THE REVENANT – DER RÜCKKEHRER
(The
Revenant)
USA 2015
Dt.
Erstaufführung: 06.01.2016
Regie: Alejandro
G. Iñárritu
Ein Abspann kann
manchmal verräterisch sein. So kann man nach 2 ½ Stunden The Revenant lesen, dass der Film auf Teilen des Buches von Michael
Punke basiert. Unweigerlich stellt sich die Frage: warum nur auf Teilen? Hätte
man ein im englischen Original gerade einmal 272 Seiten starkes Buch nicht
komplett in einem Film dieser Länge unterbringen können? Da der von Alejandro
G. Iñárritu inszenierte Film wie Punkes Buch auf einer wahren Geschichte
basiert, bietet sich natürlich an, wieder einmal das übliche anzunehmen: dass
sich der Film nur auf die leinwandtauglichen Aspekte konzentriert und die
Geschichte in seinem Sinne umschreibt. Dem ist auch so: was in der Wirklichkeit
mehr eine ziemlich beeindruckende Überlebensgeschichte und erst in zweiter
Linie die Suche nach einer gestohlenen Waffe ist, wird im Film zu einer Mission
der Blutrache. Dagegen ist zunächst nichts zu sagen, wer sich für die
historischen Ereignisse interessiert, dem stehen ja diverse Informationskanäle
offen, und ein Spielfilm dieses Kalibers eignet sich ohnehin nur bedingt als Geschichtsstunde.
Was man The Revenant und vor allem
seinem Regisseur aber vorwerfen muss, ist seine mangelnde Handhabung sowohl der
wahren wie der erfundenen Elemente. The
Revenant ist ein visuell beeindruckender Film, der aber komplett auf der
technischen Ebene verharrt und kaum emotionalen Resonanzraum bietet.
1823 geraten
Trapper Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) und sein Sohn Hawk (Forrest Goodluck),
den er zusammen mit einer Frau vom Ureinwohner-Stamm der Pawnee hat und die
beide als Einzige einen Angriff auf ihr Dorf überlebt haben, zusammen mit einem
Trupp Pelzjäger und –händler in der Wildnis Nordamerikas in einen Hinterhalt
der Arikara. Auf ihrem anschließenden Treck zurück zu einem ihrer Außenposten
wird Glass von einer Bärin attackiert und schwer verletzt. Nachdem sich sein
Transport als zunehmend schwierig erweist, wird er mit drei Mann Bewachung zurückgelassen.
Doch nachdem der wenig vertrauenserweckende John Fitzgerald (Tom Hardy)
zunächst Hawk getötet und den dritten Mann, den jungen Jim Bridger (Will
Poulter), davon überzeugt hat, dass sich Arikara-Krieger ihrer Position nähern,
wird Glass ohne Verpflegung und Waffen endgültig aufgegeben. Dieser kämpft sich
fortan entgegen aller Wahrscheinlichkeit durch die raue Landschaft, angetrieben
von dem Wunsch, Rache an Fitzgerald zu nehmen, der aller Welt erzählt, Glass
wäre in seinem Beisein gestorben.
The Revenant ist ein wunderschöner Film.
Die Landschaften, die beeindrucken und gleichzeitig erschrecken, bedeuten sie
doch ungeahnte Gefahren, sind pittoresk ins Szene gesetzt, die Kameraarbeit von
Emmanuel Lubezki ist gewohnt fantastisch und einzelne Sequenzen sind so nah an
den Protagonisten, dass die technische Umsetzung nur faszinieren kann. Doch,
wie gesagt, darüber hinaus wagt sich der Film nicht. Allein durch seine
visuelle Inszenierung spürt man die Wucht, die in der Geschichte steckt, doch Iñárritu
löst sie nie ein. In aller Deutlichkeit: Glass‘ Schicksal, ob und wie er sein
Ziel erreicht und wie es für die anderen Figuren ausgeht, interessiert nicht,
weil es The Revenant nicht gelingt,
seiner Geschichte die emotionale Tiefe zu geben, die er verdient hätte. Eine
Familientragödie, der Wunsch nach Rache, der Kampf mit den Elementen – die
Zutaten sind da, doch tonal ist der Film so nüchtern, dass der Funke nie
überspringt. Dies liegt auch daran, dass Glass stets ein Fremder bleibt. Die
Rückblenden sind kaum existent und vermischen sich lieber mit redundanten
Visionen, nie erfährt der Zuschauer mehr über Glass jenseits der Basisfakten
aus der Inhaltsangabe.
Das Schauspiel
mag zu diesem Eindruck beitragen. Woher der Oscar-Buzz kommt, ist im Angesicht
von DiCaprios Darbietung mehr als fraglich. Es gibt einen Unterschied zwischen zurückhaltendem
und desinteressiertem Spiel und DiCaprio bleibt meistens auf der zweiten Seite.
Seine Hingabe an die Rolle will niemand in Frage stellen, aber auch hier zeigt
sich die mangelnde emotionale Tiefe. Es wirkt stets wie ein Schauspieler, der
Strapazen darstellt, beeindruckend eine rasselnde Lunge imitiert, aber nie die
existenzialistischen Bedrohungen darzustellen weiß, die die Rolle verlangt. Was
Chiwetel Ejiofor in 12 Years a Slave
oder Tom Hanks in Cast Away – Verschollen
mit einem Blick transportierten, gelingt DiCaprio mit seiner ganzen Performance
nicht. Es wirkt, als habe er darstellerisch aufgegeben, als würde er wissen,
dass die körperlichen Anstrengungen allein ihm Aufmerksamkeit bei den internationalen
Preisverleihungen garantieren würden. Ich stehe dem Ausdruck „Oscar Bait“ oft
kritisch gegenüber, aber wenn er einmal anwendbar war, dann auf DiCaprio in The Revenant. So wirkt Glass‘ finaler
Blick direkt in die Kamera auch nicht wie ein Blick in die Seele der Zuschauer,
sondern wie DiCaprio, der von der Academy nach der begehrten Trophäe verlangt.
