PARADIES: LIEBE
Österreich/Deutschland/Frankreich 2012
Dt. Erstaufführung: 03.01.2013
Regie: Ulrich Seidl
Dt. Erstaufführung: 03.01.2013
Regie: Ulrich Seidl
Regisseur Ulrich Seidl wird einerseits
als Provokateur, andererseits als schonungsloser Beobachter wahrgenommen.
Entweder man liebt seine Filme oder man hasst sie. Dazwischen scheint es, wie
oft bei den enfants terribles des
Arthouse, nicht viel zu geben. Paradies:
Liebe, der erste Teil der Paradies-Trilogie,
macht da keine Ausnahme. Filmvergnügen im Sinn eines bunten Popcorn-Spektakels
bietet das Werk nicht und auch geübten Kunstkino-Fans nötigt es einiges an
Geduld ab, aber die Geschichte über Einsamkeit und Ausbeutung hallt letztlich
sehr viel länger nach, als man auf den ersten Blick erwarten würde.
Teresa (Margarete Tiesel) gönnt sich zum 50. Geburtstag
einen Urlaub allein in Kenia, weit entfernt von ihrer Familie. Sie hat
Entspannung und Erholung im Sinn, findet aber bald, angeleitet von anderen allein
reisenden Frauen, mehr als das: attraktive Beachboys wie Munga (Peter Kazungu),
die den älteren Frauen sexuell zu Diensten sind. Nach einer Weile muss Teresa
aber erkennen, dass dies monetäre Forderungen nach sich zieht, denn Verwandte
wollen verpflegt und örtliche Lehrerinnen bezahlt werden. Die naive Europäerin
erkennt schnell, dass sie ihre Taktik ändern muss, um körperliche Zuneigung zu
bekommen ohne danach dafür zu zahlen. Ein Spiel, in dem es nur Verlierer gibt,
setzt sich in Gang.
Paradies: Liebe
ist ein trostloser Film ohne Identifikationsfiguren, aber er legt es auch nicht
darauf an, nach solchen Mechanismen zu funktionieren. Spaß soll man hier
ohnehin nicht haben. Vielmehr ist es ein Kaleidoskop aus Beobachtungen und
Gedankenanstößen. Als Film wertet er auch nicht über seine Hauptfigur, die
zunächst die naive Touristin gibt, zunehmend aber unausstehlicher wird. Einen
nicht unerheblichen Teil an der negativen Evolution von Teresa hat Inge Maux
als abgebrühte Freundin, die den Sexmarkt der Beachboys genau kennt und sich
ihres himmelschreienden Rassismus offenbar nicht bewusst ist. Was Maux‘ Figur in die Welt posaunt ist menschenverachtend
par excellence, aber mit einer unwissenden Naivität, gepaart mit
rücksichtslosem Sexualdrang, vorgetragen, dass dem Zuschauer der Atem stockt.
Menschen werden mit Fischen verglichen, die Frauen machen sich wie unreife
Teenager über einen Barmann lustig und wenn gegen Ende ein Stripper zum Objekt
degradiert wird, wird der postkoloniale Ansatz zwar überdeutlich, was dem
emotionalen Gewicht aber keinen Abbruch tut. Dies ist nicht die einzige Szene,
in der das Hinsehen ob all der seelischen Grausamkeit schwer fällt.
Teresas Entwicklung ist rasant. Ist ihr die erste Begegnung
mit einem der Beachboys noch so unangenehm, dass sie aus der Situation
flüchtet, ist es danach ein verhältnismäßig kurzer Weg zur Degradierung eines
aufs Zimmer bestellten Manns, der ihren Wünschen nicht nachkommen möchte. Wie
Teresa nach ihrem Urlaub mit den Erfahrungen umgehen wird, ob sie Einsicht in
ihre verachtenden Handlungen hat, bleibt offen. Die Schilderung des schnellen
Rückfalls in eine Art Herrenmenschen-Attitüde bleibt aber noch lange beim
Zuschauer. Es ist weniger ein Film über konkreten Sextourismus, da Teresa nicht
zu diesem Zweck nach Kenia reist, als vielmehr eine Abhandlung über den für
beide Seiten entwürdigenden Einsatz von Sexualität in einer immer noch von
einem ethnischen Gefälle beherrschten Welt. Für die einen bedeutet es den
Lebensunterhalt – ein an sich schon skandalöser Umstand – für die anderen die
zeitweise Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse, die aber auf Dauer nicht die
Leere überdecken können.
Während der Subtext von Paradies:
Liebe und viele seiner vielsagenden Bilder hervorragend daherkommen, kann
sich der Film nicht dem Vorwurf einer gewissen Länge erwehren. Fast zwei
Stunden dauert der Ausflug in dieses „Herz der Finsternis“ und die Geschichte
trägt die ausufernde Spielzeit nicht, genauso wenig wie Seidls zurückhaltende
Regie. Zwischen all den grandiosen Momenten gibt es immer wieder Passagen, die
mehr durch den Durchhaltewillen des geneigten Publikums zu überstehen sind als das
interessantes oder relevantes in ihnen passiert. Außerdem übertreibt Seidl die
Inszenierung von Margarete Tiesels Körper. Dass Teresa nicht dem gängigen
Schönheitsideal entspricht und etwas in die Breite geht – geschenkt. Aber
dieser Umstand wird derartig ausgewalzt, als wolle der Film den Zuschauer mit
allen Mitteln „schocken“. Nun ist ein voluminöserer Körper nicht allzu
schockierend und auch, dass Frauen jenseits der 50 Sexualität zugesprochen
wird, ist weder innovativ noch überraschend. Man kann nun darüber spekulieren,
ob dies ganz nebenbei noch eine Abrechnung mit den generischen Frauenbildern im
Kino ist, aber der Exhibitionismus, der Tiesel angetragen wird,
hat seinerseits jene ausbeuterischen Züge, die der Film kritisiert. Darum ist Tiesel
auch nicht mutig, wenn sie sich vor der Kamera auszieht, vielmehr zeugt so eine
Titulierung seitens der Kritiker davon, wie wenig man ein heterogenes
Körperbild im Kino gewohnt ist. Ob Seidl damit an dieser Front gewinnt, sei
dahingestellt.
Paradies:
Liebe ist ein starker, wenn auch nicht grandioser, Einstieg in die
Trilogie. Traurig, trostlos und gleichzeitig faszinierend ist es jene Art
schonungslosem Kino, das das Medium jenseits von Superhelden und Riesenrobotern
so interessant macht. Seidl mag ein Provokateur sein, aber er hat mit dieser
Provokation auch etwas zu sagen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen