MUXMÄUSCHENSTILL
Deutschland 2004
Dt. Erstaufführung: 08.07.2004
Regie: Marcus Mittermeier
Dt. Erstaufführung: 08.07.2004
Regie: Marcus Mittermeier
Muxmäuschenstill
ist ein Film zum Fremdschämen. Nicht, weil er als Werk an sich grauenhaft wäre
oder die Schauspieler ihr Talent nur behaupten würden, sondern weil er mit
seiner Hauptfigur von der ersten Minute an die Grenzen des Ertragbaren geht.
Der Protagonist in diesem Film ist der widerliche Pedant, der jedem Zuschauer
zumindest in rudimentären Zügen innewohnt und Jan Henrik Stahlberg, der auch
das Drehbuch verfasste, scheut nicht davor zurück, seinen Fanatiker der
besonderen Art in eine peinlich-grausame Szene nach der anderen zu manövrieren.
In einem anderen Film wären die unzähligen Fettnäpfchen, in die die Hauptfigur
sehenden Auges hineinstolpert, ein Grund zum erleichterten Lachen, ein Grund
zur Marginalisierung des Charakters – ein Tor kann uns nichts anhaben. Doch der
von Marcus Mittermeier inszenierte Film ist zu klug und zu zynisch, um nach den
Gesetzen der gängigen Komödie zu funktionieren. Muxmäuschenstill ist bitterböse und das Lachen bleibt oft im Halse
stecken, nur um sich dann aufgrund der „realistischen Unwirklichkeit“ der
Szenen wieder Bahn zu brechen.
Mux (Stahlberg) ist an die 30 Jahre alt, lebt in Berlin und
hat seinen Mitmenschen den Kampf angesagt. Mit deutscher Gründlichkeit widmet
er sich ihren Verfehlungen wie Geschwindigkeitsüberschreitungen oder dem
Erschleichen von Leistungen – vulgo: dem Nicht-Lösen von Bahntickets. Seine Pedanterie
hält er auf Video fest und muss irgendwann feststellen, dass er sich seinen
selbstgewählten Aufgaben nur unzureichend widmen kann, wenn er immer eine Hand
zum filmen frei haben muss. Darum stellt er den Langzeitarbeitslosen Gerd
(Fritz Roth) in seine Dienste, der fortan den Kreuzzug dokumentiert, auf das
aus dem Material ein abschreckendes Video zu Illustrierung von Mux‘ Manifest
zur Verbesserung der Gesellschaft werden möge. Je elaborierter das Unterfangen
wird, desto mehr treten Mux‘ soziopathische Züge zu Tage…
Muxmäuschenstill
ist im Stil einer verwackelten Pseudo-Dokumentation á la The Blair Witch Project gedreht, viel Raum nehmen die „Dokumentarbilder“
von Gerd ein, aber auch, wenn der Film in die Totalen geht bewahrt er sich den
Charme eines besonders dilettantisch gedrehten Dogma 95-Films oder eines
billigen, auf Video gedrehten Heimfilms. Wenn man sich nicht mit der bewusst
mies gehaltenen Qualität der Bilder arrangieren kann, nimmt dies womöglich viel
Freude aus dem inhaltlich gut durchdachten Film heraus. Alle anderen sehen
einen reichlich kompromisslosen Film, der ein wenig wie eine
Denunzianten-Version von Mann beißt Hund
wirkt.
Mittermeier und Stahlberg spielen süffisant mit den Gefühlen
des Publikums, indem sie ständig Kapitalverbrechen mit alltäglichen „Kavaliersdelikten“
mischen. So wird in Mux‘ Welt wenig Unterscheidung zwischen einem überführten
Vergewaltiger und einer Truppe unbedarfter Touristen gemacht, die kein Ticket
für ihre Bahnfahrt vorweisen können. Geradezu beiläufig erklärt der Film, wie sich
Gerd und Mux finanzieren: sie kassieren von den Delinquenten eine Gebühr, eine
Weiterleitung an die Polizei erfolgt meist nicht. Es geht schlicht um die
Ausführung eines pervertierten Bürgerwehr-Gedankens, um das Rechthaben, um die
selbstherrlichen und auch verzweifelten Versuche, die Welt nach einem
bestimmten Ordnungsprinzip gefügig zu machen. Durch die ständige Überschreitung
von Grenzen, durch das Mischen von Banalem und Kapitalem bringt der Film den
moralischen Kompass ständig durcheinander. Wenn Mux einen prolligen
Verkehrsrowdy stellt und ihn zwingt, das Lenkrad abzuschrauben, dann mag man
noch feixen, wenn er einem Kinderschänder lieber eine Videokassette rektal
einführt, anstatt ihn mitsamt des „beschlagnahmten“ kinderpornographischen
Materials bei den Behörden abzuliefern, wird die Sache schon schwieriger. Mux
bestraft öffentliche Urinierer genauso wie Exhibitionisten, Menschen, die den
Kot ihres Hundes nicht entsorgen ebenso wie Sprayer, Falschparker, Mörder und
Räuber. Den versehentlichen Tod eines Überführten nimmt er hin und schiebt ihm
auch noch die Schuld zu. Mux ist ein lupenreiner Soziopath, ein Mensch, dessen
Pedanterie solche pathologischen Ausmaße angenommen hat, dass er seinerseits zu
einer Gefahr für eben jene Gesellschaft wird, die er zu verbessern versucht. Er
ist der ultimative Spießbürger, ein Mann, der nicht zur Selbstanalyse fähig
ist, der sich berufen fühlt, über alles und jeden zu richten. Es ist immer
schädlich, wenn jemand glaubt, die alleinige Wahrheit gepachtet zu haben, und
sei es auch nur darüber, wie man sich im öffentlichen Raum zu bewegen hat. Wie
gesagt, es ist die Diskrepanz in der Figur, die Uneinigkeit in Wort und Tat,
die Mux zu einem grandiosen Charakter macht, bei dem man sich nie sicher sein
kann, was er als nächstes tun wird. Gerade bei der Erstsichtung entfaltet Muxmäuschenstill so eine beachtliche
Sogwirkung.
Gerade durch das ständig lavierende Ambivalente verzeiht man
Muxmäuschenstill auch gelegentliche
Längen und einige brennende Fragen, die nie beantwortet werden, wie z.B. wo die
Polizei in dieser Welt eigentlich ist. Soll man ihre Abwesenheit als weiteren
Kommentar lesen, der Mux‘ Werdegang nur noch mehr erklärt, ein Stück weit gar
legitimiert? Wie auch immer, trotz einiger Lücken, die mit fahrigen Sequenzen
wie der Gesangseinlage in einer Kneipe nur unzureichend gefüllt werden, ist Muxmäuschenstill ein bemerkenswerter
Film. Im Sommer 2004, als er ins Kino kam, entwickelte er sich dank Mundpropaganda
gar zu einem Überraschungserfolg, während das deutsche Kino zeitgleich nur den
unsäglichen (T)Raumschiff Suprise –
Periode 1 zu bieten hatte. Muxmäuschenstill
ist genretechnisch schwer zu katalogisierendes Kino der besonderen Art, geprägt
von jenem Mut, der dem deutschen Film sonst so gern pauschal abgesprochen wird.
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