Freitag, 17. Oktober 2014

Sie leben! (1988)




SIE LEBEN!
(John Carpenter’s They Live)
USA 1988
Dt. Erstaufführung: 04.05.1989
Regie: John Carpenter

Konnte man sich bei Die Fürsten der Dunkelheit noch über die Zugehörigkeit zu Trash oder Pulp streiten, ist diese Disput bei Sie leben obsolet – hierbei handelt es sich um ein lupenreines Pulp-Werk von jener plakativen, aber höchst subversiven Kraft, die sich sehr viel öfters zwischen den kreativen Covern von Science-fiction-Romanheften findet, als es der unbedarfte Leser meinen würde. Sie leben ist eins jener unterschätzten Genre-Meisterwerke, die bei der Erwähnung von Carpenters Kritikerlieblingen wie Die Klapperschlange und Halloween – Die Nacht des Grauens immer gern vergessen werden.

Der von der Rezession stark betroffene Wanderarbeiter John Nada (Roddy Piper) findet eine temporäre Anstellung auf einer Baustelle. Schnell bemerkt er, dass seltsame Dinge in der nahegelegenen Kirche vorgehen – konspirative Treffen und scheinbar die Nutzung als Basis für einen Piratensender, der immer wieder das Fernsehprogramm unterbricht und die Menschen vor einer nicht näher definierten Gefahr zu warnen versucht. Durch die Wirren einer äußerst brutalen Polizeiaktion gerät Nada in den Besitz einer Sonnenbrille, die zuhauf in der Kirche gelagert wurden. Als er sie aufsetzt, erscheint die Welt schwarz-weiß, auf Geldscheinen stehen Botschaften wie „Dies ist dein Gott“ und mysteriöse Antennen senden unentwegt ein „Schlafe weiter“-Signal aus. Und dann entdeckt Nada auch noch, dass einige Menschen nur getarnte Außerirdische sind, die die Erde als ihre Dritte Welt betrachten und hemmungslos ausbeuten…

John Carpenter hat mit Sie leben seinem Ruf als linker Regisseur ein Denkmal errichtet. Der Film strotzt nur so vor politischen Allegorien, die sich als dezidiert liberal bis hin zu links-autonom verstehen und einmal mehr den konservativen Reaganismus des Zeit widerspiegeln. Sie leben ist dabei nur radikaler und auch bewusst plakativer als beispielsweise Die Klapperschlange, der politisch in einer ganz ähnlichen Ecke zu verorten war. Dieses in-your-face-Element, das schnörkellos-plakative, das den Film durchzieht, hätte böse enden können, wenn dem Film nicht der Geist der ehrlichen Besorgnis innewohnen würde. Carpenter macht sich Sorgen um den Zustand der westlichen Industriegesellschaften und ihrem oftmals blinden Handeln und Tun und es fällt schwer, einen Film dafür zu kritisieren, dass er sein Anliegen so aufrichtig (und nicht zuletzt so unterhaltsam) vorträgt. Zudem ein nicht unerheblicher Teil des Pulp-Charmes gerade von dieser Gestaltung ausgeht. Diejenigen, die Sie leben auf YouTube zur Illustrierung ihrer kruden Ideen einer jüdischen Weltverschwörung heranziehen, haben den Film schlicht nicht verstanden.

Medien, die die Menschen einlullen anstatt sie zu informierten, mündigen Bürgern machen, habgierige Schreibtischtäter, die für den eigenen Vorteil den Aliens bei ihren imperialistischen Plänen helfen und dabei auch ihre eigene Lebensgrundlage zerstören, die Revolution von unten – Sie leben steckt voller bekannter Motive, die Carpenter auf eine beneidenswert sichere und stimmige Weise verquirlt, um eine Pulp-Fantasie erster Güte zu generieren. Einmal mehr bleibt er seinem Low-Budget-Stil treu und selten passte er besser als auf die Geschichte, die auf einer kurzen Erzählung namens Eight O’clock in the Morning von Ray Nelson basiert. Der Film atmet in jeder Sekunde die subversive, wilde Kraft des weniger kommerziellen Kinos und die visuelle Gestaltung erinnert nicht von ungefähr an die Genrefilme der 1950er Jahre. Sie leben ist ein entferntes Echo der radikalen Abkehr von der Atomkraft in Der Tag, an dem die Erde stillstand und der dichten Atmosphäre vergessener Genreperlen wie Die Todeswolke von Monteville. Die Effekte sind dementsprechend wunderbar altmodisch und gleichzeitig wirkungsvoll, voller hinreißender Details wie dem „Weltraumbahnhof“, der den Charme einer tristen Bushaltestelle in der Provinz hat.

Sie leben macht Spaß, ist unterhaltsam, clever, plakativ, etwas trashig und man verzeiht ihm sogar das mitunter etwas hölzerne Schauspiel (Protagonist Piper ist ein professioneller Wrestler – was einer ganz besonderen Kultszene sehr zugute kommt). Denkt man an John Carpenter, haben die meisten sofort die üblichen Verdächtigen im Kopf. Doch es ist Sie leben, der die meiste Aufmerksamkeit verdient. Andere Werke seiner Filmographie sind vielleicht filmhistorisch relevanter, mehr Menschen verbinden mit ihnen Erinnerungen an ihre Mediensozialisation oder sie haben schlicht eine aufregendere Historie wie die Indizierungsgeschichte des Ding aus einer anderen Welt. Doch Sie leben ist der ultimative Carpenter, der Film, bei dem alles so bemerkenswert gut ineinandergreift, dass er zu einem B-Film wird, den man nur wie einen A-Film behandeln sollte.




1 Kommentar:

  1. Ich kann nur voll und ganz zustimmen: ein völlig unterschätzter Film, dessen gesellschaftskritisch-satirischen Elemente trotz des Trashfaktors hervorragend funktionieren.

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