Montag, 16. Juni 2014

Muxmäuschenstill (2004)


MUXMÄUSCHENSTILL
Deutschland 2004
Dt. Erstaufführung: 08.07.2004
Regie: Marcus Mittermeier

Muxmäuschenstill ist ein Film zum Fremdschämen. Nicht, weil er als Werk an sich grauenhaft wäre oder die Schauspieler ihr Talent nur behaupten würden, sondern weil er mit seiner Hauptfigur von der ersten Minute an die Grenzen des Ertragbaren geht. Der Protagonist in diesem Film ist der widerliche Pedant, der jedem Zuschauer zumindest in rudimentären Zügen innewohnt und Jan Henrik Stahlberg, der auch das Drehbuch verfasste, scheut nicht davor zurück, seinen Fanatiker der besonderen Art in eine peinlich-grausame Szene nach der anderen zu manövrieren. In einem anderen Film wären die unzähligen Fettnäpfchen, in die die Hauptfigur sehenden Auges hineinstolpert, ein Grund zum erleichterten Lachen, ein Grund zur Marginalisierung des Charakters – ein Tor kann uns nichts anhaben. Doch der von Marcus Mittermeier inszenierte Film ist zu klug und zu zynisch, um nach den Gesetzen der gängigen Komödie zu funktionieren. Muxmäuschenstill ist bitterböse und das Lachen bleibt oft im Halse stecken, nur um sich dann aufgrund der „realistischen Unwirklichkeit“ der Szenen wieder Bahn zu brechen.

Mux (Stahlberg) ist an die 30 Jahre alt, lebt in Berlin und hat seinen Mitmenschen den Kampf angesagt. Mit deutscher Gründlichkeit widmet er sich ihren Verfehlungen wie Geschwindigkeitsüberschreitungen oder dem Erschleichen von Leistungen – vulgo: dem Nicht-Lösen von Bahntickets. Seine Pedanterie hält er auf Video fest und muss irgendwann feststellen, dass er sich seinen selbstgewählten Aufgaben nur unzureichend widmen kann, wenn er immer eine Hand zum filmen frei haben muss. Darum stellt er den Langzeitarbeitslosen Gerd (Fritz Roth) in seine Dienste, der fortan den Kreuzzug dokumentiert, auf das aus dem Material ein abschreckendes Video zu Illustrierung von Mux‘ Manifest zur Verbesserung der Gesellschaft werden möge. Je elaborierter das Unterfangen wird, desto mehr treten Mux‘ soziopathische Züge zu Tage…

Muxmäuschenstill ist im Stil einer verwackelten Pseudo-Dokumentation á la The Blair Witch Project gedreht, viel Raum nehmen die „Dokumentarbilder“ von Gerd ein, aber auch, wenn der Film in die Totalen geht bewahrt er sich den Charme eines besonders dilettantisch gedrehten Dogma 95-Films oder eines billigen, auf Video gedrehten Heimfilms. Wenn man sich nicht mit der bewusst mies gehaltenen Qualität der Bilder arrangieren kann, nimmt dies womöglich viel Freude aus dem inhaltlich gut durchdachten Film heraus. Alle anderen sehen einen reichlich kompromisslosen Film, der ein wenig wie eine Denunzianten-Version von Mann beißt Hund wirkt.
Mittermeier und Stahlberg spielen süffisant mit den Gefühlen des Publikums, indem sie ständig Kapitalverbrechen mit alltäglichen „Kavaliersdelikten“ mischen. So wird in Mux‘ Welt wenig Unterscheidung zwischen einem überführten Vergewaltiger und einer Truppe unbedarfter Touristen gemacht, die kein Ticket für ihre Bahnfahrt vorweisen können. Geradezu beiläufig erklärt der Film, wie sich Gerd und Mux finanzieren: sie kassieren von den Delinquenten eine Gebühr, eine Weiterleitung an die Polizei erfolgt meist nicht. Es geht schlicht um die Ausführung eines pervertierten Bürgerwehr-Gedankens, um das Rechthaben, um die selbstherrlichen und auch verzweifelten Versuche, die Welt nach einem bestimmten Ordnungsprinzip gefügig zu machen. Durch die ständige Überschreitung von Grenzen, durch das Mischen von Banalem und Kapitalem bringt der Film den moralischen Kompass ständig durcheinander. Wenn Mux einen prolligen Verkehrsrowdy stellt und ihn zwingt, das Lenkrad abzuschrauben, dann mag man noch feixen, wenn er einem Kinderschänder lieber eine Videokassette rektal einführt, anstatt ihn mitsamt des „beschlagnahmten“ kinderpornographischen Materials bei den Behörden abzuliefern, wird die Sache schon schwieriger. Mux bestraft öffentliche Urinierer genauso wie Exhibitionisten, Menschen, die den Kot ihres Hundes nicht entsorgen ebenso wie Sprayer, Falschparker, Mörder und Räuber. Den versehentlichen Tod eines Überführten nimmt er hin und schiebt ihm auch noch die Schuld zu. Mux ist ein lupenreiner Soziopath, ein Mensch, dessen Pedanterie solche pathologischen Ausmaße angenommen hat, dass er seinerseits zu einer Gefahr für eben jene Gesellschaft wird, die er zu verbessern versucht. Er ist der ultimative Spießbürger, ein Mann, der nicht zur Selbstanalyse fähig ist, der sich berufen fühlt, über alles und jeden zu richten. Es ist immer schädlich, wenn jemand glaubt, die alleinige Wahrheit gepachtet zu haben, und sei es auch nur darüber, wie man sich im öffentlichen Raum zu bewegen hat. Wie gesagt, es ist die Diskrepanz in der Figur, die Uneinigkeit in Wort und Tat, die Mux zu einem grandiosen Charakter macht, bei dem man sich nie sicher sein kann, was er als nächstes tun wird. Gerade bei der Erstsichtung entfaltet Muxmäuschenstill so eine beachtliche Sogwirkung.

Gerade durch das ständig lavierende Ambivalente verzeiht man Muxmäuschenstill auch gelegentliche Längen und einige brennende Fragen, die nie beantwortet werden, wie z.B. wo die Polizei in dieser Welt eigentlich ist. Soll man ihre Abwesenheit als weiteren Kommentar lesen, der Mux‘ Werdegang nur noch mehr erklärt, ein Stück weit gar legitimiert? Wie auch immer, trotz einiger Lücken, die mit fahrigen Sequenzen wie der Gesangseinlage in einer Kneipe nur unzureichend gefüllt werden, ist Muxmäuschenstill ein bemerkenswerter Film. Im Sommer 2004, als er ins Kino kam, entwickelte er sich dank Mundpropaganda gar zu einem Überraschungserfolg, während das deutsche Kino zeitgleich nur den unsäglichen (T)Raumschiff Suprise – Periode 1 zu bieten hatte. Muxmäuschenstill ist genretechnisch schwer zu katalogisierendes Kino der besonderen Art, geprägt von jenem Mut, der dem deutschen Film sonst so gern pauschal abgesprochen wird.


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