Dienstag, 26. Januar 2016

Anomalisa (2015)




ANOMALISA
USA 2015
Dt. Erstaufführung: 21.01.2016
Regie: Charlie Kaufman und Duke Johnson

Der geneigte Zuschauer wartet sehnsüchtig auf einen weiteren Film des Australiers Adam Elliot, der zunächst mit animierten Kurzfilmen wie Harvie Krumpet von sich reden machte und schließlich mit dem Spielfilm Mary & Max oder Schrumpfen Schafe, wenn es regnet? eine wunderbar subversive Studie über psychische Erkrankungen, Entfremdung, Annäherung – schlicht das Leben – vorlegte. Der von Charlie Kaufman geschriebene und inszenierte Anomalisa widmet sich ebenfalls diesen Themenbereichen, allerdings mit weit weniger Durchschlagskraft. Es ist ein Film voller Plattitüden und einem ziemlich plakativen Selbstverständnis und wird – eben weil explizit an Erwachsene gerichtete Animationsfilme immer noch eine Seltenheit gerade im deutschen Kinoprogramm sind – garantiert auf diversen Bestenlisten am Jahresende auftauchen. Doch bei diesem Ausflug hinter den Vorhang unserer Wirklichkeit findet sich nur eine Oberflächlichkeit, die erstaunt und eine Dramaturgie, die in ihrer vorgegaukelten Tiefe beschämt.

Michael Stone ist tief in seiner Midlife-Krise. Beruflich als Motivationscoach und Experte für Personalführung auf Tagungen unterwegs, erscheint ihm sein privates Leben so leer und nichtig, dass alle Menschen um ihn herum gleich aussehen und mit der gleichen, nur wenig modulierten Stimme reden. In einem Hotel wartet er ziellos auf den nächsten Tag, ruft eine alte Liebe an und setzt das Treffen mit ihr in der Hotelbar gründlich in den Sand, denkt halbherzig an seine Frau und seinen kleinen Sohn. Als er eine andere Person auf dem Flur hört, die nicht mit der Universalstimme redet, ist er wie elektrisiert. Die Stimme gehört Lisa, einer Personalerin, die mit einer Kollegin angereist ist, um Stone reden zu hören. Es ist so etwas wie Liebe auf den ersten Blick und als Michael und Lisa die Nacht miteinander verbringen, eröffnet sich die Chance für einen Neubeginn.

Anomalisa ist mit seiner gewählten Kunstform, der Stop-Motion-Animation, den üblichen Vorbehalten ausgesetzt, namentlich so etwas wie „Kann dies denn ein ‚Erwachsenenfilm‘ sein?“ Wie in einem nervösen Reflex will Kaufman diesen „Vorwurf“ dadurch entkräften, dass er sich allem bedient, was in diesem Kontext „edgy“ wirkt: viel Fluchen, viel Rauchen und eine Sexszene, die eher peinlich wirkt (und ja, das hätte sie auch mit „echten“ Schauspielern) und auf fatale Weise an die gewisse Sequenz aus Team America: World Police erinnert. Was im Realfilm wie eine Aneinanderreihung von gestalterischen Klischees wirken würde, soll im Umfeld von Anomalisa gewagt und rücksichtslos daherkommen, unterstreicht aber nur den plakativen Eindruck. Dabei ist es gar nicht beispielsweise der Sex an sich (Animationsfilme können selbstredend auch diesen Aspekt menschlichen Lebens darstellen), sondern der Einsatz um des Effektes willen. So bekräftigt sich eine Ahnung, die schon seit den ersten Vorschauen im Raum stand: Anomalisa ist eher ein Realfilm, der zufällig per Stop-Motion inszeniert wurde und nutzt die Kunstform nicht hinreichend aus.

Dabei eignet sich die Prämisse hervorragend für eine Auseinandersetzung mithilfe des „Genres“, dem die Brechung und Vervielfältigung von Realitäten in den genetischen Code eingeschrieben ist. Die Konformität von Michaels Umgebung wird aber nicht konsequent genug betrieben, selbst mit dem gleichen generischen Gesicht unterscheiden sich die Figuren noch zu sehr voneinander. Wo Anomalisa sich an einer Mischung aus Subtilität und Offensichtlichem hätte abarbeiten können (und den Zuschauer so sehr viel nachhaltiger in Michaels Welt hätte entführen können), entscheidet man sich lieber für die gezeigte halbgare Variante (das Wissen um das Frigoli-Syndrom, dass den Film weg von einer allgemeineren Aussage hin zu einem Krankheitsbild rückt, ist dabei eher störend denn bereichernd). Die Störung der Welt, die vollkommene Isolation des Protagonisten und der Paukenschlag, den Lisa bedeutet, werden nie wirklich spürbar, zu sehr klebt Anomalisa an einem Abbild der Wirklichkeit, in der Dissonanzen wie die offenen Gesichtskonturen eher wie technisches Unvermögen wirken. Nur in einer einzigen Szene, nachdem Michael aus der Dusche steigt, seine Welt buchstäblich erschüttert und er einen Blick hinter die Maske riskieren will, zeigt der Film auf, wozu er fähig sein könnte. Wenn in einer Traumsequenz, die von vornherein als solche zu identifizieren ist, dann ein Teil des Gesichtes zu Boden fällt, ist dies dann allerdings kein definierender Moment, sondern eher ein vergessenswertes Detail, mit dem weder gespielt noch experimentiert wird. Wie beharrlich sich Anomalisa weigert, aus seinem selbstgewählten Käfig auszubrechen, obwohl er immer wieder einen diffusen Drang danach verspürt, ist bemerkenswert.

