Donnerstag, 7. Januar 2016

Retrospektive 2015 - Die Tops und Flops des Jahres


…und schon wieder ist ein Jahr vergangen. Im Angesicht der weniger vorhandenen Zeit (und der wenig beeindruckenden Klickzahlen) hoffe ich, dass es mir niemand übel nimmt, wenn es dieses Mal keinen Videorückblick gibt. Lesen ist ja auch schön, nicht wahr?

2015 habe ich 167 Filme gesehen, satte 46 weniger als im letzten Jahr. Dafür habe ich mehr „aktuelle“ Werke „geschafft“: 54 im Jahr 2015 in Deutschland veröffentlichte Filme gegenüber 42 Filme im Jahr 2014. Hinzu kommen 42 Serienstaffeln. Wie immer konnte ich nicht alle Filme sehen, die mich interessierten und von denen der ein oder andere vielleicht sogar Anwärter auf einen Platz auf der Top-Liste gewesen wäre (Victoria, It Follows, Carol, Unsere kleine Schwester, Hedi Schneider steckt fest, Crimson Peak, Das Märchen der Märchen, Das dunkle Gen, Leviathan, Taxi – Teheran, Die Melodie der Meere), habe mir aber auch bewusst Filme gespart, an denen ich berechtigte Zweifel hatte (Avengers: Age of Ultron, American Sniper, 50 Shades of Grey, Herz aus Stahl, Fack Yu Göthe 2, The Interview, Er ist wieder da).

Ich muss sagen, dass inzwischen eine gewisse Entspannung eintritt: wenn ich einen Film oder eine Serie nicht innerhalb „seines/ihres“ Jahres schaffe, geht die Welt nicht unter, zumal ich dank Streamingdiensten und vor allem diesem gewissen deutsch-französischen Kulturkanals inzwischen auch ein lohnendes Gegenprogramm zur Hand habe („Hast du vielleicht diese tolle Doku auf arte schon gesehen?“). Es bringt mir persönlich dann mehr, wenn ich einen Film wie Sue – Dinosaurier No. 13 sehen kann und tangiert mich weniger, wenn ich etwas wie Gaspar Noés Love (zunächst) verpasse. Buzz-Filme kommen und gehen und meine Zeit wird mir zusehends zu schade dafür, sie für Filme zu opfern, die ich womöglich nur um des Sehens und des kurzlebigen Mitreden-Könnens sehen würde, an denen aber weniger Interesse besteht. Ich merke, dass mir das gut tut und diesen Trend versuche ich auch 2016 beizubehalten.

Was mich allerdings wirklich ärgert ist mein Besprechungsoutput: lediglich 36 Reviews haben ihren Weg in diesen Blog gefunden, dazu schmale zwei Capsule Reviews. Im Gegensatz zu 2014 mit 113 Besprechungen und sage und schreibe 168 im „Eröffnungsjahr“ 2013 ist das natürlich nicht sehr beeindruckend. Kann ich Besserung geloben? Ich habe mir zumindest vorgenommen, im Laufe des Jahres 2016 alle James Bond-Filme zu besprechen, also werden wir wohl sehen müssen, was die Zeit bringt. Dass es neben Filmen auch noch so etwas wie ein Leben gibt, unglaublich …
Dafür haben mich die Blog-Veranstaltungen wie der Horrorctober und vor allem meine Wünsch dir ein Review!-Aktion sehr gefreut: tolle Filme, tolle Reaktionen, tolle Filmbloggercommunity. Dank an alle meine Mitblogger, die mit ihrem Feedback, Anregungen und Gesprächen das Jahr besonders gemacht haben.

Doch nun zu dem, weshalb ihr hier seid: die Top- und Flop-Listen. Fangen wir an dieser Stelle mit den Serien(staffeln) an, die letztes Jahr hier nicht beachtet wurden.

FLOP 5 (Serien, gesehen 2015)

05.) THE WALKING DEAD (Staffel 5)
04.) KOMMISSARIN LUND (Staffel 2)
03.) FEAR THE WALKINGDEAD (Staffel 1)
02.) THE 100 (Staffel 1)
01.) WELCOME TO SWEDEN (Staffel 1)


TOP 10 (Serien, gesehen 2015)

10.) THE STRAIN/iZOMBIE (Tie, beide Staffel 1)
09.) ORANGE IS THE NEW BLACK (alle Staffeln)
08.) THE KNICK (Staffel 1)
07.) THE LAST MAN ON EARTH (Staffel 2)
06.) BETTER CALL SAUL (Staffel 1)
05.) BEASTS (Komplette Serie)
04.) GILMORE GIRLS (Staffel 1, aber eigentlich die komplette Serie)
03.) BLACK MIRROR (Staffel 1)
02.) RECTIFY (Staffel 1)
01.) DIE LANGEN,GROßEN FERIEN (Komplette Serie)


Als nächstes eine kleine Empfehlungsliste jenseits des Filmjahres 2015: eine Top 10 der Filme, die ich in jenem Jahr zum ersten Mal gesehen habe:

