ANOMALISA
USA 2015
Dt.
Erstaufführung: 21.01.2016
Regie: Charlie
Kaufman und Duke Johnson
Der geneigte
Zuschauer wartet sehnsüchtig auf einen weiteren Film des Australiers Adam
Elliot, der zunächst mit animierten Kurzfilmen wie Harvie Krumpet von sich reden machte und schließlich mit dem
Spielfilm Mary & Max oder Schrumpfen
Schafe, wenn es regnet? eine wunderbar subversive Studie über psychische
Erkrankungen, Entfremdung, Annäherung – schlicht das Leben – vorlegte. Der von
Charlie Kaufman geschriebene und inszenierte Anomalisa widmet sich ebenfalls diesen Themenbereichen, allerdings
mit weit weniger Durchschlagskraft. Es ist ein Film voller Plattitüden und
einem ziemlich plakativen Selbstverständnis und wird – eben weil explizit an
Erwachsene gerichtete Animationsfilme immer noch eine Seltenheit gerade im
deutschen Kinoprogramm sind – garantiert auf diversen Bestenlisten am
Jahresende auftauchen. Doch bei diesem Ausflug hinter den Vorhang unserer
Wirklichkeit findet sich nur eine Oberflächlichkeit, die erstaunt und eine
Dramaturgie, die in ihrer vorgegaukelten Tiefe beschämt.
Michael Stone ist
tief in seiner Midlife-Krise. Beruflich als Motivationscoach und Experte für
Personalführung auf Tagungen unterwegs, erscheint ihm sein privates Leben so leer
und nichtig, dass alle Menschen um ihn herum gleich aussehen und mit der
gleichen, nur wenig modulierten Stimme reden. In einem Hotel wartet er ziellos
auf den nächsten Tag, ruft eine alte Liebe an und setzt das Treffen mit ihr in
der Hotelbar gründlich in den Sand, denkt halbherzig an seine Frau und seinen
kleinen Sohn. Als er eine andere Person auf dem Flur hört, die nicht mit der
Universalstimme redet, ist er wie elektrisiert. Die Stimme gehört Lisa, einer
Personalerin, die mit einer Kollegin angereist ist, um Stone reden zu hören. Es
ist so etwas wie Liebe auf den ersten Blick und als Michael und Lisa die Nacht
miteinander verbringen, eröffnet sich die Chance für einen Neubeginn.
Anomalisa ist mit seiner gewählten
Kunstform, der Stop-Motion-Animation, den üblichen Vorbehalten ausgesetzt,
namentlich so etwas wie „Kann dies denn ein ‚Erwachsenenfilm‘ sein?“ Wie in
einem nervösen Reflex will Kaufman diesen „Vorwurf“ dadurch entkräften, dass er
sich allem bedient, was in diesem Kontext „edgy“ wirkt: viel Fluchen, viel
Rauchen und eine Sexszene, die eher peinlich wirkt (und ja, das hätte sie auch
mit „echten“ Schauspielern) und auf fatale Weise an die gewisse Sequenz aus Team America: World Police erinnert. Was
im Realfilm wie eine Aneinanderreihung von gestalterischen Klischees wirken
würde, soll im Umfeld von Anomalisa
gewagt und rücksichtslos daherkommen, unterstreicht aber nur den plakativen
Eindruck. Dabei ist es gar nicht beispielsweise der Sex an sich
(Animationsfilme können selbstredend auch diesen Aspekt menschlichen Lebens
darstellen), sondern der Einsatz um des Effektes willen. So bekräftigt sich
eine Ahnung, die schon seit den ersten Vorschauen im Raum stand: Anomalisa ist eher ein Realfilm, der
zufällig per Stop-Motion inszeniert wurde und nutzt die Kunstform nicht
hinreichend aus.
Dabei eignet sich
die Prämisse hervorragend für eine Auseinandersetzung mithilfe des „Genres“,
dem die Brechung und Vervielfältigung von Realitäten in den genetischen Code
eingeschrieben ist. Die Konformität von Michaels Umgebung wird aber nicht
konsequent genug betrieben, selbst mit dem gleichen generischen Gesicht
unterscheiden sich die Figuren noch zu sehr voneinander. Wo Anomalisa sich an einer Mischung aus
Subtilität und Offensichtlichem hätte abarbeiten können (und den Zuschauer so
sehr viel nachhaltiger in Michaels Welt hätte entführen können), entscheidet
man sich lieber für die gezeigte halbgare Variante (das Wissen um das
Frigoli-Syndrom, dass den Film weg von einer allgemeineren Aussage hin zu einem
Krankheitsbild rückt, ist dabei eher störend denn bereichernd). Die Störung der
Welt, die vollkommene Isolation des Protagonisten und der Paukenschlag, den
Lisa bedeutet, werden nie wirklich spürbar, zu sehr klebt Anomalisa an einem Abbild der Wirklichkeit, in der Dissonanzen wie
die offenen Gesichtskonturen eher wie technisches Unvermögen wirken. Nur in
einer einzigen Szene, nachdem Michael aus der Dusche steigt, seine Welt
buchstäblich erschüttert und er einen Blick hinter die Maske riskieren will,
zeigt der Film auf, wozu er fähig sein könnte. Wenn in einer Traumsequenz, die
von vornherein als solche zu identifizieren ist, dann ein Teil des Gesichtes zu
Boden fällt, ist dies dann allerdings kein definierender Moment, sondern eher
ein vergessenswertes Detail, mit dem weder gespielt noch experimentiert wird.
