Mittwoch, 7. Oktober 2015

The Nightmare (2015)




THE NIGHTMARE
USA 2015
Dt. Erstaufführung: 01.10.2015 (VOD-Premiere/Netflix Deutschland)
Regie: Rodney Ascher

Es ist eine allgemeine Binsenweisheit, dass die Realität erschreckender ist als alle Filmbilder, die das Horrorgenre produzieren kann. Obschon man in Anbetracht fiktionaler Alptraumstoffe wie Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt oder The Blair Witch Project dies in Frage stellen kann, so sehr muss man konstatieren, dass es zumindest als Verkaufsargument taugt. Jeder zweitklassige Geister- oder Dämonenfilm brüstet sich gefühlt inzwischen mit dem Zusatz „Basierend auf/Inspiriert von realen Ereignissen“. Dies ist meist ein billiges Argument, dass oft weder der Wahrheit entspricht, noch mit einer echten Genreauseinandersetzung einher geht. Leon Thomas stellte in seiner Analyseserie Renegade Cut nicht ohne Grund die Frage, warum in Exorzistenfilmen die Existenz der dämonischen Entität nie ernsthaft in Frage gestellt wird und ob es nicht beängstigender wäre, würde man die Besessenheit auch einmal als Ergebnis der menschlichen Hirnaktivität darstellen. In gewisser Weise ist The Nightmare genau dieser Film. Technisch eine Dokumentation über die Schlaflähmung, bedient sich der Film nicht nur aus dem Fundus des Horrorfilms, um sein Sujet zu illustrieren, er ist auch – eben weil er mit beiden Beinen in der Wirklichkeit verankert ist – zutiefst verstörend und schlicht furchterregend.

Die Schlaflähmung ist eine dieser seltenen Kapriolen des menschlichen Gehirns, die, obwohl wissenschaftlich bekannt, nicht wirklich zufriedenstellend erforscht ist. So treten in The Nightmare ausschließlich Betroffene auf, es wird kein Arzt oder sonstiger Sachverständiger zu Rate gezogen und interviewt. Die Erklärung liefern die tatsächlich Interviewpartner: sie fühlen sich von den Ärzten nicht für voll genommen, wurden mit Standardphrasen („Machen Sie sich weniger Stress.“) abgespeist und die für die Patienten traumatischen Ereignisse wurden also „nicht so gravierend“ eingestuft.
Bei der Lähmung befinden sich die Betroffenen des Nachts in einer Art Trancezustand zwischen Wachen und Schlafen. Sie können sich weder bewegen noch sprechen, sind aber bei vollem Bewusstsein und werden von alptraumhaften Wesen bedrängt, die aus den Tiefen ihres Unterbewusstseins drängen. Was sich in der Beschreibung noch vergleichsweise trocken anhört wird in The Nightmare minuziös nachgestellt: dreidimensionale Schatten, Baumhohe Dämonen mit roten Augen, Entitäten, die den generischen grauen Außerirdischen aus den Entführungsberichten verdächtig ähneln – sie alle brechen nachspürbar über den Zuschauer herein und erzeugen ein tiefes Gefühl der Verunsicherung.

Das alles ist gekonnt inszeniert, Rodney Ascher, der Regisseur des vergnüglichen Room 237, zieht alle visuellen und dramaturgischen Register, um den Zuschauer die Angst nahe zu bringen, die Betroffene der Schlaflähmung empfinden müssen. Die Interviews sind konsequent in weniger gut beleuchteten Räumen durchgeführt, oft befinden sich die Menschen am Ort der Pein, sprich ihrem Bett. Wenn einer der Mitwirkenden von einem Erlebnis berichtet, dass ihm als Kleinkind widerfahren ist und er sich unwillkürlich in den dunklen Raum hinter ihm umdreht, um sicherzugehen dass die Wesen, die er gesehen hat, nicht wiederkehren, dann ist das allein bereits ein Moment, in dem sich die Angst auf den Zuschauer überträgt.
Man kann und darf The Nightmare aufgrund der Thematik und des bewussten Verzichts auf eine medizinische Einordnung dem Exploitationfilm nahe stehend empfinden, vielleicht sogar voyeuristisch, profitiert doch die Angstlust des Zuschauers von den Erzählungen der Patienten. Doch es wird immer wieder gewahr, dass sich die Betroffenen hier auch ein Stück weit selbst therapieren, eben auch weil die Ärzte ihr Leiden nicht einzuordnen wissen und dementsprechend herunterspielen. Nach The Nightmare wird wohl niemand auch nur auf die Idee kommen, die Wirkungen der Schlaflähmung zu negieren. Es ist der nachvollziehbare Versuch eines kleinen Kreises, die Mehrheit über ihr Leiden zu informieren (auch Regisseur Ascher hat seine Erfahrungen mit dem Phänomen).

Dieser Versuch führt, dazu sind die Protagonisten am Ende zu sehr US-Amerikaner, zu einigen kuriosen Erklärungsansätzen. Eine der Patientinnen glaubt, die nächtlichen Besucher aus den Tiefen ihres Hirns durch die Anrufung von Jesus in Schach zu halten und wurde so zur leidenschaftlichen Christin, ein anderer glaubt nicht daran, dass das Phänomen nur ein Produkt des menschlichen Gehirn ist und hält es für die Manifestierung einer größeren Sache, als Ausdruck womöglich einer Multidimensionalität, wie Ascher an einer Stelle in den Raum wirft. Diese Episoden sind gleichermaßen faszinierend wie grotesk, im Großen und Ganzen aber ist The Nightmare ein hocheffektiver Film, der gleichermaßen über die scheinbar unbegrenzten, nicht immer positiven Möglichkeiten des menschlichen Gehirn informiert wie den Zuschauer so schockiert, wie es viele „richtige“ Horrorfilme nie vermögen. The Nightmare ist genau das – ein alptraumhafter Hybrid aus Horror und Dokumentarfilm, der auch dadurch so gut funktioniert, weil es Ascher gelingt, diese gegensätzlichen Genres so gekonnt miteinander zu verbinden.




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