Montag, 11. Januar 2016

The Revenant - Der Rückkehrer (2015)




THE REVENANT – DER RÜCKKEHRER
(The Revenant)
USA 2015
Dt. Erstaufführung: 06.01.2016
Regie: Alejandro G. Iñárritu

Ein Abspann kann manchmal verräterisch sein. So kann man nach 2 ½ Stunden The Revenant lesen, dass der Film auf Teilen des Buches von Michael Punke basiert. Unweigerlich stellt sich die Frage: warum nur auf Teilen? Hätte man ein im englischen Original gerade einmal 272 Seiten starkes Buch nicht komplett in einem Film dieser Länge unterbringen können? Da der von Alejandro G. Iñárritu inszenierte Film wie Punkes Buch auf einer wahren Geschichte basiert, bietet sich natürlich an, wieder einmal das übliche anzunehmen: dass sich der Film nur auf die leinwandtauglichen Aspekte konzentriert und die Geschichte in seinem Sinne umschreibt. Dem ist auch so: was in der Wirklichkeit mehr eine ziemlich beeindruckende Überlebensgeschichte und erst in zweiter Linie die Suche nach einer gestohlenen Waffe ist, wird im Film zu einer Mission der Blutrache. Dagegen ist zunächst nichts zu sagen, wer sich für die historischen Ereignisse interessiert, dem stehen ja diverse Informationskanäle offen, und ein Spielfilm dieses Kalibers eignet sich ohnehin nur bedingt als Geschichtsstunde. Was man The Revenant und vor allem seinem Regisseur aber vorwerfen muss, ist seine mangelnde Handhabung sowohl der wahren wie der erfundenen Elemente. The Revenant ist ein visuell beeindruckender Film, der aber komplett auf der technischen Ebene verharrt und kaum emotionalen Resonanzraum bietet.

1823 geraten Trapper Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) und sein Sohn Hawk (Forrest Goodluck), den er zusammen mit einer Frau vom Ureinwohner-Stamm der Pawnee hat und die beide als Einzige einen Angriff auf ihr Dorf überlebt haben, zusammen mit einem Trupp Pelzjäger und –händler in der Wildnis Nordamerikas in einen Hinterhalt der Arikara. Auf ihrem anschließenden Treck zurück zu einem ihrer Außenposten wird Glass von einer Bärin attackiert und schwer verletzt. Nachdem sich sein Transport als zunehmend schwierig erweist, wird er mit drei Mann Bewachung zurückgelassen. Doch nachdem der wenig vertrauenserweckende John Fitzgerald (Tom Hardy) zunächst Hawk getötet und den dritten Mann, den jungen Jim Bridger (Will Poulter), davon überzeugt hat, dass sich Arikara-Krieger ihrer Position nähern, wird Glass ohne Verpflegung und Waffen endgültig aufgegeben. Dieser kämpft sich fortan entgegen aller Wahrscheinlichkeit durch die raue Landschaft, angetrieben von dem Wunsch, Rache an Fitzgerald zu nehmen, der aller Welt erzählt, Glass wäre in seinem Beisein gestorben.

The Revenant ist ein wunderschöner Film. Die Landschaften, die beeindrucken und gleichzeitig erschrecken, bedeuten sie doch ungeahnte Gefahren, sind pittoresk ins Szene gesetzt, die Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki ist gewohnt fantastisch und einzelne Sequenzen sind so nah an den Protagonisten, dass die technische Umsetzung nur faszinieren kann. Doch, wie gesagt, darüber hinaus wagt sich der Film nicht. Allein durch seine visuelle Inszenierung spürt man die Wucht, die in der Geschichte steckt, doch Iñárritu löst sie nie ein. In aller Deutlichkeit: Glass‘ Schicksal, ob und wie er sein Ziel erreicht und wie es für die anderen Figuren ausgeht, interessiert nicht, weil es The Revenant nicht gelingt, seiner Geschichte die emotionale Tiefe zu geben, die er verdient hätte. Eine Familientragödie, der Wunsch nach Rache, der Kampf mit den Elementen – die Zutaten sind da, doch tonal ist der Film so nüchtern, dass der Funke nie überspringt. Dies liegt auch daran, dass Glass stets ein Fremder bleibt. Die Rückblenden sind kaum existent und vermischen sich lieber mit redundanten Visionen, nie erfährt der Zuschauer mehr über Glass jenseits der Basisfakten aus der Inhaltsangabe.

Das Schauspiel mag zu diesem Eindruck beitragen. Woher der Oscar-Buzz kommt, ist im Angesicht von DiCaprios Darbietung mehr als fraglich. Es gibt einen Unterschied zwischen zurückhaltendem und desinteressiertem Spiel und DiCaprio bleibt meistens auf der zweiten Seite. Seine Hingabe an die Rolle will niemand in Frage stellen, aber auch hier zeigt sich die mangelnde emotionale Tiefe. Es wirkt stets wie ein Schauspieler, der Strapazen darstellt, beeindruckend eine rasselnde Lunge imitiert, aber nie die existenzialistischen Bedrohungen darzustellen weiß, die die Rolle verlangt. Was Chiwetel Ejiofor in 12 Years a Slave oder Tom Hanks in Cast Away – Verschollen mit einem Blick transportierten, gelingt DiCaprio mit seiner ganzen Performance nicht. Es wirkt, als habe er darstellerisch aufgegeben, als würde er wissen, dass die körperlichen Anstrengungen allein ihm Aufmerksamkeit bei den internationalen Preisverleihungen garantieren würden. Ich stehe dem Ausdruck „Oscar Bait“ oft kritisch gegenüber, aber wenn er einmal anwendbar war, dann auf DiCaprio in The Revenant. So wirkt Glass‘ finaler Blick direkt in die Kamera auch nicht wie ein Blick in die Seele der Zuschauer, sondern wie DiCaprio, der von der Academy nach der begehrten Trophäe verlangt.

