Sonntag, 25. Mai 2014

Der Augenblick des Friedens (1965)



(Szenenfoto)
 
DER AUGENBLICK DES FRIEDENS
(Le moment de paix / Chwila pokoju)
Frankreich/Deutschland/Polen 1965
Dt. Erstaufführung: 25.11.1965 (TV-Film)
Regie: Georges Franju, Egon Monk & Tadeusz Konwicki

Episodenfilme tauchen nur vereinzelt auf, das Erzählen einer einzigen, umfassenden Geschichte scheint erstrebenswerter zu sein als die Beleuchtung eines Sujets von im besten Falle verschiedensten Blickwinkeln. Vielleicht liegt es daran, dass durch die Beschäftigung meist mehrerer Regisseure ein mitunter enervierender Mix entstehen kann, da jeder selbstredend auf einer eigenen künstlerischen Vision beharrt. Darum ist ein Film wie Night on Earth von Jim Jarmusch gelungener als beispielsweise Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation, weil beim ersteren ein einzelner Regisseur diverse Episoden inszenierte, bei zweiterem viele Köche den Brei verdarben. Der Augenblick des Friedens, ein vom NDR produzierter TV-Film aus dem Jahr 1965, fällt irgendwo in die Mitte. Die drei beteiligten Regisseure bemühten sich augenscheinlich um eine gewisse stilistische Kohärenz, ohne dabei eine individuelle Inszenierung vollkommen aufgeben zu müssen. Das Ergebnis ist ein durchaus interessanter Film, der etwas unter seiner eigenen Sperrigkeit leidet.

Der titelgebende Augenblick, der das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa bedeutet, eint die drei jeweils etwa 30 Minuten langen Segmente. In der ersten Erzählung, Die weißen Vorhänge aus Frankreich, erleben ein kleiner Junge (Michel Robert) und eine verwirrte alte Frau (Hélène Dieudonné), die sich als Vagabunden durchschlagen, die Befreiung der Normandie durch die Alliierten. Im deutschen Beitrag Berlin N 65 erwartet ein junger Mann (Peter Kappner) zusammen mit seinen fatalistischen Nachbarn das Eintreffen der Armeen in einem Berliner Bunker, während im polnischen Film Matura eine Abiturprüfung im Angesicht der vorrückenden russischen Armee stattfindet und sich privates und politisches vermischt.

Während die Segmente, wohl auch wegen der Schwarz/Weiß-Ästhetik und der mangelnden Experimente mit dem Bild, stilistisch zusammenpassen, sind sie inhaltlich deutlich unterscheidbar. Matura ist der lebendigste, aber auch bitterste Beitrag, während Die weißen Vorhänge recht verklausuliert daherkommt. Berlin N 65 siedelt sich dazwischen an. Auf die Bilder, die man von einem de facto Kriegsfilm erwartet, verzichtet Der Augenblick des Friedens nicht nur aus Gründen des Budgets. Es sind kleine Geschichten einfacher Leute, keine hohe Politik und auch keine Ursachen- oder Wirkungsforschung. Der Krieg ist da, das Ende ebenso, es wird halt gelebt und überlebt. Da alle Episoden nah bei ihren Protagonisten bleiben, versagt sich der Film natürlich einen Diskurs über die Gräuel des Krieges, aber das ist auch nicht seine Aufgabe. Über Konzentrationslager wird man in Der Augenblick des Friedens nichts hören, auch gehören alle Protagonisten zur Mehrheitsbevölkerung, aber nicht zu den aktiven Helfern der Nationalsozialisten. Im Endeffekt ist der Film eine Meditation über ein Europa nach einer der größten Katastrophen der Geschichte, über Verlust und Neuanfang. Interessant dabei ist, dass der Erwerb von Bildung sich als roter Faden durch die Segmente zieht und als Ausweg gesehen wird. Der kleine Junge in der ersten Episode saugt Wissen geradezu auf, nachdem es ihm wieder zugänglich ist, der junge Mann in Berlin ist ein Intellektueller und die Hauptfigur in Matura muss erkennen, dass ihm mit einer sauber und in angebrachter Zeit über die Bühne gebrachter Abiturprüfung mehr gedient gewesen wäre als mit hitzköpfigen Vorpreschen. Von seinem Freund ganz zu schweigen. Die Botschaft, dass man nur mit Bildung und Denkfähigkeit gegen die Schrecknisse der Zeit ankommt, ist ewig jung.

Mit Ausnahme einer etwas sperrigen, didaktischen Dramaturgie kann man dem Film auch noch das Fehlen jeglicher Frauenfigur vorwerfen, die es wert wäre, erwähnt zu werden. Frauen tauchen in Der Augenblick des Friedens nur als verwirrte Großmütter, Hausmütterchen, stumme Angebetete und Opportunisten auf. Alle Episoden handeln von männlichen Figuren, von ihren Nöten, Sorgen und ihren Geschichten. Es wäre schön gewesen, wenn sich wenigstens einer der Regisseur aus dieser Nische heraus bewegt oder einer weiblichen Figur zumindest einen Charakter jenseits des Stereotyps gegeben hätte.

Was bleibt ist das Gefühl eines ambitionierten Projektes, das dann und wann schlingert, nie aber vollends niedergeht. Der Augenblick des Friedens ist ein Film mit einer klaren Vision eines von Hass und Desinformation befreiten Europas, in dessen aufgeklärten Klima ein weiterer Weltkrieg undenkbar wird. Dass man 1965 so ermahnte, ist nachvollziehbar. Das man 2014, da diese Besprechung entsteht, wieder an die Vernunft und die Besonnenheit der Europäer appellieren muss, ist zumindest erstaunlich.


 
[Kein Trailer vorhanden]

2 Kommentare:

  1. Hallo,

    ich hätte großes Interesse daran den Film zu sehen, doch da er anscheinend nicht gerade populär war, finde ich ihn nirgendswo. Hat jemand eine Idee, wo man ihn noch bekommen könnte?

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    1. Hi! Der Film wird am 04.05.2015 um 23:45 Uhr im NDR zum ersten Mal seit 10 Jahren wieder im Fernsehen gezeigt. Das passt sich doch gut, nicht wahr? :-)

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