Freunde des B- bis C-Films, ein Werk, das mit Mitteln der gängigen Kritik kaum zu fassen ist. Gerade in seiner innewohnenden Verzweiflung zwischen epischen Anspruch (die Panikszenen in Kopenhagen waren sicherlich nicht „mal eben“ im Kasten) und hanebüchen-schlechter Tricktechnik liegt ein schräges Vergnügen. Reptilicus ist weder gute Phantastik noch generell gutes Kinos, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Im generösen Blick zurück aber offeriert sich ein ambitionierter Film, der zwar den Subtext seines Vorbildes Godzilla von 1954 nicht ganz verstanden hat, aber trotzdem sein Möglichstes versucht. Mit höherem Budget und besseren Darstellern wäre vielleicht etwas herausgekommen, das jenseits des puren Trashs Bestand hat.




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