Donnerstag, 22. Oktober 2015

Maggie (2015)




MAGGIE
USA 2015
Dt. Erstaufführung: 28.08.2015 (DVD-Premiere)
Regie: Henry Hobson

Horrorfilme sind eigentlich konservativ. Diese Erkenntnis ist nicht neu, man muss nur an die geradezu alttestamentarische Konstruktion beispielsweise im Slasherfilm denken: hast du vorehelichen Geschlechtsverkehr, kommt eine übermächtige Gestalt vorbei und richtet dich (so beobachtet im Dokumentarfilm The American Nightmare). So erschöpft sich der kreative Output oft in der Variation bekannter Motive, es kommt im Horrorfilm sehr viel mehr auf das Wie an denn auf die kritische Nachfrage des Warums. Dies mag auch daran liegen, dass das Genrepublikum im Durchschnitt nicht allzu offen für Variationen jenseits der kosmetischen Behandlung ist – man muss nur einen Blick in die (selbstredend nicht repräsentativen) Kommentarspalten und Rezensionen auf Onlinekaufhäusern werfen. Umso erstaunlicher, wie viele Wagnisse der Zombiefilm Maggie eingeht – und wie sehr er dabei gewinnt. Regisseur Henry Hobson stellt die Menschlichkeit seiner Figuren in den Vordergrund, die Auseinandersetzung mit dem Sterben unter der Prämisse einer Zombiepandemie. Dies ist der Film, der die unsägliche erste Staffel des TV-Untoten-Ablegers Fear the Walking Dead hätte sein können, wenn sie sich für Figuren, ihre Gefühle und ihren Umgang mit Ausnahmesituationen wirklich interessiert hätte.

Irgendwann in der näheren Zukunft: ein bisher unbekanntes Virus machte die Menschen zu Zombies und vernichtete große Teile der Ernten. Inzwischen gilt die Pandemie als einigermaßen eingedämmt, außerhalb von Quarantänezonen können sich die Menschen wieder frei bewegen. Doch noch immer müssen große Teile der landwirtschaftlichen Erzeugnisse verbrannt werden, um das Virus an einer weiteren Verbreitung zu hindern. In dieser trostlosen, sich ihrer eigenen prekären Lage sehr wohl bewussten Welt wird die Teenagertochter Maggie (Abigail Breslin) des Farmers Wade (Arnold Schwarzenegger) gebissen und ihr Schicksal damit besiegelt. Es bleiben nur noch wenige Wochen voller Veränderungen, bis aus Maggie ein gefühlstoter Ghul mit Appetit auf das Fleisch der Lebenden werden wird. Unter den skeptischen Blicken ihrer Stiefmutter Caroline (Joely Richardson) versuchen Vater und Tochter, sich in dieser Zeit irgendwie voneinander zu verabschieden. Doch je weiter die Infektion voran schreitet, desto gefährlicher wird Maggie für ihre Mitmenschen, während Wade das Unvermeidliche nur noch weiter hinauszögert …