So geht es Kaufman augenscheinlich nicht darum, sein Medium jenseits der „Provokation“ einzusetzen. Man kennt diesen Trend aus dem Theater, in dem „moderne Inszenierungen“ entweder auf Gewalt oder Sex (oder beides) zurückgreifen, weil sie glauben, nur so eine Reaktion beim Publikum generieren zu können. Einsamkeit, ein Grundtopos des Animationsfilms, wird denn auch mit Sinnsprüchen beschrieben, die allesamt wirken, als seien sie nur für den Trailer geschrieben worden. Michaels finaler Vortrag besteht fast vollständig aus Plattitüden, sein Zusammenbruch ist ein wohlchoreographierter Vermarktungsankerpunkt für den Film selbst. Die Selbstoptimierung frisst ihre Anhänger? Noch so ein Ansatzpunkt, den Anomalisa weitestgehend ignoriert.

Anomalisa ist ein Film über eine Alltagsspirale, die Michael langsam aufzehrt, auch über psychische Probleme, die sich in einer einsamen Unfähigkeit artikulieren. Depressionen? Man muss dem Film zugutehalten, dass er trotz der künstlerischen Verweigerung inhaltlich nicht ganz hermetisch abgeriegelt ist. Leider läuft alles auf das Psychogram eines unsympathischen Mannes hinaus, über dessen Werdegang man nichts erfährt (wie konnte sich Michael so sehr aus der Welt entfernen?) und der letztlich nur ein egozentrisches, ja biestig-pubertäres Bild von Liebe abliefert. Michael will nicht arbeiten, weder an sich noch mit anderen Menschen, wenn die Wirklichkeit nicht in allen Details seinen Vorstellungen entspricht, schnappt er ein wie ein bockiges Kind. Das ist desillusionierend, was an sich dem Film nicht zum Vorwurf zu machen ist, aber Kaufman interessiert sich gar nicht für die Hintergründe sondern verharrt unangenehm in einer trotzigen Pose. So will Anomalisa ein Film über menschliche Gefühle sein, kennt aber nur den Weltschmerze eines mittelalten weißen Mannes, während er die weitaus interessantere Figur Lisa eher zu Michaels Spielball macht. Konsequent ist dabei immerhin das Ende, in dem die sympathische Lisa nicht in Michaels selbstzerstörerischen Sog gerät. Es ist ein weiterer Moment, der eine Größe beweist, die der Film als Ganzes nicht aufzubringen versteht. So tut Kaufman seinen Protagonisten letztlich beiden Unrecht, indem er kaum hinterfragt oder auch nur einen Perspektivwechsel anstrebt (die unterschiedlichen Altersstadien der Hauptfigur in Das wandelnde Schloss, die je nach subjektivem Betrachter wechseln, wären doch eine interessante Inspiration gewesen).

Anomalisa schreit danach, geliebt zu werden. Und obwohl man es mit jeder Faser des Herzens tun möchte, gelingt es einem aufgrund der genannten Punkte doch nicht. Ist diese Reaktion womöglich beabsichtigt, rückt sie doch auch den Zuschauer ein Stück weit in Michaels Position? Geht Kaufmans Meta-Willen soweit? Fakt ist jedoch, dass hoffentlich keiner im Publikum seinem achtjährigen Sohn eine antike Sexpuppe schenken würde, egal, wie entrückt er auch sein möge. Anomalisa ist leider weit weniger tiefgehend, als er sich selbst empfindet, was wohl die größte Tragödie an der ganzen Sache ist.





1 Kommentar:

  1. Ich bin auch sehr zwiegespalten und immer noch nicht so sicher, was uns Kaufman mit dem Film sagen will. Ich habe die ganze Zeit über darauf gewartet, das er aus dieser normalen Geschichte ausbricht und die absurd-verworrene Ebene erreicht. Aber das geschieht einfach nicht. So bleibt mir der Film zu uneindeutig in seiner Aussage.

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