Freitag, 27. Juni 2014

Nebraska (2013)




NEBRASKA
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 16.01.2014
Regie: Alexander Payne

IMDB informiert den interessierten Leser, dass Alexander Paynes Nebraska auf diversen Filmfestivals in den unterschiedlichsten Kategorien insgesamt 73mal nominiert war, darunter sechsmal für den Oscar. Der Name Bruce Dern schiebt sich dabei beständig in den Vordergrund und man könnte den Eindruck gewinnen, Dern würde den Film fast alleine tragen. Umso erstaunter muss man feststellen, dass dem nicht so ist. Der Altstar ist zwar zweifellos hervorragend in seiner Rolle, doch der eigentliche Hauptdarsteller ist Will Forte (TVs Saturday Night Live) als Filmsohn David. Dennoch wird Forte bestenfalls mit einer Nominierung als bester Nebendarsteller bedacht, was ihm, seiner Leistung vor allem seiner Rolle Unrecht tut. Nebraska ist, wenn schon, ein Film mit zwei gleichberechtigten Mimen, die sich auf unaufdringliche Art die Seele aus dem Leib spielen und dabei auch noch von einer ganzen Schar hervorragender Darsteller unterstützt werden. Still und leise erzählt Payne mit ihnen eine bemerkenswert universell einsetzbare Familiengeschichte, die für manchen oberflächlich betrachtet vielleicht belanglos wirken mag, aber sehr viel über menschliche Beziehungen, eben gerade die unaufkündbaren interfamiliären, erzählt.

Woody Grant (Bruce Dern) ist ein vom fast lebenslangen Alkoholmissbrauch gezeichneter Mann. Sein Körper wirkt wie eine rostige Maschine und auch die Zurechnungsfähigkeit lässt nach. So versteht er auch nicht, dass er einem Werbegag aufsitzt, als ihm eine Postwurfsendung einen Gewinn von einer Million Dollar verspricht, abzuholen in Lincoln, Nebraska. Nach einigen fruchtlosen Versuchen, den störrischen Alten von seinem Plan abzubringen, macht sich der jüngere Sohn David (Will Forte) schließlich mit seinem Vater auf den Weg von Montana aus zum Ort der Verheißung – nicht ganz uneigennützig, denn David hofft, auf diesem Weg endlich einen Zugang zu seinem stoischen Erzeuger zu bekommen. Es wird ein Roadtrip der kuriosen und melancholischen Art und als die beiden in Montana bei Woodys Bruder Ray (Rance Howard) und seiner Frau Martha (Mary Louise Wilson) in der Heimatstadt des Vaters zwischenhalten, beginnen auch bald interfamiliäre Abrechnungen – schließlich ist Woody ja jetzt Millionär…

Nebraska ist ein Film über Abhängigkeiten und die wunderlichen Gefüge, die in einer Familie walten. Woody wird als Mann gezeichnet, der sich zeit seines Lebens nicht viele Gedanken über die Situationen gemacht hat, in die er hineingerät. Es wurde geheiratet, weil man das eben so machte, Kinder entstanden aus der Konstellation katholische Mutter und Vater mit Freude am Sex, ein bewusster Entscheidungsprozess lag dem nicht zugrunde. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Woody seinen Alkoholismus nie in Frage gestellt hat. Bier klassifiziert er nicht als Alkohol und wenn man selbst kein Problem erkennt sucht man auch nicht nach Hilfe. Die Grants sind eine Familie Co-Abhängiger, in der jeder seine eigenen Wege gefunden hat, mit der belastenden Situation umzugehen. Der ältere Sohn Ross (Bob Odenkirk) stürzt sich in die Arbeit, die Mutter Kate (June Squibb) ist nur noch am nörgeln (und hat ihren strengen Katholizismus im Laufe der Zeit augenscheinlich aufgegeben), was am stets abwesend wirkenden Woody abprallt. David hingegen schwankt zwischen Resignation und verzweifelten Versuchen, doch noch an den Mann, der sein Vater ist, heranzukommen. Dabei begeht Nebraska nicht den Fehler, die Situation in einer generischen Hollywoodsituation aufzulösen. Es gibt keinen großen Knall, keine Aussprache, die Woody läutert oder David vollends beglückt zurücklässt. Am Ende sind die Probleme immer noch da, aber für David haben sich neue Wege eröffnet, mit der Situation umzugehen. Der Alkoholmissbrauch wird mosaikartig erklärt, wenn auch nicht entschuldigt – Woody ist ein Opfer seiner eigenen Biographie und der (wohl generationenbedingten) Unfähigkeit, Gefühle und Gedanken in eine nicht nach innen gerichtete Sicht zu kanalisieren.