Besonders
ärgerlich ist für einen Film dieser Art auch Iñárritus mangelndes Gespür für
Raum und Zeit, was besonders grotesk wirkt, weil sein letztjähriger Film Birdman genau in diesen Kategorien
minutiös geplant und durchgeführt wurde. Ein nicht unerheblicher Teil der
zweifellos vorhandenen unfreiwilligen Komik, die The Revenant innewohnt (mal abgesehen von der punktgenau fallenden
Bärin; auch die Schneeflocken-mit-der-Zunge-fangen-Szene ist nicht gemeint, ist
dies doch einer der weniger genuine Momente des Films), erklärt sich dadurch. Bridger
sucht beispielsweise Hawk, den Fitzgerald vorher ermordet hat, findet ihn aber
nicht, obwohl er augenscheinlich offen in kleiner Entfernung des Lagers liegt.
Glass hat auf jeden Fall keine Probleme, ihn zu entdecken. Ein anderes Mal
überblickt der sich zunächst nur krabbelnd vorwärtsbewegende Glass einen Fluss
von einem Berg, nach dem nächsten Schnitt liegt er am Ufer und trinkt. Eine
beachtliche Leistung, die wohl zu beachtlich war, als dass man sie hätte
illustrieren können. Später sucht Glass nach einem befreundeten Indianer,
dessen Schwitzhütte ihm nicht nur die x-te Vision bescherte, sondern auch all
seine Wunden kurierte, um ihn von Franzosen erhängt an einem Baum zu finden. In
all diesen Situationen wird die Länge der Wege nie klar, die Landschaft, so
wunderschön sie anzusehen ist, verkommt dabei zu einer Aneinanderreihung von
Hindernissen wie in einem Videospiel, ohne dass Entfernungen oder zeitliche
Einordnungen eine Rolle spielen.
Will man sich nun
mit einer an die Visionen angelehnte traumwandlerische Intention herausreden,
verkennt der Film beide Ansätze: als Film zwischen Traum und Realität ist The Revenant zu sehr einer
realistischen, raubeinigen Darstellung verpflichtet, als möglichst
realistischer Survivalfilm (und das ist in diesem Kontext sehr weit zu
verstehen, auch wenn die Realität augenscheinlich vieles von dem, was dem
Film-Glass widerfährt, unterstützt) ist er durch solche Fahrigkeiten eben nicht
sorgfältig genug. Hinzu kommt das Artifizielle, das den Film trotz des
Realismus der Elemente umgibt. In der Welt von The Revenant ist alles ziemlich aufgeräumt, selbst wenn Glass ein
Pferd ausnimmt, um in dessen Innern zu übernachten (oder, in der Lesart des
wirren Zeitverständnisses auch möglich, zu überwintern), wirken die Organe wie ein
sorgfältig zusammengepacktes Geschenk, dass man nur greifen muss. Krähen sitzen
auf Bäumen und es sind keine echten Tiere, sondern Computeranimationen,
Bisonherden werden nicht etwas digital aus echten Aufnahmen zusammengesetzt,
sondern kommen komplett aus dem Rechner. Auch hier stoßen die möglichen
Lesarten Realismus vs. Traumwandel gnadenlos aufeinander, ohne zu einem
sinnigen Ganzen zu finden.
The Revenant ist ein emotionales Vakuum
mit fragwürdigen dramaturgischen Entscheidungen, einer mitunter sehr langatmig
geratenen Inszenierung, die eben wegen dem Vakuum so in der Luft hängt und
allenfalls auf der technischen/administrativen Ebene überzeugend. Aber Location
Scouts werden ja nicht mit Preisen bedacht. Wenn am Ende der kopflose Subplot
mit dem Häuptling, der seine Tochter sucht, dahingehend aufgelöst wird, dass die
Ureinwohner als quasi göttliche Handlanger dargestellt werden („Rache liegt
nicht in der Hand der Menschen, sondern bei Gott.“), dann hat sich der Film
endgültig in eine Abstreichliste für Dinge verwandelt, die bei Festivals allem
Anschein nach gut ankommen. Das ist zwar für keine der beteiligten Figuren
schön (wenn schon, spielt Tom Hardy als Ekel, dass man zu hassen liebt, alle
weiteren Darsteller an die Wand), scheint aber auch niemanden wirklich zu
stören. In Zeiten unvermeidlicher Fortsetzungen ist es eigentlich nur noch eine
Frage, bis The Revenant 2
herauskommt. In dem nehmen dann die Bärenkinder Rache an Glass für den Mord an
ihrer Mutter, unterstützt von den Freunden des Pferdes, das er ins Verderben
reitet. Unausgegorener als dieser Film kann es ohnehin nicht mehr werden.
Herrlicher Text! Da bin ich nach zweieinhalb unwillig ausgesessener Stunden mit der Welt wieder halbwegs versöhnt.
AntwortenLöschenKann man so unterschreiben. Die Story ist tatsächlich zu einfach (obwohl wir es mit einem Rachefilm zu tun haben, dessen Prämisse eh auf Einfachheit liegt) und hat dann noch dazu einige Längen. Trotzdem hätte ich einen Stern mehr gegeben. Kein Meisterwerk (abgesehen vom visuellen), aber (vor allem auf der großen Kinoleinwand) durchaus sehenswert.
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