10.) DER GENERAL (1926)
09.) VERBOTENE FILME (2014)
07.) DER PIANIST (2002)
06.) FRUITVALE STATION (2013)
04.) AME & JUKI – DIE WOLFSKINDER (2012)
03.) UNDER THE SKIN (2013)
02.) NIGHTCRAWLER (2014)
01.) OSLO, 31. AUGUST (2011)


Nun aber das Filetstück dieses Rückblicks, die Tops und Flops des Jahres 2015. Behaltet noch einmal im Hinterkopf, dass ich viele Filme nicht gesehen habe und diese Listen einem Evolutionsprozess unterliegen. Wenn ihr in einem Jahr hier vorbeischaut, wird sich dort sicherlich etwas geändert haben.

Bei den Flops habe ich mir, wie gesagt, viele Filme gespart, von denen ich von vornherein das ungute Gefühl hatte, sie würden auf dieser Liste landen. Darum ist es nur eine Flop 5, aber ein paar unehrenhafte Nennungen habe ich dennoch:
Zum einen wäre da M. Night Shyamalans „Rückkehr zu seinen Wurzeln“, was wohl so viel heißt wie: „Ein paar spannende Szenen sollen ein lahmes und vorhersehbares Drehbuch retten.“ The Visit war keine riesige Katastrophe, aber auch keine kleine Offenbarung, auch wenn sich diese Titulierung wohl dadurch erklären lässt, dass der Film kein Über-Schwachsinn wie The Happening war. Ebenfalls enttäuschend waren der bonbonbunte, enervierende Home – Ein smektakulärer Trip (bei dem ich erfahren musste, dass Selfies während des Films mit Blitzlicht von einigen Kinogängern augenscheinlich als normal angesehen werden) und die deutsche Produktion Wir sind jung. Wir sind stark., der wieder einmal zu sehr die Seite der rechtsextremen Täter beleuchtet. Gerade jetzt hat Rostock-Lichtenhagen Anfang der 1990er wieder an Aktualität gewonnen und der Film schwelgt etwas zu sehr in Zeitlupenaufnahmen von Feuer, Mob und Aggressionen.
Eine spezielle Nennung hat auch der dreißigminütige Internetfilm Kung Fury verdient, der in diesem Jahr die Runden machte. Pseudolustige Trash-Parodie, die die Materie nicht versteht und sehr viel mehr nervt als dass sie unterhält. Wie las ich so treffend in einem Kommentar auf Letterboxd: „Ein Film, wie sich 20-jährige Hipster die Filme der 1980er vorstellen.“ Ein klassischer Fall von Don’t believe the Hype.
Last but not least, auch nur weil ich es dank des üblichen Familienweihnachten gesehen habe: Das Traumschiff: Macau. TV-Unterhaltung auf tiefstem Niveau mit einem stümperhaften Drehbuch und grandios hölzernen Darstellern. Eigentlich eine Unverschämtheit, dass so etwas als seichte Unterhaltung angeboten wird, denn es beleidigt jegliche gute seichte Unterhaltung.
Wie dem auch sei, hier nun die Flop 5 2015:

05.) AUTÓMATA (USA/Spanien/Kanada/Bulgarien 2014, Gabe Ibánez)
Roboter entwickeln ein Bewusstsein und fordern Autonomie von den wie eh und je unvernünftigen Menschen. Bekannte, aber immer wieder starke Prämisse, ohne Elan und erwähnenswerte Einfälle umgesetzt. Gelungene Tricks und eine melancholische Grundstimmung können die sich dahin schleppende Story mit Erlöserkomplex leider nicht übertünchen.

04.) EXTRATERRESTRIAL – SIE KOMMEN NICHT IN FRIEDEN (Extraterrestrial, USA/Kanada 2014, Colin Minihan)
Freunde treffen im Wald auf aggressive Aliens und werden in eine Verschwörung aus dem Papierkorb der Akte X-Autoren hineingezogen. Genauso überraschungsarm und vorhersehbar wie es sich anhört, dazu noch billig getrickst und brav alle Klischees bedienend. Muss man sich wundern, dass so etwas klammheimlich auf Heimmedien veröffentlicht wird? Wer eine spannende Variante des Themas (sozusagen) sehen will, dem sei Pod von Mickey Keating ans Herz gelegt.

03.) STUNG (Deutschland/USA 2015, Benni Diez)
Es ist schade, wie wenig der Film seiner Location vertraut, wie wenig er auf die gegebenen Umstände setzt, die sich vor ihm ausbreiten und er stattdessen den Weg des geringsten, markttechnisch optimierten Widerstandes geht. So erstickt Stung eine potenzielle Einzigartigkeit im Keim und schafft es dann auch nicht, aus dem Rest zumindest noch ein unterhaltsames Trashfest zu machen.

