Freitag, 20. September 2013

Paradies: Liebe (2012)




PARADIES: LIEBE
Österreich/Deutschland/Frankreich 2012
Dt. Erstaufführung: 03.01.2013
Regie: Ulrich Seidl

Regisseur Ulrich Seidl wird einerseits als Provokateur, andererseits als schonungsloser Beobachter wahrgenommen. Entweder man liebt seine Filme oder man hasst sie. Dazwischen scheint es, wie oft bei den enfants terribles des Arthouse, nicht viel zu geben. Paradies: Liebe, der erste Teil der Paradies-Trilogie, macht da keine Ausnahme. Filmvergnügen im Sinn eines bunten Popcorn-Spektakels bietet das Werk nicht und auch geübten Kunstkino-Fans nötigt es einiges an Geduld ab, aber die Geschichte über Einsamkeit und Ausbeutung hallt letztlich sehr viel länger nach, als man auf den ersten Blick erwarten würde.

Teresa (Margarete Tiesel) gönnt sich zum 50. Geburtstag einen Urlaub allein in Kenia, weit entfernt von ihrer Familie. Sie hat Entspannung und Erholung im Sinn, findet aber bald, angeleitet von anderen allein reisenden Frauen, mehr als das: attraktive Beachboys wie Munga (Peter Kazungu), die den älteren Frauen sexuell zu Diensten sind. Nach einer Weile muss Teresa aber erkennen, dass dies monetäre Forderungen nach sich zieht, denn Verwandte wollen verpflegt und örtliche Lehrerinnen bezahlt werden. Die naive Europäerin erkennt schnell, dass sie ihre Taktik ändern muss, um körperliche Zuneigung zu bekommen ohne danach dafür zu zahlen. Ein Spiel, in dem es nur Verlierer gibt, setzt sich in Gang.

Paradies: Liebe ist ein trostloser Film ohne Identifikationsfiguren, aber er legt es auch nicht darauf an, nach solchen Mechanismen zu funktionieren. Spaß soll man hier ohnehin nicht haben. Vielmehr ist es ein Kaleidoskop aus Beobachtungen und Gedankenanstößen. Als Film wertet er auch nicht über seine Hauptfigur, die zunächst die naive Touristin gibt, zunehmend aber unausstehlicher wird. Einen nicht unerheblichen Teil an der negativen Evolution von Teresa hat Inge Maux als abgebrühte Freundin, die den Sexmarkt der Beachboys genau kennt und sich ihres himmelschreienden Rassismus offenbar nicht bewusst ist. Was  Maux‘ Figur in die Welt posaunt ist menschenverachtend par excellence, aber mit einer unwissenden Naivität, gepaart mit rücksichtslosem Sexualdrang, vorgetragen, dass dem Zuschauer der Atem stockt. Menschen werden mit Fischen verglichen, die Frauen machen sich wie unreife Teenager über einen Barmann lustig und wenn gegen Ende ein Stripper zum Objekt degradiert wird, wird der postkoloniale Ansatz zwar überdeutlich, was dem emotionalen Gewicht aber keinen Abbruch tut. Dies ist nicht die einzige Szene, in der das Hinsehen ob all der seelischen Grausamkeit schwer fällt.

Teresas Entwicklung ist rasant. Ist ihr die erste Begegnung mit einem der Beachboys noch so unangenehm, dass sie aus der Situation flüchtet, ist es danach ein verhältnismäßig kurzer Weg zur Degradierung eines aufs Zimmer bestellten Manns, der ihren Wünschen nicht nachkommen möchte. Wie Teresa nach ihrem Urlaub mit den Erfahrungen umgehen wird, ob sie Einsicht in ihre verachtenden Handlungen hat, bleibt offen. Die Schilderung des schnellen Rückfalls in eine Art Herrenmenschen-Attitüde bleibt aber noch lange beim Zuschauer. Es ist weniger ein Film über konkreten Sextourismus, da Teresa nicht zu diesem Zweck nach Kenia reist, als vielmehr eine Abhandlung über den für beide Seiten entwürdigenden Einsatz von Sexualität in einer immer noch von einem ethnischen Gefälle beherrschten Welt. Für die einen bedeutet es den Lebensunterhalt – ein an sich schon skandalöser Umstand – für die anderen die zeitweise Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse, die aber auf Dauer nicht die Leere überdecken können.

Während der Subtext von Paradies: Liebe und viele seiner vielsagenden Bilder hervorragend daherkommen, kann sich der Film nicht dem Vorwurf einer gewissen Länge erwehren. Fast zwei Stunden dauert der Ausflug in dieses „Herz der Finsternis“ und die Geschichte trägt die ausufernde Spielzeit nicht, genauso wenig wie Seidls zurückhaltende Regie. Zwischen all den grandiosen Momenten gibt es immer wieder Passagen, die mehr durch den Durchhaltewillen des geneigten Publikums zu überstehen sind als das interessantes oder relevantes in ihnen passiert. Außerdem übertreibt Seidl die Inszenierung von Margarete Tiesels Körper. Dass Teresa nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht und etwas in die Breite geht – geschenkt. Aber dieser Umstand wird derartig ausgewalzt, als wolle der Film den Zuschauer mit allen Mitteln „schocken“. Nun ist ein voluminöserer Körper nicht allzu schockierend und auch, dass Frauen jenseits der 50 Sexualität zugesprochen wird, ist weder innovativ noch überraschend. Man kann nun darüber spekulieren, ob dies ganz nebenbei noch eine Abrechnung mit den generischen Frauenbildern im Kino ist, aber der Exhibitionismus, der Tiesel angetragen wird, hat seinerseits jene ausbeuterischen Züge, die der Film kritisiert. Darum ist Tiesel auch nicht mutig, wenn sie sich vor der Kamera auszieht, vielmehr zeugt so eine Titulierung seitens der Kritiker davon, wie wenig man ein heterogenes Körperbild im Kino gewohnt ist. Ob Seidl damit an dieser Front gewinnt, sei dahingestellt.

Paradies: Liebe ist ein starker, wenn auch nicht grandioser, Einstieg in die Trilogie. Traurig, trostlos und gleichzeitig faszinierend ist es jene Art schonungslosem Kino, das das Medium jenseits von Superhelden und Riesenrobotern so interessant macht. Seidl mag ein Provokateur sein, aber er hat mit dieser Provokation auch etwas zu sagen.



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