Wie beharrlich sich Anomalisa
weigert, aus seinem selbstgewählten Käfig auszubrechen, obwohl er immer wieder
einen diffusen Drang danach verspürt, ist bemerkenswert.
So geht es
Kaufman augenscheinlich nicht darum, sein Medium jenseits der „Provokation“
einzusetzen. Man kennt diesen Trend aus dem Theater, in dem „moderne
Inszenierungen“ entweder auf Gewalt oder Sex (oder beides) zurückgreifen, weil
sie glauben, nur so eine Reaktion beim Publikum generieren zu können.
Einsamkeit, ein Grundtopos des Animationsfilms, wird denn auch mit Sinnsprüchen
beschrieben, die allesamt wirken, als seien sie nur für den Trailer geschrieben
worden. Michaels finaler Vortrag besteht fast vollständig aus Plattitüden, sein
Zusammenbruch ist ein wohlchoreographierter Vermarktungsankerpunkt für den Film
selbst. Die Selbstoptimierung frisst ihre Anhänger? Noch so ein Ansatzpunkt,
den Anomalisa weitestgehend
ignoriert.
Anomalisa ist ein Film über eine
Alltagsspirale, die Michael langsam aufzehrt, auch über psychische Probleme,
die sich in einer einsamen Unfähigkeit artikulieren. Depressionen? Man muss dem
Film zugutehalten, dass er trotz der künstlerischen Verweigerung inhaltlich
nicht ganz hermetisch abgeriegelt ist. Leider läuft alles auf das Psychogram
eines unsympathischen Mannes hinaus, über dessen Werdegang man nichts erfährt
(wie konnte sich Michael so sehr aus der Welt entfernen?) und der letztlich nur
ein egozentrisches, ja biestig-pubertäres Bild von Liebe abliefert. Michael will
nicht arbeiten, weder an sich noch mit anderen Menschen, wenn die Wirklichkeit
nicht in allen Details seinen Vorstellungen entspricht, schnappt er ein wie ein
bockiges Kind. Das ist desillusionierend, was an sich dem Film nicht zum
Vorwurf zu machen ist, aber Kaufman interessiert sich gar nicht für die
Hintergründe sondern verharrt unangenehm in einer trotzigen Pose. So will Anomalisa ein Film über menschliche
Gefühle sein, kennt aber nur den Weltschmerze eines mittelalten weißen Mannes,
während er die weitaus interessantere Figur Lisa eher zu Michaels Spielball
macht. Konsequent ist dabei immerhin das Ende, in dem die sympathische Lisa
nicht in Michaels selbstzerstörerischen Sog gerät. Es ist ein weiterer Moment,
der eine Größe beweist, die der Film als Ganzes nicht aufzubringen versteht. So
tut Kaufman seinen Protagonisten letztlich beiden Unrecht, indem er kaum
hinterfragt oder auch nur einen Perspektivwechsel anstrebt (die
unterschiedlichen Altersstadien der Hauptfigur in Das wandelnde Schloss, die je nach subjektivem Betrachter wechseln,
wären doch eine interessante Inspiration gewesen).
Anomalisa schreit danach, geliebt zu
werden. Und obwohl man es mit jeder Faser des Herzens tun möchte, gelingt es
einem aufgrund der genannten Punkte doch nicht. Ist diese Reaktion womöglich
beabsichtigt, rückt sie doch auch den Zuschauer ein Stück weit in Michaels
Position? Geht Kaufmans Meta-Willen soweit? Fakt ist jedoch, dass hoffentlich
keiner im Publikum seinem achtjährigen Sohn eine antike Sexpuppe schenken würde,
egal, wie entrückt er auch sein möge. Anomalisa
ist leider weit weniger tiefgehend, als er sich selbst empfindet, was wohl
die größte Tragödie an der ganzen Sache ist.
Ich bin auch sehr zwiegespalten und immer noch nicht so sicher, was uns Kaufman mit dem Film sagen will. Ich habe die ganze Zeit über darauf gewartet, das er aus dieser normalen Geschichte ausbricht und die absurd-verworrene Ebene erreicht. Aber das geschieht einfach nicht. So bleibt mir der Film zu uneindeutig in seiner Aussage.
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