Mittwoch, 11. September 2013

Sightseers - Killers on Tour! (2012)




SIGHTSEERS – KILLERS ON TOUR!
(Sightseers)

Großbritannien 2012
Dt. Erstaufführung: 28.02.2013
Regie: Ben Wheatley

Allen Unkenrufen zum Trotz ist die deutsche Synchronisation im Großen und Ganzen eine solide Angelegenheit, die inzwischen auch weitestgehend des Reflex abgelegt hat, alles, was auf kulturelle Eigenheiten des Entstehungslandes abzielt, in biederste deutsche Normen zu zwängen. Natürlich geht mit der Synchronisation auch immer ein Teil verloren, vor allem Akzente, aber da sich die Entscheidung, so gut wie alle audiovisuellen Erzeugnisse einzudeutschen wohl inzwischen kaum rückgängig machen lässt, muss und kann man die deutsche Synchro akzeptieren. Die unaufdringliche Arbeit in den meisten Filmen wird erst durch einen Ausreißer wie Sightseers gewahr und wenn man auf der DVD-Hülle mit den Synchronsprechern groß Werbung macht, muss man diesen Aspekt auch ansprechen. Die beiden Protagonisten werden von Anke Engelke (TVs Ladykracher) und Bjarne Mädel (TVs Der Tatortreiniger) gesprochen und während Engelke ihre Sache gut macht und erstaunlich oft auch vollkommen im Charakter aufzugehen weiß, ist Mädel eine Tortur für die Ohren: amateurhaft, lustlos und vor allem ohne Bezug zur Figur. Mädel spricht hier, weil sein Name inzwischen bekannt ist, nicht etwa, weil er zum Charakter passt. Wer sich diesen Totalausfall ersparen will, der greife zur Originalversion. Denn ansonsten ist der Film ein ebenso rabenschwarze Komödie wie der kurz zuvor erschienene God Bless America mit einigen herrlich-bösartigen Momenten, aber auch Problemen.

Tina (Alice Lowe) ist über 30, lebt noch bei ihrer herrschsüchtigen Mutter (Eileen Davies) und hat nun endlich scheinbar den Mann fürs Leben gefunden: den kleinbürgerlichen Chris (Steve Oram). Zusammen machen sie sich auf eine Tour quer durchs Vereinigte Königreich, um Sehenswürdigkeiten wie das Straßenbahn- oder Bleistiftmuseum abzuklappern. Chris entpuppt sich schnell als aufbrausender Choleriker, der sich endlos über Menschen echauffieren kann, die in seinen Augen sich nicht benehmen können. Als er versehentlich einen Mann überfährt, der zuvor durch arglose Müllentsorgung seinen Zorn auf sich gezogen hat, findet Chris Gefallen daran, unliebsame Zeitgenossen aus dem Weg zu räumen. Allerdings muss er irgendwann feststellen, dass Tina dies ebenso tut – aber nicht nach seinen „moralischen Prinzipien“ des Mordens handelt…

Tina und Chris sind die mustergültige Verkörperung der „Banalität des Bösen“: zwei Spießbürger, die Schädel einschlagen und sich danach an kitschigen Souvenirs und gehäkelter Reizwäsche erfreuen. Die Gewalt in Sightseers kommt kurz und schmerzvoll daher, der body count ist nicht hoch, dafür umso gemeiner. Chris und Tina morden nicht mit Schusswaffen, sondern mit Alltagsgegenständen oder schlicht ihren eigenen Händen. Dementsprechend gibt es keine Sympathieträger in der von Ben Wheatley (Kill List) erdachten Welt. Beide Hauptfiguren sind verabscheuungswürdig und Sightseers zieht aus dieser Tatsache durchaus einen Teil seiner schrägen Faszination. Chris ist ein Versager mit hohen moralischen Ansprüchen an seine Umwelt und er rechtfertigt seine Morde mit einem dubiosen Kodex, der gleichzeitig Tinas Ausfälle verurteilt. Tina ist denn auch die interessanteste Figur, die den Urlaub mit Chris, komplett mit ausschweifender Sexualität, als persönlichen Befreiungsschlag begreift und irgendwann im Beseitigen von Mitmenschen das Element zu erkennen glaubt, dass sie und Chris in Liebe verbinden könnte. Als er abweisend auf ihre Art des Mordens reagiert, begibt sich der Film psychologische Niederungen, die in ein geradezu kongeniales Ende führen. Ein Monster mit eigener Moral erschafft ein Monster ohne jegliche Moral. Und hier liegt eins der Hauptprobleme des Films: bis er dieses Level der Aufmerksamkeit erreicht, ist viel seiner Laufzeit bereits verstrichen. Die schwarzhumorigen Eskapaden zuvor sind unterhaltsam auf ihre Art, aber gerade als der Film Tina zu einer wirklich involvierenden Figur ausbaut und sich ein sehr viel interessanteres Figurengefüge zu entwickeln beginnt, endet Sightseers und man hat das Gefühl, das Beste ist noch nicht erzählt. So wirkt der Film, wenn der Abspann einsetzt, wie viel Füllmaterial, dass erst im dritten Akt seine eigentliche Bestimmung findet. Die Grotesken sind einfallsreich und bitterböse, aber zum Schluss entfaltet Sightseers sein volles Potenzial und lässt den Zuschauer mit dem Hunger nach einem vierten Akt zurück. Dies mag besser sein als das Publikum zu überfüttern, ist aber auch gleichermaßen frustrierend.

Darüber hinaus kann der Film einige wunderschöne Bilder der englischen Landschaft für sich verbuchen und einen der besten Einsätze des Songs The Power of Love von Frankie Goes to Hollywood, die wohl jemals auf der Leinwand zu bewundern waren. Auch der Klassiker Tainted Love von Soft Cell ist atmosphärisch gekonnt eingesetzt. Handwerklich ist an dem von den beiden Hauptdarstellern geschriebenen Film ohnehin nichts auszusetzten und sein Einsatz der Schauplätze ist gekonnt. Wenn er sich nicht Zwei Drittel seiner Laufzeit eher auf seine Grotesken verlassen würde anstatt seine wahre Stärke, die interessante psychologische Entwicklung seiner Figuren, auszuspielen, Sightseers hätte noch stärker werden können. So bleibt bei allen gelungenen Elementen das etwas fade Gefühl zurück, einen Film gesehen zu haben, der sich mit angezogener Handbremse bewegt, um diese dann zum Schluss zu lockern und Vollgas zu geben, wenn die Credits längst in Sichtweite sind.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen