DER ILLUSIONIST
(L’illusionniste)
Frankreich/Großbritannien 2010
Dt. Erstaufführung: 18.10.2012
Regie: Sylvain Chomet
Dt. Erstaufführung: 18.10.2012
Regie: Sylvain Chomet
Es ist mal wieder an der Zeit, den
deutschen Filmverleih zu hinterfragen. Seine Weltpremiere feierte die
französisch-britische Koproduktion Der
Illusionist Anfang 2010 auf der Berlinale, bevor er erst Monate später in
seinen Entstehungsländern auf der Leinwand zu sehen war. Es folgte eine Tour
über diverse internationale Filmfestivals, bis er ab Ende 2010 bis Ende 2011 in
diversen Ländern rund um den Globus ins Kino kam. Nur im Premierenland
Deutschland nicht. Erst im Oktober 2012 entschloss sich das so verlässliche wie
cinephile Label Arthaus dazu, dem
breiteren Publikum den Film nicht mehr vorzuenthalten. Wobei „breiteres
Publikum“ in diesem Fall relativ ist, denn Der
Illusionist ist zwar ein Animationsfilm, aber von den marktbeherrschenden US-amerikanischen
Produktionen meilenweit entfernt. Nicht nur, dass er klassische
handgezeichneten Trickfilm der Extraklasse bietet und nicht am Rechner
erschaffen wurde, er ist auch mehr oder minder ein Stummfilm. Worte fallen spärlich,
Dialoge sind quasi nichtexistent. Der
Illusionist lebt voll und ganz durch seine berauschende künstlerische
Qualität, die sogar die inhaltliche Ebene auf einen hinteren Rang verweist.
1959: in Paris neigt sich die Karriere eines alternden
Magiers unaufhaltsam dem Ende entgegen. Seine Künste sind nicht mehr gefragt,
die Menschen jubeln lieber den aufkommenden Rockstars zu als einem Mann, der
ein außergewöhnlich dickes Kaninchen aus dem Hut zaubert. Sein Weg verschlägt
ihn irgendwann in die schottische Provinz, in der seine Darbietungen noch
besser ankommen. Dort lernt er eine junge Frau namens Alice kennen, die seine
Magie für Realität hält. Die beiden reisen nach Edinburgh, wo der Illusionist
sich mit allerlei zunehmend unwürdigeren Jobs über Wasser zu halten versucht…
Basierend auf einem Drehbuch von Filmlegende Jacques Tati
wurde Der Illusionist von Sylvain
Chomet inszeniert, der einen verdienten internationalen Erfolg mit seinem
herrlich verqueren Das große Rennen von
Belleville feierte. Und auch wenn die Animationen hier sauberer und das
Design „mainstreamtauglicher“ daherkommt, ist Der Illusionist doch erfrischend anders als alles, was Disney, DreamWorks
& Co. auf das Publikum loslassen. Dies hat sich beispielsweise bei der
Vergabe der Oscars für den besten animierten Spielfilm noch nicht
niedergeschlagen (Der Illusionist
verlor, in diesem Fall womöglich gerechtfertigt, gegen Toy Story 3), aber die bloße Nominierung dürfte Werken wie diesem
oder beispielsweise Brendan und das
Geheimnis von Kells oder Ernest &
Célestine automatisch eine höhere Aufmerksamkeit bescheren, als sie sonst
zu generieren imstande wären.
Der Illusionist
ist eine künstlerische Meisterleistung, ohne Frage. Die Charakteranimation ist
famos, die Schauplätze mit unbeschreiblicher Wärme und Talent gezeichnet, die
Farbgebung passt sich harmonisch dem melancholischen Ton an, den Chomet
bemerkenswert konsistent durchhält. Wem die wenigen Auftritte des renitenten
Kaninchens (dem jegliche anthropomorphen Züge abgehen) nicht als Auflockerung
reichen, der wird vielleicht irritiert von den wenigen durch und durch
humorvollen Einlagen sein, vom Ton eines Films aus einer Richtung, die immer
noch mit dem beharrlichen Vorurteil zu kämpfen hat, lediglich für Kinder und
Familien interessant zu sein. Der solitäre Erwachsene schaut sich bekanntlich
keine Trickfilme an.
Doch Der Illusionist dürfte dank seiner bittersüßen Atmosphäre und den Themen, die er anspricht, für Erwachsene etwas gelungener ausfallen als für Kinder, vor allem, wenn sie ausschließlich mit den Narrativen des Mainstreams vertraut sind (was nicht ausschließen soll, dass Chomet auch Kindern neue ästhetische Welten eröffnen kann).
Doch Der Illusionist dürfte dank seiner bittersüßen Atmosphäre und den Themen, die er anspricht, für Erwachsene etwas gelungener ausfallen als für Kinder, vor allem, wenn sie ausschließlich mit den Narrativen des Mainstreams vertraut sind (was nicht ausschließen soll, dass Chomet auch Kindern neue ästhetische Welten eröffnen kann).
So sehr der Film sinnlich erfahrbar, so sehr seine
künstlerische Leistung über alle Zweifel erhaben ist, so sehr tritt die
eigentliche Geschichte in den Hintergrund. Am stärksten ist Der Illusionist, wenn er von dem Zerfall
der Welt seines Protagonisten erzählt. Eine der gelungensten Sequenzen ist
jene, in der der altmodische Unterhalter hinter der Bühne wartet, während eine
stark an die Beatles erinnernde Band eine Zugabe nach der anderen für das
vornehmlich kreischende Publikum junger Frauen gibt. Wenn sich der Vorhang
wieder hebt, sind nur noch eine alte Dame und ihr ungeduldiger Enkel im
Auditorium – und nur sie kann der Vorstellung etwas abgewinnen. Die Zeit rinnt
dem Magier zusehends durch die Finger, der Zeitgeist ändert sich, er ist dazu
immer weniger in der Lage. In diesen Momenten entwickelt der Film eine
beachtliche Kraft, die er immer dann verliert, wenn sich Chomet mehr auf Alice
und ihre Beziehung zu dem Illusionisten fokussiert.
Alice ist extrem naiv – so sehr, dass die Glaubwürdigkeit der Figur darunter leidet. Dass sie die Illusionen für bare Münze nimmt, ist zwar ein hübscher Einfall, doch Alice ist eigentlich zu alt für derlei Gutgläubigkeit, erst recht, wenn der Magier ihr all ihre Konsumwünsche erfüllt. Auch 1959 dürfte es kaum einen Menschen in Schottland gegeben haben, dem die wirtschaftlichen Zusammenhänge im Kapitalismus so fremd waren wie Alice. Sie glaubt lange, dass all das, was der Illusionist für sie herbeizaubert (Schuhe, Mäntel, etc.) wirklich durch Zauberei den Weg in seine Hände findet anstatt durch Arbeit, Lohn und Warenverkehr. So steht Alice manchmal in einem recht ungünstigen Licht da, als Anhängsel, das dem Protagonisten das Leben noch schwerer macht, als es ohnehin schon ist. Zwar liefert der Film eine Erklärung für die väterliche Hingabe, die der Magier an den Tag legt (und Chomet klatscht diese Erklärung wohl aus Angst, jemand könnte es nicht verstanden haben, ziemlich penetrant am Ende ins Bild), aber so wirklich organisch fühlt sich dieser zentrale Punkt nie an, sieht man mal von den ersten Begegnungen in der Provinz ab.
Alice ist extrem naiv – so sehr, dass die Glaubwürdigkeit der Figur darunter leidet. Dass sie die Illusionen für bare Münze nimmt, ist zwar ein hübscher Einfall, doch Alice ist eigentlich zu alt für derlei Gutgläubigkeit, erst recht, wenn der Magier ihr all ihre Konsumwünsche erfüllt. Auch 1959 dürfte es kaum einen Menschen in Schottland gegeben haben, dem die wirtschaftlichen Zusammenhänge im Kapitalismus so fremd waren wie Alice. Sie glaubt lange, dass all das, was der Illusionist für sie herbeizaubert (Schuhe, Mäntel, etc.) wirklich durch Zauberei den Weg in seine Hände findet anstatt durch Arbeit, Lohn und Warenverkehr. So steht Alice manchmal in einem recht ungünstigen Licht da, als Anhängsel, das dem Protagonisten das Leben noch schwerer macht, als es ohnehin schon ist. Zwar liefert der Film eine Erklärung für die väterliche Hingabe, die der Magier an den Tag legt (und Chomet klatscht diese Erklärung wohl aus Angst, jemand könnte es nicht verstanden haben, ziemlich penetrant am Ende ins Bild), aber so wirklich organisch fühlt sich dieser zentrale Punkt nie an, sieht man mal von den ersten Begegnungen in der Provinz ab.
Mit einer Lauflänge von unter 80 Minuten ist Der Illusionist ein kurzer Ausflug in
eine Filmwelt, die nur noch von wenigen Werken, egal ob animiert oder nicht,
besucht wird. Vom sinnlichen Standpunkt aus könnte man sich noch viel länger in
Chomets wunderbarem Kosmos aufhalten, in dem das Design stets nach dem
grotesken, nach dem abwegig-schönem im Menschen sucht, anstatt sich auf einen
gängigen Schönheitskonsens einzulassen. Inhaltlich fällt der Film durch einige
Disharmonien etwas ab, aber es sind die Ästhetik und die technisch virtuose
Umsetzung, die Der Illusionist immer
wieder retten.
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