Nebraska hat seine durch und durch humorvolle Szenen, spart aber auch in ihnen nicht an einer melancholischen Grundhaltung. So ist der Abstecher zum Mount Rushmore, den Vater und Sohn auf dem Weg nach Lincoln unternehmen, gleichermaßen amüsant, weil Woody eine sehr eigene Sicht auf das Nationaldenkmal formuliert, wie ernüchternd, weil Davids Freude an der Möglichkeit, ein Erlebnis mit dem Vater zu teilen, vollkommen konterkariert wird. Dem Alkoholiker ist die Gefühlswelt anderer noch egaler als die eigene und David tut sich sichtlich schwer daran, diese Tatsache zu akzeptieren. Auch die grandiose Szene, in der Ross und David einem vermeintlich ihrem Vater gehörenden Kompressor stehlen, beinhaltet das Element der Ernüchterung, weil Woody einfach unfähig ist, seine Gedanken in einem normalen Dialog zu äußern.
Neben der sehr kenntnisreichen Schilderung einer Beziehung zu einem trinkenden Familienmitglied wirft der Film auch einen wissenden Blick auf sonstige familiäre Gefüge. So sind die tumben Cousins Davids natürlich Karikaturen, Klischees, aber auch gar nicht mal so abwegige Platzhalter für all jene Familienmitglieder, mit denen eine fruchtbare Diskussion nicht möglich ist, weil sich die Denk- und Erfahrungswelten so sehr voneinander unterscheiden. Natürlich sieht Payne den Zuschauer mehr in der Rolle Davids, weil ihm wohl bewusst ist, dass die Cousins des echten Lebens eher keinen Schwarz/Weiß-Film wie Nebraska schauen. Das mag man plump finden, entbehrt aber auch nicht einem gewissen Wahrheitsgehalts, ebenso wie die einsilbige Kommunikation, die Payne unterhaltsam-quälend in Szene setzt. Wohl dem, dessen Familie zu den kommunikativeren zählt.

So ist Nebraska ein sehr ehrlicher Film mit einem ruhigen, aber nicht langweilenden Duktus geworden. Getragen von grandiosen Darstellern, vielen wunderbaren Nuancen (Forte und Odenkirk beispielsweise kommunizieren auf eine Weise, als wären sie wirklich Geschwister), einem herrlichen Score und einem feinen Blick für Beziehungen und deren Dynamiken ist es sicher kein Film der großen Worte oder der definierten Narrative (die Handlung ist eine Momentaufnahme). Aber wenn sich die Figuren und mit ihnen der Zuschauer am Ende wieder auf den Weg nach Montana machen, kommt man nicht umhin, sich bereichert von diesem tragisch-komischen ganz normalen Lebenswahnsinn zu fühlen.



2 Kommentare:

  1. Eine überzeugende Apologie der Elemente in "Nebraska", die mir nicht so gut gefielen (die Cousins und der Umgang mit Alkoholismus etwa). Schön auch, dass du Will Forte so ausdrücklich lobst. Ich fand es sehr bedauerlich, dass er in der allgemeinen Rezeption so wenig bedacht wurde, obwohl er dem Film so viel Wärme schenkt und Bruce Dern erst einen menschlichen Gegenspieler bietet.

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    1. Ohne Forte wäre "Nebraska" so ein radikal anderer Film geworden. Ich finde es auch sehr befremdlich, dass alle Bruce Dern so sehr loben, wodurch sie Forte darüber vollkommen vergessen.

      Und die Cousins liebt man oder hasst man, glaube ich. Aber man kennt solche Leute, darum drücke ich dir die Daumen, dass das bei dir nicht so ist und sie deshalb bei dir durchgefallen sind. ;-)

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