Maggie thematisiert das, was im „klassischen“ Zombiefilm und der TV-Serie The Walking Dead zu einer Randnotiz verkommen ist: das Töten von Menschen. Denn so schrecklich die Auswirkungen einer Transformation in einen Untoten auch sein mögen, vorher hat man es immer mit einem gefühlsfähigen Menschen zu tun, der die Veränderungen und die Reaktionen der Mitmenschen auf sie sehr genau mitbekommt (über die Einordnung der nachfolgenden Existenz in das Menschlichkeitsschema reden wir an dieser Stelle gar nicht). Was bedeutet das Wissen um das Unvermeidliche für den betroffenen Menschen, für die ihm oder ihr nahestehenden? Dawn of the Dead und seine Ableger, Nachahmer und Nachfolger vermeiden die Auseinandersetzung, „die Sache“ muss schnell erledigt werden, das Töten wird zu einem möglichst ökonomisch vorzunehmenden Übel. Danach muss es weitergehen, vor allem in The Walking Dead zeichnen sich die Figuren durch eine beeindruckende Amnesie ihren verstorbenen Mitmenschen gegenüber aus. In Maggie ist daran nicht zu denken, die Welt ist in einen beinahe katatonischen Zustand gefangen – die Menschen funktionieren, aber es liegt eine mit den Händen greifbare Schwere über ihnen. Die Zombies sind gefährlich, ja, aber sie sind für die Überlebenden auch immer noch die Menschen, die sie einst waren. Ehefrauen verstecken ihre untoten Ehemänner und Kinder in ihrem Haus, wohl um die Konsequenzen wissend, aber dennoch unfähig, sich von der unbegründeten Aussicht auf Heilung zu trennen. Es ist eine Welt, die die Hoffnung verloren hat, in der Beteuerungen von einem nach der Pandemie anbrechenden besseren Leben wie Lippenbekenntnisse in der Luft hängen. Es kann nichts wieder normal werden, dies ist die Aufgabe für kommende Generationen und ob diese überhaupt eine Zukunft haben werden, verleiht dem Film eine derartige Melancholie, dass man immer wieder erstaunt ist, wie sehr der Film das Subgenre des Zombiefilms gleichzeitig unterwandert wie bekräftigt. Als Genrefilm weiß Maggie darum, wie die Dramaturgie auszusehen hat und füllt die sonst vorhandenen emotionalen Leerstellen konsequent auf. An der Zombieapokalypse ist nichts „cooles“, es ist eine Parabel auf die Leidensfähigkeit des Menschen, auf seine Gefühle, die gleichermaßen Fluch wie Segen sind.

Die Besetzung Arnold Schwarzeneggers in der Rolle des hilflosen Vaters ist dabei ein besonderer Coup, der auf interessante Weise die veränderten Verhältnisse illustriert, seit Schwarzenegger in den 1980er Jahren zum Inbegriff des männlichen Helden wurde. In gewisser Weise ist Maggie eine konsequente Weiterentwicklung in seiner Karriere. Vom nur aus Bizeps bestehenden Actionhelden in Predator zum sich langsam anderen Aufgaben zuwendenden Mann in Terminator 2 – Tag der Abrechnung und Kindergarten Cop zu weicheren Inkarnationen in Junior und Versprochen ist versprochen ist er in Maggie vielleicht zum ersten Mal ein vollständiger Mann, ein role model für das 21. Jahrhundert, dass die testosterongeschwängerten Rituale und Symbole der 80er und frühen 90er nicht mehr kritiklos als Abbild „wahrer“ Männlichkeit ansehen mag. Schwarzeneggers Wade kann sich wehren, körperlich brutal agieren – wenn es unbedingt notwendig ist. Ansonsten geht es ihm darum, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen, Vater und Ehemann zu sein – und auch den Konsequenzen ins Auge zu schauen, wenn er auf dem einen oder anderen Gebiet scheitert. Dieser „Arnie“ läuft nicht einen Weg entlang, während irgendetwas hinter ihm explodiert, er schießt keine Terroristen aus Hochhäusern – weil er ein Mensch ist; ein Mensch, der sich in einer untergehenden Welt ein kleines Stück persönlichen Glücks erhalten möchte. Starker Tobak für ein Subgenre, das sonst das kunstvolle Abwehren von entmenschlichten Körpern zum Inhalt hat.

So ist Maggie ein ungewöhnlicher Film, mehr Drama als Horror, und als solcher schon fast auf Kritik der eingangs erwähnten Genrefans programmiert. Nicht wenigen wird es wie eine Verschwendung vorkommen, dass aus der Konstellation Schwarzenegger/Zombies nicht eine Reminiszenz an das Actionkino vergangener Dekaden geworden ist. Für alle, die für eine erweiterte Definition des Genres offen sind (denn schließlich ist der Verlust einen geliebten Menschen mehr Horror als alle Zombiefilme zusammen), dem bietet Maggie ein lohnendes, melancholisches, nachdenkliches Erlebnis. It’s not your average zombie flick – und genau das macht ihn so stark.




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