SIGHTSEERS – KILLERS ON TOUR!
(Sightseers)
Großbritannien 2012
Dt. Erstaufführung: 28.02.2013
Regie: Ben Wheatley
(Sightseers)
Großbritannien 2012
Dt. Erstaufführung: 28.02.2013
Regie: Ben Wheatley
Allen Unkenrufen zum Trotz ist die
deutsche Synchronisation im Großen und Ganzen eine solide Angelegenheit, die
inzwischen auch weitestgehend des Reflex abgelegt hat, alles, was auf
kulturelle Eigenheiten des Entstehungslandes abzielt, in biederste deutsche
Normen zu zwängen. Natürlich geht mit der Synchronisation auch immer ein Teil
verloren, vor allem Akzente, aber da sich die Entscheidung, so gut wie alle
audiovisuellen Erzeugnisse einzudeutschen wohl inzwischen kaum rückgängig
machen lässt, muss und kann man die deutsche Synchro akzeptieren. Die
unaufdringliche Arbeit in den meisten Filmen wird erst durch einen Ausreißer
wie Sightseers gewahr und wenn man
auf der DVD-Hülle mit den Synchronsprechern groß Werbung macht, muss man diesen
Aspekt auch ansprechen. Die beiden Protagonisten werden von Anke Engelke (TVs Ladykracher) und Bjarne Mädel (TVs Der Tatortreiniger) gesprochen und
während Engelke ihre Sache gut macht und erstaunlich oft auch vollkommen im
Charakter aufzugehen weiß, ist Mädel eine Tortur für die Ohren: amateurhaft,
lustlos und vor allem ohne Bezug zur Figur. Mädel spricht hier, weil sein Name
inzwischen bekannt ist, nicht etwa, weil er zum Charakter passt. Wer sich
diesen Totalausfall ersparen will, der greife zur Originalversion. Denn
ansonsten ist der Film ein ebenso rabenschwarze Komödie wie der kurz zuvor
erschienene God Bless America mit
einigen herrlich-bösartigen Momenten, aber auch Problemen.
Tina (Alice Lowe) ist über 30, lebt noch bei ihrer
herrschsüchtigen Mutter (Eileen Davies) und hat nun endlich scheinbar den Mann
fürs Leben gefunden: den kleinbürgerlichen Chris (Steve Oram). Zusammen machen
sie sich auf eine Tour quer durchs Vereinigte Königreich, um Sehenswürdigkeiten
wie das Straßenbahn- oder Bleistiftmuseum abzuklappern. Chris entpuppt sich
schnell als aufbrausender Choleriker, der sich endlos über Menschen
echauffieren kann, die in seinen Augen sich nicht benehmen können. Als er versehentlich
einen Mann überfährt, der zuvor durch arglose Müllentsorgung seinen Zorn auf
sich gezogen hat, findet Chris Gefallen daran, unliebsame Zeitgenossen aus dem Weg
zu räumen. Allerdings muss er irgendwann feststellen, dass Tina dies ebenso tut
– aber nicht nach seinen „moralischen Prinzipien“ des Mordens handelt…
Tina und Chris sind die mustergültige Verkörperung der „Banalität
des Bösen“: zwei Spießbürger, die Schädel einschlagen und sich danach an
kitschigen Souvenirs und gehäkelter Reizwäsche erfreuen. Die Gewalt in Sightseers kommt kurz und schmerzvoll
daher, der body count ist nicht hoch,
dafür umso gemeiner. Chris und Tina morden nicht mit Schusswaffen, sondern mit
Alltagsgegenständen oder schlicht ihren eigenen Händen. Dementsprechend gibt es
keine Sympathieträger in der von Ben Wheatley (Kill List) erdachten Welt. Beide Hauptfiguren sind
verabscheuungswürdig und Sightseers zieht
aus dieser Tatsache durchaus einen Teil seiner schrägen Faszination. Chris ist
ein Versager mit hohen moralischen Ansprüchen an seine Umwelt und er
rechtfertigt seine Morde mit einem dubiosen Kodex, der gleichzeitig Tinas
Ausfälle verurteilt. Tina ist denn auch die interessanteste Figur, die den
Urlaub mit Chris, komplett mit ausschweifender Sexualität, als persönlichen
Befreiungsschlag begreift und irgendwann im Beseitigen von Mitmenschen das
Element zu erkennen glaubt, dass sie und Chris in Liebe verbinden könnte. Als
er abweisend auf ihre Art des Mordens reagiert, begibt sich der Film
psychologische Niederungen, die in ein geradezu kongeniales Ende führen. Ein
Monster mit eigener Moral erschafft ein Monster ohne jegliche Moral. Und hier
liegt eins der Hauptprobleme des Films: bis er dieses Level der Aufmerksamkeit
erreicht, ist viel seiner Laufzeit bereits verstrichen. Die schwarzhumorigen
Eskapaden zuvor sind unterhaltsam auf ihre Art, aber gerade als der Film Tina
zu einer wirklich involvierenden Figur ausbaut und sich ein sehr viel
interessanteres Figurengefüge zu entwickeln beginnt, endet Sightseers und man hat das Gefühl, das Beste ist noch nicht
erzählt. So wirkt der Film, wenn der Abspann einsetzt, wie viel Füllmaterial,
dass erst im dritten Akt seine eigentliche Bestimmung findet. Die Grotesken
sind einfallsreich und bitterböse, aber zum Schluss entfaltet Sightseers sein volles Potenzial und
lässt den Zuschauer mit dem Hunger nach einem vierten Akt zurück. Dies mag
besser sein als das Publikum zu überfüttern, ist aber auch gleichermaßen
frustrierend.
Darüber hinaus kann der Film einige wunderschöne Bilder der
englischen Landschaft für sich verbuchen und einen der besten Einsätze des
Songs The Power of Love von Frankie Goes to Hollywood, die wohl
jemals auf der Leinwand zu bewundern waren. Auch der Klassiker Tainted Love von Soft Cell ist atmosphärisch gekonnt eingesetzt. Handwerklich ist an
dem von den beiden Hauptdarstellern geschriebenen Film ohnehin nichts
auszusetzten und sein Einsatz der Schauplätze ist gekonnt. Wenn er sich nicht
Zwei Drittel seiner Laufzeit eher auf seine Grotesken verlassen würde anstatt
seine wahre Stärke, die interessante psychologische Entwicklung seiner Figuren,
auszuspielen, Sightseers hätte noch
stärker werden können. So bleibt bei allen gelungenen Elementen das etwas fade
Gefühl zurück, einen Film gesehen zu haben, der sich mit angezogener Handbremse
bewegt, um diese dann zum Schluss zu lockern und Vollgas zu geben, wenn die
Credits längst in Sichtweite sind.
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