PRISONERS
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 10.10.2013
Regie: Denis Villeneuve
Dt. Erstaufführung: 10.10.2013
Regie: Denis Villeneuve
Den Vorwurf, wenig originelle Ideen
auf die Leinwand zu bringen, muss sich Hollywood schon seit Ewigkeiten anhören.
Bei all den Fortsetzungen, Reboots, Prequels und Remakes, bei all den
Bearbeitungen von existierendem Material kommt man nicht umhin, dem phasenweise
zuzustimmen. So ist auch Prisoners
kein Film aus dem luftleeren Raum, sondern wirkt wie eine brachiale, auf den
amerikanischen Markt zugeschnittene Neubearbeitung des dänischen Die Jagd. Dieser machte 2012 diverse
Festivalrunden, auch im angelsächsischen Sprachraum, und wurde im Sommer 2013
schließlich limitiert in den USA aufgeführt. Gesehen haben dürften ihn dort
wenige, Prisoners, der natürlich
nicht verlangt, Untertitel zu lesen, umso mehr. Die Filme sind inhaltlich so
nah verwandt, dass man kaum anders kann, als Parallelen zu ziehen. Beide
handeln von den Untiefen, die sich auftun, wenn Kinder mit einer feindseligen
Umwelt außerhalb des ihnen gesellschaftlich zugedachten Schutzraums
konfrontiert werden, beide handeln von falschen Schuldzuweisungen, Hysterie und
Verzweiflung. Die Jagd ist sicherlich
der elegantere, intelligentere Film des Duos, aber Prisoners verkommt glücklicherweise nicht zum Plagiat. Wenn sich
Drehbuchautor Aaron Guzikowski (Contraband)
von Die Jagd hat inspirieren lassen,
dann gelingt es ihm dennoch, das Sujet in andere Bahnen zu lenken.
Die Familien Dover und Birch feiern zusammen Thanksgiving.
Im Laufe des Tages wollen die beiden jüngsten Töchter der Familien, Anna (Erin
Gerasimovich) und Joy (Kyla Drew Simmons) vom Haus der Birchs in das der Dovers
wechseln. Kein Problem, die beiden liegen nur unweit auseinander an derselben
Straße. Doch auf dem Weg verschwinden die Mädchen spurlos. Einziger
Anhaltspunkt ist ein schmuddeliges Wohnmobil, das zu diesem Zeitpunkt in der
Straße parkte. Der ermittelnde Detective Loki (Jake Gyllenhaal) kann als Fahrer
schnell Alex Jones (Paul Dano) ausmachen, der sich aber als geistig eingeschränkt
auf dem Level eines 10jährigen bewegt. Ohne Beweise muss Alex wieder frei
gelassen werden und die Ermittlungen beginnen bei null. Vor allem der
verzweifelte Vater von Anna, Keller (Hugh Jackman), ist aber nicht von der
Unschuld Alex‘ überzeugt. Kurzerhand kidnappt er ihn und versteckt ihn im
ehemaligen Wohnhaus seines Vaters. Dort beginnt eine Tortur sowohl für Alex,
der durch Folterungen zum Reden animiert werden soll, als auch für den
zunehmend ungehaltenen Keller…
Wenn Kinder zu Opfern werden, gibt es kein Halten mehr. Der
Zusammenprall zwischen der behüteten Welt, die sich die Erwachsenen für ihren
Nachwuchs erträumen und idealisieren und den Grausamkeiten vor der eigenen
Haustür öffnet scheinbar gerechtfertigter Gewalt Tür und Tor. Während Die Jagd dieses gesellschaftliche
Zerwürfnis als moderne Hexenjagd schilderte, in der ein Unschuldiger sich den
Aggressionen seiner Mitmenschen ausgesetzt sieht, die gerade wegen des Bezugs
aufs Kind legitimiert wurden, mischt Prisoners
noch eine weitere Sprengstoffkomponente mit ein: Religion.
Keller Dover ist ein Reaktionär, der ans Prinzip „Auge um Auge“ glaubt, die Endzeit als reelle Bedrohung ansieht und nur oberflächlich in einen Konflikt ob der Folterungen gerät. Er fragt zwar rhetorisch, warum er so handeln muss, im tiefsten Innern aber ist er überzeugt von der innewohnenden Gerechtigkeit seines Handelns. Als guter Christ kann man auch einen geistig minderbemittelten foltern, solange es nur des höheren Ziels dient. Unverkennbar ist Keller ein Produkt der Post-9/11-Paranoia und einer noch weiter zurückliegenden Gun Ho!-Mentalität. Quälereien sind nicht in Ordnung, es sei denn, man kann damit potenzielles Leid verhindern. In dieser Denkart gefangen (der Titel Prisoners ist auf jede Figur bezogen neu zu interpretieren) stört es ihn auch nicht, auf welch wackeligen Indizien er sein Tun stützt. Alex ist die Massenvernichtungswaffe, die gar nicht existiert.
