SIE LEBEN!
(John Carpenter’s They Live)
USA 1988
Dt. Erstaufführung: 04.05.1989
Regie: John Carpenter
Dt. Erstaufführung: 04.05.1989
Regie: John Carpenter
Konnte
man sich bei Die Fürsten der Dunkelheit
noch über die Zugehörigkeit zu Trash oder Pulp streiten, ist diese Disput bei Sie leben obsolet – hierbei handelt es
sich um ein lupenreines Pulp-Werk von jener plakativen, aber höchst subversiven
Kraft, die sich sehr viel öfters zwischen den kreativen Covern von
Science-fiction-Romanheften findet, als es der unbedarfte Leser meinen würde. Sie leben ist eins jener unterschätzten
Genre-Meisterwerke, die bei der Erwähnung von Carpenters Kritikerlieblingen wie
Die Klapperschlange und Halloween – Die Nacht des Grauens immer
gern vergessen werden.
Der von der
Rezession stark betroffene Wanderarbeiter John Nada (Roddy Piper) findet eine
temporäre Anstellung auf einer Baustelle. Schnell bemerkt er, dass seltsame
Dinge in der nahegelegenen Kirche vorgehen – konspirative Treffen und scheinbar
die Nutzung als Basis für einen Piratensender, der immer wieder das
Fernsehprogramm unterbricht und die Menschen vor einer nicht näher definierten
Gefahr zu warnen versucht. Durch die Wirren einer äußerst brutalen
Polizeiaktion gerät Nada in den Besitz einer Sonnenbrille, die zuhauf in der
Kirche gelagert wurden. Als er sie aufsetzt, erscheint die Welt schwarz-weiß,
auf Geldscheinen stehen Botschaften wie „Dies ist dein Gott“ und mysteriöse
Antennen senden unentwegt ein „Schlafe weiter“-Signal aus. Und dann entdeckt
Nada auch noch, dass einige Menschen nur getarnte Außerirdische sind, die die
Erde als ihre Dritte Welt betrachten und hemmungslos ausbeuten…
John Carpenter
hat mit Sie leben seinem Ruf als
linker Regisseur ein Denkmal errichtet. Der Film strotzt nur so vor politischen
Allegorien, die sich als dezidiert liberal bis hin zu links-autonom verstehen
und einmal mehr den konservativen Reaganismus des Zeit widerspiegeln. Sie leben ist dabei nur radikaler und
auch bewusst plakativer als beispielsweise Die
Klapperschlange, der politisch in einer ganz ähnlichen Ecke zu verorten
war. Dieses in-your-face-Element, das
schnörkellos-plakative, das den Film durchzieht, hätte böse enden können, wenn
dem Film nicht der Geist der ehrlichen Besorgnis innewohnen würde. Carpenter
macht sich Sorgen um den Zustand der westlichen Industriegesellschaften und
ihrem oftmals blinden Handeln und Tun und es fällt schwer, einen Film dafür zu
kritisieren, dass er sein Anliegen so aufrichtig (und nicht zuletzt so
unterhaltsam) vorträgt. Zudem ein nicht unerheblicher Teil des Pulp-Charmes gerade
von dieser Gestaltung ausgeht. Diejenigen, die Sie leben auf YouTube zur Illustrierung ihrer kruden Ideen einer
jüdischen Weltverschwörung heranziehen, haben den Film schlicht nicht
verstanden.
Medien, die die
Menschen einlullen anstatt sie zu informierten, mündigen Bürgern machen,
habgierige Schreibtischtäter, die für den eigenen Vorteil den Aliens bei ihren
imperialistischen Plänen helfen und dabei auch ihre eigene Lebensgrundlage
zerstören, die Revolution von unten – Sie
leben steckt voller bekannter Motive, die Carpenter auf eine beneidenswert
sichere und stimmige Weise verquirlt, um eine Pulp-Fantasie erster Güte zu
generieren. Einmal mehr bleibt er seinem Low-Budget-Stil treu und selten passte
er besser als auf die Geschichte, die auf einer kurzen Erzählung namens Eight O’clock in the Morning von Ray Nelson
basiert. Der Film atmet in jeder Sekunde die subversive, wilde Kraft des
weniger kommerziellen Kinos und die visuelle Gestaltung erinnert nicht von
ungefähr an die Genrefilme der 1950er Jahre. Sie leben ist ein entferntes Echo der radikalen Abkehr von der
Atomkraft in Der Tag, an dem die Erde
stillstand und der dichten Atmosphäre vergessener Genreperlen wie Die Todeswolke von Monteville. Die Effekte
sind dementsprechend wunderbar altmodisch und gleichzeitig wirkungsvoll, voller
hinreißender Details wie dem „Weltraumbahnhof“, der den Charme einer tristen
Bushaltestelle in der Provinz hat.
Sie leben macht Spaß, ist unterhaltsam,
clever, plakativ, etwas trashig und man verzeiht ihm sogar das mitunter etwas
hölzerne Schauspiel (Protagonist Piper ist ein professioneller Wrestler – was
einer ganz besonderen Kultszene sehr zugute kommt). Denkt man an John
Carpenter, haben die meisten sofort die üblichen Verdächtigen im Kopf. Doch es
ist Sie leben, der die meiste
Aufmerksamkeit verdient. Andere Werke seiner Filmographie sind vielleicht
filmhistorisch relevanter, mehr Menschen verbinden mit ihnen Erinnerungen an
ihre Mediensozialisation oder sie haben schlicht eine aufregendere Historie wie
die Indizierungsgeschichte des Ding aus
einer anderen Welt. Doch Sie leben
ist der ultimative Carpenter, der Film, bei dem alles so bemerkenswert gut
ineinandergreift, dass er zu einem B-Film wird, den man nur wie einen A-Film
behandeln sollte.
Ich kann nur voll und ganz zustimmen: ein völlig unterschätzter Film, dessen gesellschaftskritisch-satirischen Elemente trotz des Trashfaktors hervorragend funktionieren.
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