THE NIGHTMARE
USA 2015
Dt.
Erstaufführung: 01.10.2015 (VOD-Premiere/Netflix Deutschland)
Regie: Rodney
Ascher
Es ist eine
allgemeine Binsenweisheit, dass die Realität erschreckender ist als alle
Filmbilder, die das Horrorgenre produzieren kann. Obschon man in Anbetracht
fiktionaler Alptraumstoffe wie Alien –
Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt oder The Blair Witch Project dies in Frage stellen kann, so sehr muss
man konstatieren, dass es zumindest als Verkaufsargument taugt. Jeder
zweitklassige Geister- oder Dämonenfilm brüstet sich gefühlt inzwischen mit dem
Zusatz „Basierend auf/Inspiriert von realen Ereignissen“. Dies ist meist ein
billiges Argument, dass oft weder der Wahrheit entspricht, noch mit einer
echten Genreauseinandersetzung einher geht. Leon Thomas stellte in seiner
Analyseserie Renegade Cut nicht ohne
Grund die Frage, warum in Exorzistenfilmen die Existenz der dämonischen Entität
nie ernsthaft in Frage gestellt wird und ob es nicht beängstigender wäre, würde
man die Besessenheit auch einmal als Ergebnis der menschlichen Hirnaktivität
darstellen. In gewisser Weise ist The
Nightmare genau dieser Film. Technisch eine Dokumentation über die
Schlaflähmung, bedient sich der Film nicht nur aus dem Fundus des Horrorfilms,
um sein Sujet zu illustrieren, er ist auch – eben weil er mit beiden Beinen in
der Wirklichkeit verankert ist – zutiefst verstörend und schlicht
furchterregend.
Die Schlaflähmung
ist eine dieser seltenen Kapriolen des menschlichen Gehirns, die, obwohl
wissenschaftlich bekannt, nicht wirklich zufriedenstellend erforscht ist. So
treten in The Nightmare
ausschließlich Betroffene auf, es wird kein Arzt oder sonstiger
Sachverständiger zu Rate gezogen und interviewt. Die Erklärung liefern die
tatsächlich Interviewpartner: sie fühlen sich von den Ärzten nicht für voll
genommen, wurden mit Standardphrasen („Machen Sie sich weniger Stress.“) abgespeist
und die für die Patienten traumatischen Ereignisse wurden also „nicht so
gravierend“ eingestuft.
Bei der Lähmung
befinden sich die Betroffenen des Nachts in einer Art Trancezustand zwischen
Wachen und Schlafen. Sie können sich weder bewegen noch sprechen, sind aber bei
vollem Bewusstsein und werden von alptraumhaften Wesen bedrängt, die aus den
Tiefen ihres Unterbewusstseins drängen. Was sich in der Beschreibung noch
vergleichsweise trocken anhört wird in The
Nightmare minuziös nachgestellt: dreidimensionale Schatten, Baumhohe
Dämonen mit roten Augen, Entitäten, die den generischen grauen Außerirdischen
aus den Entführungsberichten verdächtig ähneln – sie alle brechen nachspürbar
über den Zuschauer herein und erzeugen ein tiefes Gefühl der Verunsicherung.
Das alles ist
gekonnt inszeniert, Rodney Ascher, der Regisseur des vergnüglichen Room 237, zieht alle visuellen und
dramaturgischen Register, um den Zuschauer die Angst nahe zu bringen, die
Betroffene der Schlaflähmung empfinden müssen. Die Interviews sind konsequent
in weniger gut beleuchteten Räumen durchgeführt, oft befinden sich die Menschen
am Ort der Pein, sprich ihrem Bett. Wenn einer der Mitwirkenden von einem
Erlebnis berichtet, dass ihm als Kleinkind widerfahren ist und er sich
unwillkürlich in den dunklen Raum hinter ihm umdreht, um sicherzugehen dass die
Wesen, die er gesehen hat, nicht wiederkehren, dann ist das allein bereits ein
Moment, in dem sich die Angst auf den Zuschauer überträgt.
Man kann und darf
The Nightmare aufgrund der Thematik
und des bewussten Verzichts auf eine medizinische Einordnung dem
Exploitationfilm nahe stehend empfinden, vielleicht sogar voyeuristisch,
profitiert doch die Angstlust des Zuschauers von den Erzählungen der Patienten.
Doch es wird immer wieder gewahr, dass sich die Betroffenen hier auch ein Stück
weit selbst therapieren, eben auch weil die Ärzte ihr Leiden nicht einzuordnen
wissen und dementsprechend herunterspielen. Nach The Nightmare wird wohl niemand auch nur auf die Idee kommen, die
Wirkungen der Schlaflähmung zu negieren. Es ist der nachvollziehbare Versuch
eines kleinen Kreises, die Mehrheit über ihr Leiden zu informieren (auch
Regisseur Ascher hat seine Erfahrungen mit dem Phänomen).
Dieser Versuch
führt, dazu sind die Protagonisten am Ende zu sehr US-Amerikaner, zu einigen
kuriosen Erklärungsansätzen. Eine der Patientinnen glaubt, die nächtlichen
Besucher aus den Tiefen ihres Hirns durch die Anrufung von Jesus in Schach zu
halten und wurde so zur leidenschaftlichen Christin, ein anderer glaubt nicht
daran, dass das Phänomen nur ein Produkt des menschlichen Gehirn ist und hält
es für die Manifestierung einer größeren Sache, als Ausdruck womöglich einer
Multidimensionalität, wie Ascher an einer Stelle in den Raum wirft. Diese
Episoden sind gleichermaßen faszinierend wie grotesk, im Großen und Ganzen aber
ist The Nightmare ein hocheffektiver
Film, der gleichermaßen über die scheinbar unbegrenzten, nicht immer positiven
Möglichkeiten des menschlichen Gehirn informiert wie den Zuschauer so
schockiert, wie es viele „richtige“ Horrorfilme nie vermögen. The Nightmare ist genau das – ein
alptraumhafter Hybrid aus Horror und Dokumentarfilm, der auch dadurch so gut
funktioniert, weil es Ascher gelingt, diese gegensätzlichen Genres so gekonnt miteinander
zu verbinden.
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