Besonders ärgerlich ist für einen Film dieser Art auch Iñárritus mangelndes Gespür für Raum und Zeit, was besonders grotesk wirkt, weil sein letztjähriger Film Birdman genau in diesen Kategorien minutiös geplant und durchgeführt wurde. Ein nicht unerheblicher Teil der zweifellos vorhandenen unfreiwilligen Komik, die The Revenant innewohnt (mal abgesehen von der punktgenau fallenden Bärin; auch die Schneeflocken-mit-der-Zunge-fangen-Szene ist nicht gemeint, ist dies doch einer der weniger genuine Momente des Films), erklärt sich dadurch. Bridger sucht beispielsweise Hawk, den Fitzgerald vorher ermordet hat, findet ihn aber nicht, obwohl er augenscheinlich offen in kleiner Entfernung des Lagers liegt. Glass hat auf jeden Fall keine Probleme, ihn zu entdecken. Ein anderes Mal überblickt der sich zunächst nur krabbelnd vorwärtsbewegende Glass einen Fluss von einem Berg, nach dem nächsten Schnitt liegt er am Ufer und trinkt. Eine beachtliche Leistung, die wohl zu beachtlich war, als dass man sie hätte illustrieren können. Später sucht Glass nach einem befreundeten Indianer, dessen Schwitzhütte ihm nicht nur die x-te Vision bescherte, sondern auch all seine Wunden kurierte, um ihn von Franzosen erhängt an einem Baum zu finden. In all diesen Situationen wird die Länge der Wege nie klar, die Landschaft, so wunderschön sie anzusehen ist, verkommt dabei zu einer Aneinanderreihung von Hindernissen wie in einem Videospiel, ohne dass Entfernungen oder zeitliche Einordnungen eine Rolle spielen.

Will man sich nun mit einer an die Visionen angelehnte traumwandlerische Intention herausreden, verkennt der Film beide Ansätze: als Film zwischen Traum und Realität ist The Revenant zu sehr einer realistischen, raubeinigen Darstellung verpflichtet, als möglichst realistischer Survivalfilm (und das ist in diesem Kontext sehr weit zu verstehen, auch wenn die Realität augenscheinlich vieles von dem, was dem Film-Glass widerfährt, unterstützt) ist er durch solche Fahrigkeiten eben nicht sorgfältig genug. Hinzu kommt das Artifizielle, das den Film trotz des Realismus der Elemente umgibt. In der Welt von The Revenant ist alles ziemlich aufgeräumt, selbst wenn Glass ein Pferd ausnimmt, um in dessen Innern zu übernachten (oder, in der Lesart des wirren Zeitverständnisses auch möglich, zu überwintern), wirken die Organe wie ein sorgfältig zusammengepacktes Geschenk, dass man nur greifen muss. Krähen sitzen auf Bäumen und es sind keine echten Tiere, sondern Computeranimationen, Bisonherden werden nicht etwas digital aus echten Aufnahmen zusammengesetzt, sondern kommen komplett aus dem Rechner. Auch hier stoßen die möglichen Lesarten Realismus vs. Traumwandel gnadenlos aufeinander, ohne zu einem sinnigen Ganzen zu finden.

The Revenant ist ein emotionales Vakuum mit fragwürdigen dramaturgischen Entscheidungen, einer mitunter sehr langatmig geratenen Inszenierung, die eben wegen dem Vakuum so in der Luft hängt und allenfalls auf der technischen/administrativen Ebene überzeugend. Aber Location Scouts werden ja nicht mit Preisen bedacht. Wenn am Ende der kopflose Subplot mit dem Häuptling, der seine Tochter sucht, dahingehend aufgelöst wird, dass die Ureinwohner als quasi göttliche Handlanger dargestellt werden („Rache liegt nicht in der Hand der Menschen, sondern bei Gott.“), dann hat sich der Film endgültig in eine Abstreichliste für Dinge verwandelt, die bei Festivals allem Anschein nach gut ankommen. Das ist zwar für keine der beteiligten Figuren schön (wenn schon, spielt Tom Hardy als Ekel, dass man zu hassen liebt, alle weiteren Darsteller an die Wand), scheint aber auch niemanden wirklich zu stören. In Zeiten unvermeidlicher Fortsetzungen ist es eigentlich nur noch eine Frage, bis The Revenant 2 herauskommt. In dem nehmen dann die Bärenkinder Rache an Glass für den Mord an ihrer Mutter, unterstützt von den Freunden des Pferdes, das er ins Verderben reitet. Unausgegorener als dieser Film kann es ohnehin nicht mehr werden.






2 Kommentare:

  1. Herrlicher Text! Da bin ich nach zweieinhalb unwillig ausgesessener Stunden mit der Welt wieder halbwegs versöhnt.

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  2. Kann man so unterschreiben. Die Story ist tatsächlich zu einfach (obwohl wir es mit einem Rachefilm zu tun haben, dessen Prämisse eh auf Einfachheit liegt) und hat dann noch dazu einige Längen. Trotzdem hätte ich einen Stern mehr gegeben. Kein Meisterwerk (abgesehen vom visuellen), aber (vor allem auf der großen Kinoleinwand) durchaus sehenswert.

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