DER BUNKER
Deutschland 2015
Dt.
Erstaufführung: 21.01.2016
Regie: Nikias
Chryssos
Im Lichte des Realismusanspruchs
gerade des deutschen Films wirkt Der
Bunker wie eine Trotzreaktion. Er will sich nicht einreihen in die
harsch-realistischen Sozialstudien oder die flachen, für alle möglichst einfach
zu verstehenden Komödien oder die heile Welt der TV-Filme. Das Kinodebüt und
Abschlussfilm von Nikias Chryssos steht internationalen experimentellen Werken
wie Rubber näher als heimischen Erfolgen
wie Elser – Er hätte die Welt verändert,
da er sich nicht dem Diktat der Wirklichkeit beugt. Dies führt fast
zwangsläufig dazu, dass Der Bunker
manchmal nur schräg um des Effektes willen daherkommt, aber sein unbedingter
Eigenwille und die gekonnt aufgebaute Atmosphäre lassen das Interesse nie
erlahmen.
Mitten im Wald in
einem schwer zu findenden Bunker haust eine Familie bestehend aus Vater (David
Scheller), Mutter (Oona von Maydell) und dem achtjährigen Klaus (gespielt von
dem 30-jährigen Daniel Fripan, was aber nicht so peinlich wirkt wie in Clifford – Das kleine Scheusal mit
Martin Short in der Kinderrolle). Eines Tages kommt ein Student (Pit Bukowski)
bei Ihnen an, um sich, Bezug auf ein Inserat nehmend, in ein Zimmer bei ihnen
einzumieten. Dort will er in Ruhe an seinen mathematischen Forschungen
arbeiten, wird aber vom Vater wegen einer nicht ausreichenden Miete dazu
verpflichtet, den Hausunterricht für Klaus zu übernehmen. Dieser soll
schließlich einmal Präsident der USA werden und muss dafür alle Hauptstädte der
Welt auswendig kennen. Der Student gerät immer tiefer in den Reigen der
Familie, in dem nichts komplett nach den Regeln der Außenwelt spielt …
Der Bunker ist ein Film über die
Rezeption der Wirklichkeit, indem er diese partiell aus den Angeln hebt. Die
Dinge passieren einfach und auch wenn der Student aus der Welt jenseits des
Bunkers kommt, scheint er die Regeln der Innenwelt nicht wirklich seltsam zu
finden. Wenn er wie Klaus wegen ungebührlichen Verhaltens gemaßregelt wird,
dann ist das eben so. Wenn Klaus nicht aussieht wie ein Achtjähriger, dann wird
das ebenso wenig hinterfragt wie das Angebot der Mutter, durch Sex die Arbeit
des Studenten voranzutreiben. Im Grotesken liegt dann oft die Komik des Films,
auch wenn Der Bunker nicht gänzlich
als Komödie aufgezogen wird wie beispielsweise der ebenfalls aus Deutschland
stammende Hai-Alarm am Müggelsee.
Doch die Atmosphäre hat auch stets etwas diffus bedrohliches, als lauerte unter
der Fassade, noch tiefer im Bunker versteckt, etwas gänzlich Unheilvolles. So
ist die Szene, in der die Mutter dem Studenten eröffnet, seit ihrer Kindheit
mit Heinrich, einem Außerirdischen, durch eine Wunde an ihrem Bein in Kontakt
zu stehen, und der nun in den dunklen Ecken ihrer Behausung lebt, weitaus
effektiver, als man, gerade nach dieser Beschreibung, meinen würde. Im
Grotesken liegt nicht nur Witz, sondern auch Bedrohung. Chryssos laviert
gekonnt zwischen diesen beiden Polen, ohne sich jemals für eine Seite
entscheiden zu müssen oder es durch Konkretisierung zu entzaubern. Heinrich
trifft man genauso wenig wie den Postboten, der vielleicht irgendwann einmal
Briefe in den außerhalb des Bunkers angebrachten Kasten wirft.
Auch
gestaltungstechnisch wirkt der Film wie aus der Zeit gefallen.
Produktionsdesignerin Melanie Raab präsentiert ein Konglomerat aus Chic der
1970er und 1980er Jahre. Im aus der Sicht des Zuschauers im Retrocharme
eingerichteten Wohnzimmer werden altbackende Witzsammlungen vorgelesen, die
einem Fips Asmussen zur Ehre gereichen würden, Klaus trägt Kleidung, wie man es
womöglich von seinen eigenen Erste-Klasse-Schulbildern kennt, der Vater spricht
im Duktus eines Dokumentarfilmkommentators aus vergangenen Jahrzehnten. Dies
alles ist mit viel Liebe zum Detail gemacht und unterstützt durch die dunklen
Farben den unheimlicheren Part der Atmosphäre.
Der Bunker ist letztlich durch seine
völlige Weigerung, mit beiden Beinen „auf dem Boden der Tatsachen“ zu stehen,
ein Film, der das Medium gekonnt zu seinen Gunsten prägt. Nur, weil die
allermeisten Filme sich der Kohärenz verschrieben haben, müssen es ja nicht
alle tun. Zumal in Der Bunker ja
durchaus etwas erzählt wird, er also von beispielsweise einem dadaistischen
Kurzfilm weit entfernt ist. Vielmehr illustriert er das individuelle
Wirklichkeitsverständnis und wie es in verschiedene Richtungen ausschlagen
kann. Dies kann von absoluter Überzeugung (Vater), über Selbsttäuschung (die
Vorstellung der Eltern über Klaus‘ berufliche Zukunft oder auch die
dahingestellte Verwertbarkeit der Arbeit des Studenten) bis zu Wahnvorstellungen
(Mutter) reicht. Wie die Realität konstruiert ist, darüber entscheidet jeder
letztlich selbst, trotz gewisser Konstanten, auf die sich ein Großteil einigen
kann. In Der Bunker treffen nun
Charaktere aufeinander, deren Verständnis sich von dem, was „normal“ ist und
was nicht, eklatant unterscheidet. Und darüber hinaus kann man Chryssos‘ Film
auch als düstere Satire auf „deutsche Tugenden“ wie Leistungsoptimierung (Klaus
weiß beispielsweise nicht, was ein Spiel ist) und dem unbedingten Wunsch nach
Sicherheit (in diesem Fall die vergleichsweise behütete Welt des 20.
Jahrhunderts vor der Zeit des Internets und des Datenoverkills) lesen.
Der Bunker ist ganz sicher kein
massentauglicher Film, es ist sogar fragwürdig, ob er auch in den Programmkinos
ein breites Publikum ansprechen wird/kann. Doch sein unbedingter Stilwille, die
innere Spannung hochhaltende Atmosphäre und schlicht der Reiz des Grotesken
macht es den einen oder anderen Blick wert, geworfen zu werden. Gänzlich lässt
sich Der Bunker nicht einordnen und
etwas gepflegte Verwirrung hat in der Medienlandschaft auch ihren berechtigten
Platz.
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