So heißt Prisoners auch die von ihm gezeigten Misshandlungen nicht gut, obschon es ihm an mancher Stelle reflexartig vorgeworfen wurde. Auch aalt er sich nicht in kleinteiligen Schilderungen der Folterungen, viel mehr wendet er eher den Blick ab, deutet an und lässt den Zuschauer selbst die Bilder im Kopf generieren.
Keller Dover ist ein Reaktionär, der ans Prinzip „Auge um Auge“ glaubt, die Endzeit als reelle Bedrohung ansieht und nur oberflächlich in einen Konflikt ob der Folterungen gerät. Er fragt zwar rhetorisch, warum er so handeln muss, im tiefsten Innern aber ist er überzeugt von der innewohnenden Gerechtigkeit seines Handelns. Als guter Christ kann man auch einen geistig minderbemittelten foltern, solange es nur des höheren Ziels dient. Unverkennbar ist Keller ein Produkt der Post-9/11-Paranoia und einer noch weiter zurückliegenden Gun Ho!-Mentalität. Quälereien sind nicht in Ordnung, es sei denn, man kann damit potenzielles Leid verhindern. In dieser Denkart gefangen (der Titel Prisoners ist auf jede Figur bezogen neu zu interpretieren) stört es ihn auch nicht, auf welch wackeligen Indizien er sein Tun stützt. Alex ist die Massenvernichtungswaffe, die gar nicht existiert.
So heißt Prisoners auch die von ihm gezeigten Misshandlungen nicht gut, obschon es ihm an mancher Stelle reflexartig vorgeworfen wurde. Auch aalt er sich nicht in kleinteiligen Schilderungen der Folterungen, viel mehr wendet er eher den Blick ab, deutet an und lässt den Zuschauer selbst die Bilder im Kopf generieren.
Letztlich hat alles in Prisoners
eine irgendwie geartete religiöse Färbung und vor allem die beiden im
Entführungsfall direkt aufeinandertreffenden Protagonisten rechtfertigen ihr
Handeln mit Verweisen auf Gott. Ob dabei auf seine angebliche Gerechtigkeit
oder Ungerechtigkeit Bezug genommen wird, ist dabei fast egal. Gott ist an
allem schuld, so oder so, ein nicht weiter beweisbares Wesen dient als
Katalysator für ganz irdische zwischenmenschliche Katastrophen. So liegt die
Tragik nicht nur in der Schlechtigkeit der Welt, sondern auch darin, dass mit
der Religion ein weiteres Werkzeug zur Rechtfertigung des moralisch
verwerflichen in die Welt kam. Prisoners
zumindest agnostische Lesart ist ebenso deutlich wie die manchmal übers Ziel
hinausschießende Symbolik (Stichwort: Schlangen).
Neben den reichhaltigen Interpretationsmöglichkeiten ist Prisoners ein technisch äußerst
versierter Film. Die Kamera hat oft etwas lauerndes, wie ein kalter Beobachter
wandert sie über Szenerien und Menschen, die Bilder, die sie einfängt, sind
wohlkomponiert. Die Sets haben wenig hoffnungsfrohes, selbst beim Familienfest
am Anfang legt sich die düstere, nie weichende Atmosphäre der Wintertage über
alles. Und inmitten all dieser detailliert geplanten Sequenzen bewegen sich
hervorragende Schauspieler. Hugh Jackman ist effektiv als getriebener Keller,
unter dessen Oberfläche es auch schon vor dem Verschwinden der Tochter
brodelte. Jake Gyllenhaal spielt einen ganz ähnlichen Charakter, einen
Polizisten, der ebenso schnell zu explodieren droht wie Keller. Vor allem der
gespielte nervöse Tick wird bei Gyllenhaal bemerkenswert selbstverständlich zum
Bestandteil seines Repertoires. Viola Davis und Terrence Howard sind
zurückhaltend, aber nicht minder präsent als Ehepaar Birch, dass durch sein
Nichteingreifen an entscheidender Stelle Schuld auf sich lädt. Und Paul Dano
bekommt mal wieder einen Gehaltsscheck dafür, sich eine Abreibung zu holen.
Prisoners ist ein
involvierender Thriller und ein kompetent erzähltes Drama, welches zum Schluss
vielleicht etwas zu sehr auf die Genrekonventionen zurückgreift. Als Abhandlung
über die menschliche Natur, die allzu schnell die ihr von Gesetzt und
Gesellschaft auferlegten Schranken missachtet, um auf archaischere Mittel,
gerade wenn sie religiös legitimiert sind, zurückzugreifen, ist er ein Erfolg.
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