MAGGIE
USA 2015
Dt.
Erstaufführung: 28.08.2015 (DVD-Premiere)
Regie: Henry
Hobson
Horrorfilme sind
eigentlich konservativ. Diese Erkenntnis ist nicht neu, man muss nur an die
geradezu alttestamentarische Konstruktion beispielsweise im Slasherfilm denken:
hast du vorehelichen Geschlechtsverkehr, kommt eine übermächtige Gestalt vorbei
und richtet dich (so beobachtet im Dokumentarfilm The American Nightmare). So erschöpft sich der kreative Output oft
in der Variation bekannter Motive, es kommt im Horrorfilm sehr viel mehr auf
das Wie an denn auf die kritische Nachfrage des Warums. Dies mag auch daran
liegen, dass das Genrepublikum im Durchschnitt nicht allzu offen für
Variationen jenseits der kosmetischen Behandlung ist – man muss nur einen Blick
in die (selbstredend nicht repräsentativen) Kommentarspalten und Rezensionen
auf Onlinekaufhäusern werfen. Umso erstaunlicher, wie viele Wagnisse der
Zombiefilm Maggie eingeht – und wie
sehr er dabei gewinnt. Regisseur Henry Hobson stellt die Menschlichkeit seiner
Figuren in den Vordergrund, die Auseinandersetzung mit dem Sterben unter der
Prämisse einer Zombiepandemie. Dies ist der Film, der die unsägliche erste
Staffel des TV-Untoten-Ablegers Fear the
Walking Dead hätte sein können, wenn sie sich für Figuren, ihre Gefühle und
ihren Umgang mit Ausnahmesituationen wirklich interessiert hätte.
Irgendwann in der
näheren Zukunft: ein bisher unbekanntes Virus machte die Menschen zu Zombies
und vernichtete große Teile der Ernten. Inzwischen gilt die Pandemie als
einigermaßen eingedämmt, außerhalb von Quarantänezonen können sich die Menschen
wieder frei bewegen. Doch noch immer müssen große Teile der
landwirtschaftlichen Erzeugnisse verbrannt werden, um das Virus an einer
weiteren Verbreitung zu hindern. In dieser trostlosen, sich ihrer eigenen
prekären Lage sehr wohl bewussten Welt wird die Teenagertochter Maggie (Abigail
Breslin) des Farmers Wade (Arnold Schwarzenegger) gebissen und ihr Schicksal
damit besiegelt. Es bleiben nur noch wenige Wochen voller Veränderungen, bis aus
Maggie ein gefühlstoter Ghul mit Appetit auf das Fleisch der Lebenden werden
wird. Unter den skeptischen Blicken ihrer Stiefmutter Caroline (Joely
Richardson) versuchen Vater und Tochter, sich in dieser Zeit irgendwie
voneinander zu verabschieden. Doch je weiter die Infektion voran schreitet,
desto gefährlicher wird Maggie für ihre Mitmenschen, während Wade das
Unvermeidliche nur noch weiter hinauszögert …
Maggie thematisiert das, was im
„klassischen“ Zombiefilm und der TV-Serie The
Walking Dead zu einer Randnotiz verkommen ist: das Töten von Menschen. Denn
so schrecklich die Auswirkungen einer Transformation in einen Untoten auch sein
mögen, vorher hat man es immer mit einem gefühlsfähigen Menschen zu tun, der
die Veränderungen und die Reaktionen der Mitmenschen auf sie sehr genau
mitbekommt (über die Einordnung der nachfolgenden Existenz in das
Menschlichkeitsschema reden wir an dieser Stelle gar nicht). Was bedeutet das
Wissen um das Unvermeidliche für den betroffenen Menschen, für die ihm oder ihr
nahestehenden? Dawn of the Dead und
seine Ableger, Nachahmer und Nachfolger vermeiden die Auseinandersetzung, „die
Sache“ muss schnell erledigt werden, das Töten wird zu einem möglichst ökonomisch
vorzunehmenden Übel. Danach muss es weitergehen, vor allem in The Walking Dead zeichnen sich die
Figuren durch eine beeindruckende Amnesie ihren verstorbenen Mitmenschen
gegenüber aus. In Maggie ist daran
