Freitag, 10. Oktober 2014

Christine (1983)




CHRISTINE
USA 1983
Dt. Erstaufführung: 16.03.1984
Regie: John Carpenter

Der junge Mann und sein Auto. Gerade in der US-amerikanischen Kultur ist dieses Bild tief verankert, bedeutet das Auto doch die Verheißung von Freiheit und Unabhängigkeit, einen nicht zu unterschätzenden Prestigegewinn und die Schenkung eines Wagens durch die Eltern geht in der Moderne schon fast als Initiationsritus durch. In Deutschland ist die mythische Aufladung des Automobils gerade unter jungen Menschen weit weniger stark ausgeprägt, doch man muss nur aus einem Flächenland wie etwa Niedersachsen stammen, um zu verstehen, dass man nicht alle Ziele mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. Dennoch fällt das endgültige Verständnis für die Fetischisierung eines Fortbewegungsmittels wie dem Auto vielen Menschen, die sich außerhalb der Liebhaberkreise bewegen, schwer, und ein Stück weit ist dies auch ein Problem bei Christine, John Carpenters Version eines amerikanischen Mythos. Selbstredend hat das Auto bei ihm nicht nur das Potenzial eines Freiheitskatalysators, sondern ihm wohnt auch eine dämonische Kraft inne. Bei Carpenter ist der Geist zu Gast in der Maschine und es ist keine freundliche Entität.

Arnie Cunningham (Keith Gordon) ist die Art Jugendlicher, wie man sie aus Filmen kennt: schmächtig, bebrillt, sanft und intellektuell – kurzum: das perfekte Opfer für die Anfeindungen und Demütigungen des lokalen Rowdys Buddy (William Ostrander) und seiner Spießgesellen. Doch alles soll sich ändern, als Arnie durch Zufall auf ein altes Auto auf dem Grundstück des Bruders des verstorbenen Erstbesitzers stößt und sich Hals über Kopf in das Gefährt verliebt. Er kauft dem alten Mann den Plymouth ab, der auf den Namen Christine „hört“ und restauriert ihn in liebevoller Kleinarbeit. Der Besitz des Autos macht Arnie selbstsicherer, aber auch arroganter und gerade Buddy kann mit dieser Veränderung nicht umgehen. Er und seine Freunde demolieren Christine, haben die Rechnung aber ohne die jenseitige Kraft gemacht, die den Wagen beseelt. Schon bald regeneriert sich der Plymouth wie durch Geisterhand und macht unter Arnies Absegnung Jagd auf die tumbe Truppe…

Christine, basierend auf dem Roman von Stephen King und in Produktion gegangen, bevor das Buch überhaupt veröffentlicht wurde, ist ein handwerklich superber Film, der mit verblüffenden Effekten (Christines Regeneration ist schlicht atemberaubend) und einer äußerst liebevollen Kameraarbeit aufwarten kann. Was ihm allerdings fehlt ist eine inhaltliche Tiefe wie etwa der ebenfalls auf King basierende Carrie – Des Satans jüngste Tochter, auch eine Verbindung von pubertärer Rachefantasie und übernatürlichen Elementen. Die unerfreuliche Verquickung von Bigotterie und aufkeimender Sexualität, Mobbing und unkontrollierter Rache wird hier durch einen bewusst männlich konnotierten Materialfetischismus ersetzt. Man kann natürlich die Beziehung von Arnie und dem dämonischen Auto mit dem Frauennamen als sublimiert sexuelle lesen, das Auto als ganz persönliche Amazone, die nicht nur die körperlichen Gelüste (in diesem Fall das Fahren und das erotisierte Schrauben am Objekt), sondern auch die Gewaltfantasien befriedigt. Für diese „perfekte Frau“ vernachlässigt Arnie sogar die lange umworbene Leigh (Alexandra Paul). Der Film selbst interessiert sich für diese Sichtweisen allerdings nur peripher. Vielmehr teilt er Arnies tiefgehende Bewunderung für das Auto als solches und die zerstörerische Kraft, die die Beziehung entfaltet, wird nur bedingt als negativ angesehen. So ganz kann sich Christine nicht durchringen, die Geschehnisse als komplett negativ zu schildern. Sehr viel mehr als bei Carrie frönt er der Lust an der Rache, in der das Auto, trotz einer selbsttätigen Mordlust, die bereits ab Werk begann, als exekutive Verlängerung von Arnie begriffen wird.

So ist einer der größten Minuspunkte, die der elegant inszenierte Film einheimst, die menschliche Hauptfigur selbst. Arnie ist ein 80er-Nerd, allerdings gibt ihn Carpenter in dieser Rolle nicht der Lächerlichkeit preis, sondern wahrt einen geradezu liebevollen Blick auf den sozial Marginalisierten. Umso abrupter kommt die Wandlung, vom Paulus zum Saulus sozusagen, daher. Der Film gibt sich kaum die Muße einer Transition, einer subtilen und konstanten Persönlichkeitsveränderung, Arnie ist fast auf Knopfdruck ein arroganter Idiot, bei dem man sich fragen muss, ob man in dieser Erscheinung noch das nötige Quäntchen Verständnis aufbringen kann, wenn es an den Racheplot geht. Denn im Grunde kämpft so ein „Jock“ gegen andere „Jocks“. Der moralische Konflikt, der hätte entstehen können, wenn sensibler Teenager auf dämonische Maschine trifft, die für ihn ein ungeahntes Gewaltmonopol mit sich bringt, wird recht achtlos ignoriert.

Nach dem zunächst durchgefallenen Das Ding aus einer anderen Welt ist Christine ein sehr viel zurückhaltender Film ohne gerade die Effekt-Extravaganzen des Vorgängers. Dafür ist er auch atmosphärisch weit weniger dicht und vor allem in der Geschichte holpriger, trotz der traumwandlerisch-sicheren Regie Carpenters. Der Film sieht gut aus, entbehrt selbstredend nicht eines befriedigenden Unterhaltungswertes und hätte doch, ganz so wie ein Auto für den Liebhaber, mehr sein können als die Summe seiner Teile.



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