ALL IS LOST
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 09.01.2014
Regie: J.C. Chandor
Dt. Erstaufführung: 09.01.2014
Regie: J.C. Chandor
Immer wieder kommt es vor, dass Filme mit ganz ähnlichen
Prämissen zeitnah den Weg ins Kino finden. Auf den superben Antz folgte Das große Krabbeln, vor Armageddon
– Das jüngste Gericht kam Deep Impact
– Der Einschlag, jüngst dürften mehr Menschen Captain Phillips gesehen haben als den hervorragenden dänischen
Film zum Thema Piraterie, Hijacking –
Todesangst: In der Gewalt von Piraten. Einen ähnlichen Kampf um
Aufmerksamkeit können sich nun Gravity
und All Is Lost liefern, geht es doch
in beiden um Menschen in Extremsituationen, die sie ständig am Rand des Todes
halten. Zugegebenermaßen sind die Vorzeichen und vor allem die Ausführung dann
doch unterschiedlich, aber die Filme ergänzen sich auf ungeahnte Weise. All Is Lost als den „besseren“ Gravity hinzustellen läuft demnach
ziemlich ins Leere und sagt sehr viel mehr über den Rezensenten aus als über
den eigentlichen Film oder sein Verhältnis zu einem anderen Werk, das mit einem
vergleichbaren Plot arbeitet. Unbestreitbar ist All Is Lost sperriger als Gravity,
weit weniger für den durchschnittlichen Cineplex-Besucher geeignet, aber das
macht ihn nicht zu einem schlechteren (oder besseren) Film.
Ein Mann ohne Namen (Robert Redford) ist allein mit seinem
kleinen Schiff im Indischen Ozean, 1700 Seemeilen vor Sumatra, unterwegs, als
er versehentlich einen im Wasser treibenden Container rammt. Dieser Unfall
reißt ein Loch in die Schiffswand und auch wenn es dem Mann gelingt, es wieder
zu schließen, geht es mit seiner Reise danach zusehends bergab: die Naturgewalten
setzen ihm und seinem Schiff so zu, dass irgendwann nur noch die Flucht auf das
wenig komfortable Rettungsboot bleibt. Fernab von allen internationalen
Schiffsrouten geht langsam, aber sicher, sein Vorrat an Trinkwasser und Verpflegung
zur Neige…
Die deutsche Synchronstimme von Redford wird an All Is Lost nicht viel verdient haben
und es ist fraglich, ob die Aufnahmen mehr als einen halben Tag Arbeit in
Anspruch genommen haben, denn geredet wird hier so gut wie gar nicht. Selbst
der Monolog, der die Geschichte einläutet wirkt wie eine nachträgliche Idee, um
den Zuschauer zumindest ein bisschen am Innenleben des Protagonisten teilhaben
zu lassen. Mit wem sollte sich der lediglich als „Our Man“ in den Credits identifizierte
Seemann auch unterhalten? Andere Menschen kommen lediglich als Erinnerungen
vor, bestenfalls als Schemen, man ist 100 Minuten vollkommen allein mit
Redford, der eine grandiose Darbietung abliefert. Man erfährt so gut wie nichts
über ihn, kennt den Grund seiner Reise nicht, auch wenn es ein paar
Anhaltspunkte gibt, jedoch nichts Konkretes. Redfords Figur ist reduziert auf
ihre pure Menschlichkeit, eine gute Projektionsfläche für das Publikum, auch
wenn man zugeben muss, dass eine plakative Charaktersierung wie in Gravity dem Erlebnis auch nicht
geschadet hätte.
Natürlich muss man noch einmal auf Gravity zu sprechen kommen. Es ist gar nicht die Verhandlung von
Einsamkeit, die überwältigende Erkenntnis, jeden Moment sterben zu können, die
Hilfslosigkeit gegenüber den Naturgewalten, also alle Motive, die beiden Filmen
gemein sind, die sie zu einem interessanten Double
Feature machen, sondern die Generationsunterschiede, die sich in ihnen
offenbaren. Sandra Bullock in Gravity
ist deutlich jünger als Redford, sie kämpft, strampelt, schreit, will sich
nicht mit der Situation abfinden, redet mit imaginären und wirklichen
Gegenübern, führt Selbstgespräche (auch, um das Publikum zu unterrichten).
Redford hingegen ist ein alter Mann (keineswegs despektierlich gemeint),
Angehöriger einer Generation, die das Alleinsein sehr viel besser verkraften
und vor allem aushalten kann als die nachfolgenden. Er ist ungemein stoisch,
Probleme sind zum Lösen, nicht zum Verzweifeln da. Die aufkommenden Gefühle von
Panik überwältigen ihn nur kurz, während sie Bullocks alleiniger Antrieb sind.
Es dauert sehr lange, bis sich Redfords Seemann zu einem „Fuck!“ durchringen
kann, bis er beginnt, an seiner Situation zu verzweifeln. Redfords Figur ist
ein Macher, einer, der nicht viele Worte um etwas verliert (sicherlich nicht
nur, wenn er mutterseelenallein auf dem Ozean treibt), sondern anpackt. So
verläuft eine wesentliche Unterscheidungslinie zwischen Gravity und All Is Lost
nicht zwischen den Settings oder den Schauspielern als solche, sondern zwischen
ihren Lebensjahren. Erst durch All Is
Lost wird gewahr, wie sinnvoller ein Schauspieler wie Redford in der von
George Clooney verkörperten Rolle in Gravity
gewesen wäre.
All Is Lost
fordert den Zuschauer dahingehend, dass er sich sehr viel selbst erarbeiten
muss. Regisseur J.C. Chandor kaut nichts vor, er vertraut ganz auf das Können
seines einsamen Stars und auf die Intelligenz des Publikums, ihn auch lesen zu
können. Dabei wird es gestalterisch manchmal etwas unglücklich, wenn der Film
erstaunlich wenig aus der Weite des Schauplatzes macht und mitunter irritierend
nah an Redford bleibt, als wäre die Kamera in Armlänge an ihm festgeklebt. Für
jede Szene, die Gespür für die Relationen vermittelt, gibt es eine, die dazu
nicht imstande ist. Insgesamt aber ist All
Is Lost so spannend geraten, dass dies nicht weiter ins Gewicht fällt. Man
feuert Redford an, brüllt manchmal innerlich, er möge sich schneller aus dieser
oder jener Situation bewegen, leidet mit und befindet sich trotz des stoisch-ruhigen
Spiels des Protagonisten stets in einer ähnlichen Ausnahmesituation wie „Our
Man“. All Is Lost ist eine
gleichermaßen aufreibende wie meditative Auseinandersetzung mit Leben und Tod,
mit menschlichen Grenzerfahrungen, die unweigerlich nach einer ganz
persönlichen Einschätzung verlangen: Wie würde ich handeln?
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