nicht zu denken, die Welt ist in einen beinahe katatonischen Zustand gefangen –
die Menschen funktionieren, aber es liegt eine mit den Händen greifbare Schwere
über ihnen. Die Zombies sind gefährlich, ja, aber sie sind für die Überlebenden
auch immer noch die Menschen, die sie einst waren. Ehefrauen verstecken ihre
untoten Ehemänner und Kinder in ihrem Haus, wohl um die Konsequenzen wissend,
aber dennoch unfähig, sich von der unbegründeten Aussicht auf Heilung zu
trennen. Es ist eine Welt, die die Hoffnung verloren hat, in der Beteuerungen
von einem nach der Pandemie anbrechenden besseren Leben wie Lippenbekenntnisse
in der Luft hängen. Es kann nichts wieder normal werden, dies ist die Aufgabe
für kommende Generationen und ob diese überhaupt eine Zukunft haben werden,
verleiht dem Film eine derartige Melancholie, dass man immer wieder erstaunt
ist, wie sehr der Film das Subgenre des Zombiefilms gleichzeitig unterwandert
wie bekräftigt. Als Genrefilm weiß Maggie
darum, wie die Dramaturgie auszusehen hat und füllt die sonst vorhandenen
emotionalen Leerstellen konsequent auf. An der Zombieapokalypse ist nichts
„cooles“, es ist eine Parabel auf die Leidensfähigkeit des Menschen, auf seine
Gefühle, die gleichermaßen Fluch wie Segen sind.
Die Besetzung
Arnold Schwarzeneggers in der Rolle des hilflosen Vaters ist dabei ein
besonderer Coup, der auf interessante Weise die veränderten Verhältnisse illustriert,
seit Schwarzenegger in den 1980er Jahren zum Inbegriff des männlichen Helden
wurde. In gewisser Weise ist Maggie
eine konsequente Weiterentwicklung in seiner Karriere. Vom nur aus Bizeps
bestehenden Actionhelden in Predator
zum sich langsam anderen Aufgaben zuwendenden Mann in Terminator 2 – Tag der Abrechnung und Kindergarten Cop zu weicheren Inkarnationen in Junior und Versprochen ist
versprochen ist er in Maggie
vielleicht zum ersten Mal ein vollständiger Mann, ein role model für das 21. Jahrhundert, dass die testosterongeschwängerten
Rituale und Symbole der 80er und frühen 90er nicht mehr kritiklos als Abbild
„wahrer“ Männlichkeit ansehen mag. Schwarzeneggers Wade kann sich wehren,
körperlich brutal agieren – wenn es unbedingt notwendig ist. Ansonsten geht es
ihm darum, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen, Vater und Ehemann zu
sein – und auch den Konsequenzen ins Auge zu schauen, wenn er auf dem einen
oder anderen Gebiet scheitert. Dieser „Arnie“ läuft nicht einen Weg entlang,
während irgendetwas hinter ihm explodiert, er schießt keine Terroristen aus
Hochhäusern – weil er ein Mensch ist; ein Mensch, der sich in einer
untergehenden Welt ein kleines Stück persönlichen Glücks erhalten möchte.
Starker Tobak für ein Subgenre, das sonst das kunstvolle Abwehren von
entmenschlichten Körpern zum Inhalt hat.
So ist Maggie ein ungewöhnlicher Film, mehr
Drama als Horror, und als solcher schon fast auf Kritik der eingangs erwähnten
Genrefans programmiert. Nicht wenigen wird es wie eine Verschwendung vorkommen,
dass aus der Konstellation Schwarzenegger/Zombies nicht eine Reminiszenz an das
Actionkino vergangener Dekaden geworden ist. Für alle, die für eine erweiterte
Definition des Genres offen sind (denn schließlich ist der Verlust einen
geliebten Menschen mehr Horror als alle Zombiefilme zusammen), dem bietet Maggie ein lohnendes, melancholisches,
nachdenkliches Erlebnis. It’s not your
average zombie flick – und genau das macht ihn so stark.
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