Dienstag, 25. März 2014

König von Deutschland (2013)




KÖNIG VON DEUTSCHLAND
Deutschland 2013
Dt. Erstaufführung: 05.09.2013
Regie: David Dietl

Ein Schelm, wer bei dem Titel von David Dietls Film gleich an Rio Reiser denkt und seine satirische Allmachtsfantasie, die er musikalisch höchst unterhaltsam in die Welt hinaus sang. Satirisch ist auch Dietls Film und das zu einem so konsequenten Maße, dass man nicht umhin kann, als ein Kalkül dahinter zu wittern, wenn dem Film selbst inszenatorische Mittelmäßigkeit vorgeworfen wird. Bei genauerem Hinsehen wirkt vieles, was als Drehbuchschwäche ausgelegt werden könnte, wie ein wohlgefeilter Schachzug. Und selbst wenn man diesem Theoriegebäude nicht zustimmt, so ist König von Deutschland doch ein recht ansehnlicher Film geworden, der Vorwürfe zur behaupteten eigenen Durchschnittlichkeit subtil abprallen lässt. Es steckt mehr in Dietls Film, als es auf den ersten Blick scheint.

Thomas Müller (Olli Dittrich) ist der fleischgewordene deutsche Durchschnitt: er ist 1,78 m groß, wohnt mit Frau (Veronica Ferres) und Sohn (Jonas Nay) zur Miete, das kleine Häuschen auf der grünen Wiese ist aber schon in Planung. Er ist Fan des FC Bayern München, seine Lieblingsfarbe ist blau, er kann sich ein bisschen für Naturschutz und ein bisschen für die Verbesserung des Unterrichts an den Schulen erwärmen. Er träumt sowohl von Bierflaschen mit Schraubverschluss als auch der unerreichbar scheinenden Kollegin (Katrin Bauerfeind). Rein gar nichts an Thomas Müller ist bemerkenswert und genau das macht ihn für ein dubioses Marktforschungszentrum interessant: Nachdem er seinen Job verloren hat, wird er vom undurchsichtigen Stefan Schmidt (Wanja Mues) angeworben und dient fortan ohne seine Kenntnis als Barometer für das gesamte Land. Doch eines Tages kommt Thomas dem Ganzen auf die Schliche…

Optisch präsentiert sich König von Deutschland als durchschnittliches TV-Movie. Womöglich ganz so, wie es Millionen Deutsche jeden Sonntag beim Tatort lieben? Dann bewegt sich die Dramaturgie auch noch relativ vorhersehbar dahin, ganz so, wie es dem deutschen Film immer wieder vorgeworfen wird. An der Oberfläche ist König von Deutschland eine vertane Chance, nicht so bissig, nicht so subversiv, wie der Film sein könnte. Oder etwa doch nicht? Es sind viele Nuancen, an denen man Dietls Talent für einen durchkomponierten Film erkennen kann. So ist beispielsweise die Verwendung des rebellischen Sohns, der neuerdings Veganer ist, seine Eltern für Trottel hält und mit seiner Freundin (Jella Haase) von der Karriere als gesellschaftkritischer Musiker träumt („Pop-ulismus“ nennt sich seine Band) wie aus dem Klischeebaukasten geschmiedet. Illustriert wird damit aber vor allem eins: das Durchschnittliche, das Gewöhnliche ist jeder Generation bereits in die Wiege gelegt. Thomas Müller ist das archetypische Vertreter der Babyboomer-Generation, sein Sohn ist der stereotype Vertreter der Nachfolger, die sich selbst als so viel progressiver begreifen und sich in der Masse dann noch auf diverse Grundfesten zusammenfassen lassen. Kinder sind immer cleverer als ihre Eltern, das ist ihre Berufung, aber auch das vermeidlich eigene, das Besondere wird irgendwann fast zwangsläufig von immer mehr Menschen geschätzt und adaptiert.
So geht es König von Deutschland in der Quintessenz nicht darum, die typische deutsche Mittelmäßigkeit bloßzustellen, sondern die Zuschauer in einem zu bestärken: es ist okay, in manchen Dingen vollkommen durchschnittlich zu sein, solange man das eigene Denken nicht verlernt. Thomas‘ Entwicklung ist eben auch die des intellektuell vollkommen eingelullten Mensch wieder hin zum aktiv handlungsfähigen Individuum, dass sich bewusst mit seiner Umwelt auseinandersetzt und sich nicht völlig uninformiert dem „Diktat der Masse“ ergibt. Es gibt durchaus Parallelen zur ebenfalls aus deutschen Landen stammenden Satire Free Rainer – Dein Fernseher lugt!, wenn es darum geht, für einen wachen Geist zu plädieren.

