DIE WAND
Deutschland/Österreich 2012
Dt. Erstaufführung: 11.10.2012
Regie: Julian Pölsler
Dt. Erstaufführung: 11.10.2012
Regie: Julian Pölsler
Die Frage, was den Menschen von anderen Tieren unterscheidet
ist ebenso potent wie alt. Immer wenn geglaubt wird, man hätte eine
ausschließlich dem Menschen zuzuschreibende Eigenschaft herauskristallisiert,
findet man schon die Entsprechung in der restlichen Fauna: Selbsterkenntnis,
Sprache, Trauer, Werkzeuggebrauch. Krähen täuschen ihre Artgenossen, Tauben
fahren U-Bahn, Delphine erlauben sich Späße mit Menschen. Und dennoch begreift
sich der Mensch nicht wirklich als Tier, vielleicht, weil er – und das ist in
der Tat einzigartig – Filme wie Die Wand
drehen kann, die sich mit der Tier/Mensch-Symbiose beschäftigen. Das mag für
jeden, der den Plot des Films kennt, auf den ersten Blick etwas seltsam
klingen, aber Die Wand ist ein
leidenschaftliches Plädoyer für einen ganzheitlichen Blick auf die Lebewesen
dieses Planeten.
Eine Frau (Martina Gedeck), die den ganzen Film über
namenlos bleiben wird, fährt mit Bekannten in deren Waldhütte in die
österreicherischen Berge. Als das befreundete Ehepaar nach einem Ausflug in die
nahe Stadt nicht zurückkehrt, macht sich die Frau auf die Suche und entdeckt
eine unsichtbare Wand, die sie daran hindert, ins Tal zu kommen. Nach einiger
Zeit erkennt sie, dass das unerklärliche Phänomen sie gänzlich von der Welt
abgeschnitten hat und die Menschen auf der anderen Seite der Wand in ihren
Bewegungen erstarrt und tot sind. Der Frau bleiben als Begleiter nur der treue
Hund Luchs, zu dem sich im Laufe der Zeit eine Katze und eine trächtige Kuh
gesellen. Auf sich allein gestellt muss die Frau lernen, für sich selbst zu
sorgen, Kartoffeln anzubauen und auf die Jagd zu gehen.
Die Wand benutzt
ihren Science-fiction-Fixpunkt, die unsichtbare Wand, nur als Aufhänger für die
eigentliche Parabel, die der Film erzählen möchte. Das Phänomen wird nie
erklärt und man hat das Gefühl, dass Julian Pölsers Verfilmung des Kultbuches
von Marlen Haushofer damit sehr gut fährt. Konsequent bleibt der Film bei Martina
Gedeck, alles, was sie weiß, wissen auch wir, aber nicht mehr. Es wäre
vermessen, hätte Pölser versucht, etwas zu erklären, für dass es von der
Protagonistin aus gesehen keine Erklärung geben kann: die Frau ist eingesperrt
in einem Terrain, dass groß genug ist, um ihr Überleben zu sichern, aber alles,
was darüber hinaus geht, kann sich nur ihrer Kenntnis (und damit auch der des
Zuschauers) entziehen.
Mit der Wand als Auslöser beginnt eine ruhige Robinsonade,
die von Gedeck durch Voice-Overs erklärt wird. Hier wäre manchmal weniger mehr
gewesen, schrammen die Ausführungen, die die Figur für eine ungewisse Nachwelt
auf Papier bringt, doch öfters haarscharf an müden Plattitüden vorbei.
Gestalterische Einfälle wie der großartig deplazierten Song Freedom is a journey
von Zabine, der aus dem Autoradio dröhnt, zeigen, dass es meistens nicht nötig
gewesen wäre, das Offensichtliche nochmals in Worte zu fassen und Pölser der
Kraft seiner teils atemberaubend schönen Bilder hätte vertrauen können. Hinzu
kommen dramaturgische Schwächen (z.B. der Crash mit dem Auto, der die Figur
dümmer aussehen lässt, als sie ist) und schlichte handwerkliche Patzer (die
Katze ist bereits im Bild zu sehen, bevor sie in die Handlung eingeführt wird).
Doch dank des ungemein starken Allegoriecharakters des
Unterfangens verzeiht man dem Film diese Ausrutscher. Denn es dürfte schwer
werden, ein konzentrierteres Beispiel für einen Film zu finden, der eine Art
„Zurück zur Natur“-Botschaft verkündet, ohne pathetisch zu werden. Die Einheit,
die die Frau mit ihren Tieren formt, ist keinesfalls vorgegeben, am Anfang kann
sie beispielsweise mit Hund Luchs nichts anfangen und ist eher ungeschickt im
Umgang mit ihm. Am Ende steht eine Frau, die unter der Bürde des Menschseins
leidet, die aber ihr Verantwortung für ihre nicht-menschlichen Begleiter
erkennt – und bestehen sie auch nur darin, ihnen eine Freundin zu sein. Die
sich vermeidlich so sehr vom Tier unterscheidende Vernunft des Menschen
versteht der Film eher als Auftrag denn als Privileg. Der Mensch hat die
Möglichkeit, sich gegen Grausamkeit und das „Gesetz des Dschungels“ zu stellen.
Umso treffender ist es so auch, dass der einzig andere lebende Mensch, den die
Frau im Laufe der Zeit trifft, wegen seines Mordes an diversen Tieren ohne
Umschweife erschossen und ihm ein Begräbnis, wie etwa für die
Protagonisten-Tiere, verwehrt wird. Die wirkliche zivilisatorische
Errungenschaft des Menschen, so suggeriert es Die Wand, ist nicht die Politik oder die Technik, sondern sein
Vermögen, sich über die Artengrenze hinweg zu engagieren.
Die Wand ist kein
Film, der frei von Fehlern ist. Manchen wird die Isolation der Figur stören,
die Erklärungen, wie wir sie aus Hollywood gewohnt sind, unmöglich macht.
Andere werden Probleme mit dem langsamen Duktus bekommen, auch wenn der Film
eine innere Spannung konsequent halten kann. Wer ihn aber als
zivilisationskritische Parabel liest, der durchaus ein artübergreifender
Humanismus und – ja, so ist es – Liebe innewohnt und wer sich darüber hinaus an
den großartigen Bildern erfreuen kann, für den hält Die Wand ein sehenswertes Filmerlebnis vor.
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