Mittwoch, 8. Mai 2013

Die Wand (2012)




DIE WAND
Deutschland/Österreich 2012
Dt. Erstaufführung: 11.10.2012
Regie: Julian Pölsler

Die Frage, was den Menschen von anderen Tieren unterscheidet ist ebenso potent wie alt. Immer wenn geglaubt wird, man hätte eine ausschließlich dem Menschen zuzuschreibende Eigenschaft herauskristallisiert, findet man schon die Entsprechung in der restlichen Fauna: Selbsterkenntnis, Sprache, Trauer, Werkzeuggebrauch. Krähen täuschen ihre Artgenossen, Tauben fahren U-Bahn, Delphine erlauben sich Späße mit Menschen. Und dennoch begreift sich der Mensch nicht wirklich als Tier, vielleicht, weil er – und das ist in der Tat einzigartig – Filme wie Die Wand drehen kann, die sich mit der Tier/Mensch-Symbiose beschäftigen. Das mag für jeden, der den Plot des Films kennt, auf den ersten Blick etwas seltsam klingen, aber Die Wand ist ein leidenschaftliches Plädoyer für einen ganzheitlichen Blick auf die Lebewesen dieses Planeten.

Eine Frau (Martina Gedeck), die den ganzen Film über namenlos bleiben wird, fährt mit Bekannten in deren Waldhütte in die österreicherischen Berge. Als das befreundete Ehepaar nach einem Ausflug in die nahe Stadt nicht zurückkehrt, macht sich die Frau auf die Suche und entdeckt eine unsichtbare Wand, die sie daran hindert, ins Tal zu kommen. Nach einiger Zeit erkennt sie, dass das unerklärliche Phänomen sie gänzlich von der Welt abgeschnitten hat und die Menschen auf der anderen Seite der Wand in ihren Bewegungen erstarrt und tot sind. Der Frau bleiben als Begleiter nur der treue Hund Luchs, zu dem sich im Laufe der Zeit eine Katze und eine trächtige Kuh gesellen. Auf sich allein gestellt muss die Frau lernen, für sich selbst zu sorgen, Kartoffeln anzubauen und auf die Jagd zu gehen.

Die Wand benutzt ihren Science-fiction-Fixpunkt, die unsichtbare Wand, nur als Aufhänger für die eigentliche Parabel, die der Film erzählen möchte. Das Phänomen wird nie erklärt und man hat das Gefühl, dass Julian Pölsers Verfilmung des Kultbuches von Marlen Haushofer damit sehr gut fährt. Konsequent bleibt der Film bei Martina Gedeck, alles, was sie weiß, wissen auch wir, aber nicht mehr. Es wäre vermessen, hätte Pölser versucht, etwas zu erklären, für dass es von der Protagonistin aus gesehen keine Erklärung geben kann: die Frau ist eingesperrt in einem Terrain, dass groß genug ist, um ihr Überleben zu sichern, aber alles, was darüber hinaus geht, kann sich nur ihrer Kenntnis (und damit auch der des Zuschauers) entziehen.

Mit der Wand als Auslöser beginnt eine ruhige Robinsonade, die von Gedeck durch Voice-Overs erklärt wird. Hier wäre manchmal weniger mehr gewesen, schrammen die Ausführungen, die die Figur für eine ungewisse Nachwelt auf Papier bringt, doch öfters haarscharf an müden Plattitüden vorbei. Gestalterische Einfälle wie der großartig deplazierten Song Freedom is a journey von Zabine, der aus dem Autoradio dröhnt, zeigen, dass es meistens nicht nötig gewesen wäre, das Offensichtliche nochmals in Worte zu fassen und Pölser der Kraft seiner teils atemberaubend schönen Bilder hätte vertrauen können. Hinzu kommen dramaturgische Schwächen (z.B. der Crash mit dem Auto, der die Figur dümmer aussehen lässt, als sie ist) und schlichte handwerkliche Patzer (die Katze ist bereits im Bild zu sehen, bevor sie in die Handlung eingeführt wird).

Doch dank des ungemein starken Allegoriecharakters des Unterfangens verzeiht man dem Film diese Ausrutscher. Denn es dürfte schwer werden, ein konzentrierteres Beispiel für einen Film zu finden, der eine Art „Zurück zur Natur“-Botschaft verkündet, ohne pathetisch zu werden. Die Einheit, die die Frau mit ihren Tieren formt, ist keinesfalls vorgegeben, am Anfang kann sie beispielsweise mit Hund Luchs nichts anfangen und ist eher ungeschickt im Umgang mit ihm. Am Ende steht eine Frau, die unter der Bürde des Menschseins leidet, die aber ihr Verantwortung für ihre nicht-menschlichen Begleiter erkennt – und bestehen sie auch nur darin, ihnen eine Freundin zu sein. Die sich vermeidlich so sehr vom Tier unterscheidende Vernunft des Menschen versteht der Film eher als Auftrag denn als Privileg. Der Mensch hat die Möglichkeit, sich gegen Grausamkeit und das „Gesetz des Dschungels“ zu stellen. Umso treffender ist es so auch, dass der einzig andere lebende Mensch, den die Frau im Laufe der Zeit trifft, wegen seines Mordes an diversen Tieren ohne Umschweife erschossen und ihm ein Begräbnis, wie etwa für die Protagonisten-Tiere, verwehrt wird. Die wirkliche zivilisatorische Errungenschaft des Menschen, so suggeriert es Die Wand, ist nicht die Politik oder die Technik, sondern sein Vermögen, sich über die Artengrenze hinweg zu engagieren.

Die Wand ist kein Film, der frei von Fehlern ist. Manchen wird die Isolation der Figur stören, die Erklärungen, wie wir sie aus Hollywood gewohnt sind, unmöglich macht. Andere werden Probleme mit dem langsamen Duktus bekommen, auch wenn der Film eine innere Spannung konsequent halten kann. Wer ihn aber als zivilisationskritische Parabel liest, der durchaus ein artübergreifender Humanismus und – ja, so ist es – Liebe innewohnt und wer sich darüber hinaus an den großartigen Bildern erfreuen kann, für den hält Die Wand ein sehenswertes Filmerlebnis vor.



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