THE TREE OF LIFE
USA 2011
Dt. Erstaufführung: 16.06.2011
Regie: Terrence Malick
USA 2011
Dt. Erstaufführung: 16.06.2011
Regie: Terrence Malick
The Tree of Life
ist ein grandioser Kurzfilm. Bei einer Lauflänge von über zwei Stunden mag dies
seltsam klingen, aber so ist es. Terrence Malicks fünfte Regiearbeit in knapp
40 Jahren beinhaltet nichts geringeres als die Geschichte des Universums und
diese wird in etwa 25 Minuten vom ersten Augenblick bis zur filmischen
Gegenwart des ländlichen Texas der 1950er Jahre erzählt. Egal, wie oft man
Bilder von Vulkaneruptionen oder sich geschmeidig durchs Wasser bewegenden
Seeschnecken sieht, sie sind immer wieder faszinierend und das nutzt Malick
gekonnt aus.
So ist sein Mix aus Dokumentaraufnahmen (u.a. aus Home von Yann Arthus-Bertrand),
Computeranimationen sowie Fakt und Spekulation (z.B. darüber, wann und wo das
für den Film so wichtige Konzept der „Gnade“ in die Welt kam) ein filmischer
Hochgenuss, ein Loblied auf die Möglichkeiten des Kinos, Überwältigung in ihrer
schönsten Form. Das größte Problem aber ist, dass sich Malick zum einen nicht
wirklich entscheiden kann, was er erzählen möchte. Die einfachste Antwort wäre
wohl: Alles. Ziemlich ambitioniert, führt aber dazu, dass der Film im Endeffekt
gleichzeitig konzentriert und unfokussiert wirkt: als Ganzes funktioniert das
Werk nicht, die Einzelteile sind dafür von teils erstaunlicher Genialität. The Tree of Life ist weniger ein Film im
herkömmlichen Sinne, als eine Erfahrung, eine Suche nach den Antworten auf die
großen Fragen des Lebens. Das Malick sie nicht beantwortet, ist lobenswert. Das
er trotzdem viele Plattitüden bedient, weniger.
Protagonist der Geschichte ist Jack (Hunter McCracken),
ältester Sohn von Mr. O’Brien (Brad Pitt) und seiner Frau (Jessica Chastain).
Zusammen mit seinen zwei Brüdern wächst er im Texas der 1950er Jahre auf und
leidet mit fortschreitendem Alter zusehends unter seinem tyrannisch agierenden
Vater und seiner als devot und schwach empfundener Mutter. Sein Bruder R.L.
(Laramie Eppler) stößt ihn als musikalisches Wunderkind zusehends vom Thron.
Und als Erwachsener (Sean Penn) kann er den Tod von R.L. kaum verkraften.
Zum einen ist The Tree
of Life eine Coming-of-Age-Geschichte. Zum anderen ein präzise beobachtetes
Familiendrama, das aber kaum einen
Schritt über die gängigen Klischees hinausgeht. Der Vater ist ambivalent,
spielt überschwänglich mit seinen Söhnen, um sie im nächsten Moment emotional
zu drangsalieren. Die Mutter nimmt dies hin, ihre gelegentlichen Widerworte
verhallen ungehört unter der Soundtrackspur. Der Film nennt dies den Streit
zwischen Natur und Gnade und postuliert, dass sich jeder Mensch für einen der
beiden Pfade entscheiden muss. Man kann dies als Zwist zwischen den zwei Saiten
der menschlichen Natur deuten, oder zwischen Natur und Technik. Oder als Disput
zwischen Wissenschaft und Religion. Zumindest legt der recht plumpe Monolog der
Mutter zu Beginn des Films dies nahe, lautet der Tenor doch: „Die Natur ist
kalt, berechnend und nur auf ihren Vorteil und ihre Deutungshoheit aus, während
die Gnade liebt, vergibt und nur wer zu ihr findet, wird wirklich erlöst.“ Dies
ist keine buchstabengetreue Wiedergabe, trifft aber, denke ich, den Kern. Da
Malick keine letzten Antworten geben kann und will, flüchtet er sich so in
schwammige religiös-esoterische Erklärungsansätze. Man kann The Tree of Life als religiöse
Erbauungsphantasie lesen.
