THE HUNTING GROUND
USA 2015
Dt.
Erstaufführung: 01.01.2016 (VOD-Premiere)
Regie: Kirby Dick
Als diese
Besprechung entsteht, hält gerade eine rechtsextreme, paramilitärische Einheit
weißer Terroristen Oregon, USA, durch die Besetzung eines Nationalparks in
Atem. Zusammen mit der „Shoot First“-Mentalität der Polizei und aberwitzigen
Anekdoten aus der Wirtschafts- und Gesundheitspolitik bildet sich jenseits des
großen Teiches immer wieder das Bild einer, gelinde gesagt, seltsamen Nation,
in der Dinge möglich sind, über die in Europa nur der Kopf geschüttelt werden
kann. Doch ist es in Deutschland wirklich besser, einem Land, in dem eine
faschistische Terrorzelle jahrelang augenscheinlich vom Staat gedeckt morden
konnte, in dem die angesprochene aberwitzige Wirtschaftspolitik in Form eines
Freihandelsabkommens ernsthaft diskutiert wird und in dem, ebenso wie in den
USA, das Beschuldigen von Opfern von Vergewaltigungen salonfähig geworden ist?
Dies bringt uns zu The Hunting Ground,
einer Dokumentation über das in den USA turnusmäßig hochkochende Thema von
Vergewaltigungen an Universitäten. Stichworte wie „Rape Culture“ und „Victim
Blaming“ kann man fast im Minutentakt in den Raum werfen und sie werden immer
treffend sein.
Der Film zeichnet
ein deutliches Bild: Vergewaltigungen passieren sehr viel häufiger auf dem
Campus jeder beliebigen Universität, wenn sie angezeigt werden wird mit dem
Finger auf die Opfer gezeigt, der Täter geschützt und nur äußerst selten
überhaupt in irgendeiner Form zur Rechenschaft gezogen, Ermittlungen mitunter
monatelang verschleppt, wenn sie denn aufgenommen werden. Die Macht der
Studentenverbindungen, ihrer zahlungskräftigen Ehemaligen und den daraus
resultierenden wirtschaftlichen und politischen Interessen wiegen schwerer als
eine konsequente Verfolgung der Täter. Die Zahlen der fälschlichen
Anschuldigungen werden übertrieben, es gibt auf den Uni-Webseiten Leitfäden zum
Umgang mit Vergewaltigungsanschuldigungen, aber keine für die von dem
Verbrechen Betroffenen. The Hunting
Ground untermauert alles mit Studien, zeigt auch die unterschiedlichen
Zahlen, die aber alle weit von dem abweichen, was als offiziell verkauft wird
(so schwanken die Angaben zu fälschlichen Anschuldigungen zwischen 8 und 2
Prozent, was weit unter dem liegt, was als mediales Bild durch die
Öffentlichkeit geistert).
Der Film bleibt
konsequent bei den Überlebenden von Vergewaltigungen, egal ob weiblich oder
männlich. Der Täterkult wird gerade am Beispiel eines prominenten,
aufstrebenden Football-Talents beleuchtet, was zu den am schwersten
erträglichen Sequenzen in dieser daran nicht armen Dokumentation gehört. Der
Vorwurf, Opfer seien auch immer Mitschuld an ihrer Vergewaltigung, wiegt schwer
über allem und es ist gerade diese latente Verachtung, das (auch von Frauen wie
diversen gezeigten Dekaninnen) durchexerzierte, chauvinistische Weltbild, dass
der Mann ja nur Triebe habe und Frauen ja klar „Nein!“ sagen könnten, die
schockiert. Dem stellt der Film Handyaufnahmen einer Prozession von „Frat Boys“
entgegen, die vor einem Heim voller ErstsemesterInnen laut „No means yes, yes
means anal!“ skandieren. Die Archivaussage eines jungen Mannes, der sich fragt,
ob es denn wirklich eine Vergewaltigung sei, wenn die Frau Nein gesagt hat und
man trotzdem Sex habe, fasst die Aberwitzigkeit, in der sich viele Überlebende
nach der Tat wiederfinden, perfekt zusammen. Die Tat ist barbarisch, der Umgang
danach noch schlimmer. Ein Schelm, wer böses dabei denkt, dass Lehrbeauftragte
und Professoren, die sich für eine gerechte Aufklärung einsetzen, ihre
Anstellungen regelmäßig verlieren.
The Hunting Ground ist in seiner ganzen
Wucht schwer ertragbar. Formal eine Doku ohne Experimente, wiegt der
inhaltliche Sprengstoff alles schnell auf. Die Situation an deutschen
Hochschulen mag anders sein, aber die Mechanismen, nach denen in Fällen
sexueller Gewalt argumentiert wird, legt der Film akribisch offen. Auf dem
Oktoberfest gehören sexuelle Übergriffe ja auch zur „Folklore“ und die
„Provokation“ durch einen Ausschnitt oder einen Rock wird als so gravierend
angesehen, dass dem Vergewaltiger ja gar keine andere Möglichkeit blieb, als
etwas zur Triebabarbeitung zu tun. Es ist diese ungeheuerliche
Argumentationsweise, die in The Hunting
Ground immer wieder zur Sprache kommt und sie ist, so traurig und
erschreckend dies auch sein mag, universell. So wird der Film zu mehr als zu
einer weiteren Schilderung aus den Niederungen der US-amerikanischen
Gesellschaft. The Hunting Ground ist,
in der ein oder anderen Form, überall.
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