Es geht König von Deutschland nicht darum, den selbsternannten geistigen und kulturellen Eliten, die sich immer und überall vom Massengeschmack unterscheiden wollen, Futter für ihr Überlegenheitsgefühl zu geben. Sicherlich ist Thomas Müller pathetisch, sicherlich ist seine Wohnung hässlich-durchschnittlich, sicherlich bemerkt er nicht, dass er ein Haus in einem Neubaugebiet plant, dass so aussehen wird die die Dutzenden anderen, die dort bereits stehen. Aber er beugt sich nicht der vermeidlichen Herrschaft der Durchschnittlichkeit, er bleibt nicht in dem Hamsterkäfig gefangen und widersetzt sich den Mechanismen, die sein ganzes Leben bereits vorausahnen zu können glauben. Es ist unbestreitbar, dass in König von Deutschland noch mehr Satirepotenzial drin gewesen wäre, aber dies wäre womöglich auf Kosten der Charaktere gegangen. Dietl verheizt Dittrich und Co. nicht bloß als Witzfiguren. Auch so widersetzt er sich ähnlich wie Thomas Müller den Erwartungen. Zumal es durchaus eine ganze Reihe von wunderbaren Geschehnissen im Film gibt.

So ist König von Deutschland nicht nur der Titel des Films, sondern auch Titel einer an Wer wird Millionär? angelegten Spielshow, in der Thomas gern auftreten würde, kommt sie mit ihrem Konzept des reinen Abfragewissens doch seinem Gemüt entgegen. Es bedarf keines durchdringenden Wissens, um in der Show Erfolg zu haben, es zelebriert vielmehr das Auswendiglernen, das Aufschnappen von Fakten und deren Reproduktion im geeigneten Moment. So wird nicht nur das durchaus zu kritisierende Konzept von Wer wird Millionär? aufs Korn genommen, gerade dadurch dass sich Thomas am Ende emanzipiert und das System bewusst durchdringt, gewinnt der Film an Subversivität. Hinzu kommt eine Art Running Gag mit der politischen Partei SÖLK, die nicht nur mit einen „typisch deutschen“ launigen Spruch wirbt („Mehr Sölk fürs Völk.“), sondern sich auch als Wendehals generiert – was auch immer dem Durchschnittsbürger gerade durch den Kopf geht, die SÖLK nimmt es auf, anstatt sich um ein schlüssiges, auf lange Sicht ausgelegtes Konzept zu bemühen. Und wenn Thomas nach seiner Entdeckung seines Zwecks in Schmidts Firma in einen geradezu kafkaesken Alptraum gerät, in der der Mensch zermahlen und nur noch als Stimmungsvieh herhalten muss, dann ist das neben Hanns Zischlers Wallenstein, der als Big Brother von einer Leinwand auf die Protagonisten herunterschaut, ein unverkennbarer Verweis auf George Orwells 1984 und Terry Gilliams Brazil.

König von Deutschland strauchelt nur etwas am Ende, wenn er nur für Thomas eine Konfliktlösung und persönliche Erfüllung findet, die anderen Charaktere, gerade seine intrigante Frau und seinen rebellischen Sohn, aber zu sehr in der Schwebe lässt. Nun kann man das natürlich auch als Teil des Konzepts verstehen – jeder Mensch muss seinen Geist alleine anwerfen – hinterlässt aber einen unausgegorenen Eindruck. Ansonsten ist Dietls Film eine durchweg vergnügliche Angelegenheit, deren behauptete Mittelmäßigkeit Teil des Konstrukts ist. Es ist in Ordnung, wie alle von einer Neuseeland-Reise zu träumen, solange man nicht jedem Wolfs im Schafpelz folgt, nur weil er Plattitüden auswirft oder gerade einen Kurbelverschluss fürs Bier erfunden hat. Selbst denken macht mündig.



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