Ganz davon ab, wie man zu den religiösen Implikationen
stehen mag, dass The Tree of Life
seine großen Ideen, sein (über-)ambitioniertes Gesamtbild nach dem kongenialen
Einschub über die Entstehung des Universums und des Lebens auf der Erde alsbald
aus dem Blick verliert, ist schlicht ärgerlich. Konnte man nach etwa 40 Minuten
doch daran glauben, Malick würde hier wirklich sein magnum opus vorbereiten, verschwindet dieser Eindruck danach
zusehends, wenn der Film seine Geschichte Kaleidoskop-artig weiterspinnt. An
Form und Inhalt ist dabei nicht viel auszusetzen, die Bilder sind großartig und
viele der einzelnen Szenen sind für sich genommen kleine Meisterwerke. Nur im
Hinblick auf das große Ganze kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass
sich hier der Anspruch rächt. Auch in der drohenden Arbeitslosigkeit eines
Familienvaters und eines Umzugs liegt die gesamte Tragik des Universums
verborgen, aber erzählerisch gelingt es dem Film kaum, die Diskrepanz zwischen
Familiengeschichte und der Geschichte von Allem zu füllen. The Tree of Life besteht aus einem beeindruckenden Kurzfilm und
einem sorgfältig komponierten Drama, beide für sich genommen sehenswert, aber
nie vollständig zufriedenstellend verbunden – auch nicht durch das
Interpretationsoffene Ende, dass eher an prätentiöse Studentenfilme denn an
großes Kino erinnert.
Was bleibt, ist ein zumindest formal auf ganzer Linie
überzeugender Film. Die Bilder, auch die aus dem Alltagsleben der O’Briens,
sind ein Fest für die Augen, die Kamera ist nah dran an den Figuren, die jungen
Schauspieler sind hervorragend. Es ist schade, dass Hunter McCracken bisher
keinen weiteren Film auf seinem Resümee verzeichnen kann, einem solchen Talent
wünscht man es. Brad Pitt ist effektiv als despotischer Vater, Jessica Chastain
vermag es hingegen nicht, ihrer Rolle über die Beschreibung „liebevoll und
aufopfernd, Gegenteil ihres Mannes“ Gewicht zu verleihen. Sean Penn geistert
durch seine Szenen als erwachsener Jack und kann McCracken in der gleichen
Rolle nicht das Wasser reichen. Immerhin kann er als namentliches Zugpferd auf
dem Poster herhalten.
Und nun? Was sollen wir mit The Tree of Life anfangen? Ich geben zu, dass der Film mich mehr
beschäftigt hat, als ich unmittelbar nach dem Ansehen dachte, aber seine
unausgewogene Art stößt trotzdem sauer auf, ebenso die naiven religiösen
Implikationen. Vielleicht wäre der Film ohne die Bürde des Universums besser
dran gewesen. Als Familiendrama, dass etwas differenzierter vorgegangen wäre – The Tree of Life hätte wahrlich großes
Kino werden können. So bleibt es ein diskussionswürdiger, aber eben auch
effekthascherischer Film, dessen Verwandtschaft mit 2001 – Odyssee im Weltraum, wie ihm vielerorts in punkto
Filmwirkung bereits bescheinigt wurde, erst noch durch die Zeit geprüft werden
muss. Womöglich wird The Tree of Life
in dreißig Jahren als Klassiker des Weltkinos gehandelt werden. Wenn ja, darf
jeder diese Kritik dazu nutzen, zu zeigen, wie blind die Kritiker „von damals“
waren. Aber eben erst in dreißig Jahren.
Der Vorwurf, der Film sei religiös-esoterisch ist ja nicht selten, für mich ist Malicks Kino nicht so sehr christlich motiviert – auch wenn es sich christlicher Motive bereitwillig bedient –, sondern vielmehr von metaphysischer Natur. Manche ordnen das dem Pantheismus zu, ich sehe es eher als hylozoistisches Weltbild, in welchem Malicks Gott eins mit der Natur, dem Kosmos und auch dem Menschen ist. Malick ist Philosoph (also ein echter, studierter) und bedient sich in seinen Werken oft seinesgleichen, von Heidegger bis Emerson. Das kann man natürlich schnell als Kitsch und Prätention missverstehen – wobei ich argumentieren würde, dass jeder Film letztlich prätentiös ist.
AntwortenLöschenIch selbst finde auch nicht, dass es eine Diskrepanz zwischen Familiengeschichte und Geschichte von allem gibt. Die Familiengeschichte ist grundsätzlich ja gleichzeitig Geschichte von allem. Eben das macht ihn für mich als Regisseur interessant, dass er im Gegensatz zu den Nolans, Spielbergs, Scorseses und Co. etwas ganz anderes mit dem Medium Film versucht. Dass das nicht jeden anspricht, liegt in der Natur der Sache.
Man kann nun argumentieren, dass Religion - auch die christliche - per se metaphysischer Natur ist und damit auch das hylozoistische Weltbild. Und wie du vielleicht gelesen hast, hat mir die anfängliche Bebilderung der "Geschichte von allem" gut gefallen, es driftet mir dann nur zu sehr ab. Das kann man selbstredend so sehen wie man will, nur ob man etwas dann gleich missversteht, weil man etwas als für sich zu prätentiös empfindet, sei dahingestellt. Das dieses Wort etwas schwammig ist und letztlich auf jeden Film angewandt werden kann, da bin ich ganz bei dir. Und auch, dass Malick natürlich mehr zur Welt zu sagen hat als beispielsweise Spielberg. Dennoch muss auch er, egal ob studierter Philosoph oder nicht, sich einem Urteil stellen, solange es nicht diffamierend daherkommt.
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