02.) KINGSMAN – THE SECRET SERVICE (Großbritannien/USA 2014, Matthew Vaughn)
Eine Verschwendung von Talent, Ressourcen und Zeit. Reaktionär, kleingeistig und – zur „Würzung“ im rechten Moment – „ironisch-sexistisch“. In einer Welt, in der gerade der satirische Blick auf den glorifizierenden Agentenfilm viel Material anbietet, ist Kingsman schlicht zu kurz gegriffen.

01.) SHARKNADO 3: OH HELL NO! (USA 2015, Anthony C. Ferrante)
Heidewitzka, ohne die Einbettung in das SchleFaZ-Umfeld wäre dieser Film kaum erträglich gewesen. Ach, was rede ich, er ist es so auch kaum. Ich weiß, diese Filme sind von Haus aus notorisch schlecht und als Müll designt, aber das macht es kaum besser. Hai-Alarm am Müggelsee ist auch Trash, aber liebevoll gestalteter. Sharknado 3 ist billig, doof und in seinem forcierten Trash-Willen auch nicht sonderlich unterhaltsam. An diesen Filmen ist kaum etwas ehrlich, sie plagt also das gleiche Problem wie Kung Fury. Schlechter Geschmack und filmische Selbstüberschätzung sind quasi Kunstformen, die von den Sharknado-Machern nicht beherrscht werden.

In erfreulicheren Gefilden tummeln sich dieses Jahr wieder so einige Filme, die entweder im guten Mittelfeld oder darüber hinaus angesiedelt sind. Einige davon haben gar einige Prügel bezogen, aber da dies ja meine Liste ist, kann ich sie hier in Schutz nehmen. Bei den ehrenwerten Nennungen wäre da Jurassic World, sicherlich eine aufgeblähte Variante des ersten Kinofilms, der im Zuge von World auf einmal als über alles erhabene Meisterwerk gefeiert wurde, nichtsdestotrotz aber, ganz im Gegenteil zu dem schwächelnden neuen Star Wars-Kapitel, eine durchweg unterhaltsame Angelegenheit. Aber ich konnte mich ja auch mit der „Junge spielt seinen Lieblingsfilm nach“-Mentalität von Peter Jacksons King Kong arrangieren. Vor allem, weil Jurassic World auch eine Kritik an der „Höher, schneller, weiter“-Einstellung des Blockbusters darstellt. Dass er diese Mechanismen gleichzeitig bedient, steht ja auf einem anderen Blatt.
Zum anderen ist da der dokumentarische Horrorfilm The Nightmare, den ich eher als Selbsttherapie denn als „ernsthaften“ Dokumentarfilm sehe. Schon der Erstling von Regisseur Rodney Ascher, der aberwitzige Room 237, kam bei mir besser an als bei vielen anderen, ich denke, sie subversive Zweideutigkeit, die er auch und gerade den schreibenden Rezipienten anbietet, ist genau mein Fall.
Ansonsten hat mich noch der Abduktionsthriller Honeymoon überzeugt, vor allem, weil er sich an den entscheidenden Stellen zurücknimmt und einem die Figuren schnell ans Herz wachsen, ebenso wie die durchdachte Komödie Ricki and the Flash und der neue Anti-(Pro?)Weihnachtsklassiker Krampus. Ebenfalls sehenswert ist das traumwandlerische, bemerkenswert sicher inszenierte Drama Nachthelle, die Netflix-Doku My Own Man, die Männlichkeitsbilder im Angesicht der Vaterschaft in Frage stellt und die beobachtende Dokumentation Willkommen auf Deutsch, in der in Zeiten von sogenannten „Montagsdemonstrationen“ und Massen an Terroranschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte in Form der doch nur so um ihre Liebsten besorgten Bürger, die argwöhnisch über ihr kleingeistiges Territorium wachen, ungeahnter Sprengstoff steckt.

10.) MAGGIE (USA 2015, Henry Hobson)
Maggie ist ein ungewöhnlicher Film, mehr Drama als Horror, und als solcher schon fast auf Kritik der Genrefans programmiert. Nicht wenigen wird es wie eine Verschwendung vorkommen, dass aus der Konstellation Schwarzenegger/Zombies nicht eine Reminiszenz an das Actionkino vergangener Dekaden geworden ist. Für alle, die für eine erweiterte Definition des Genres offen sind (denn schließlich ist der Verlust einen geliebten Menschen mehr Horror als alle Zombiefilme zusammen), dem bietet Maggie ein lohnendes, melancholisches, nachdenkliches Erlebnis. It’s not your average zombie flick – und genau das macht ihn so stark.


09.) UNDERDOG (Fehér isten, Ungarn/Deutschland/Schweden 2014, Kornél Mundruczó)
Erzählt man die Prämisse des ungarischen Films Underdog – Ein von seinen Menschen verlassener Hund zettelt mit Artgenossen eine Revolution an – wird schnell die Frage gestellt, ob es sich hierbei um einen Animationsfilm handelt. Dem ist nicht so: die Hunde reden nicht und die Revolution geht auch nicht lustig oder mit Slapstickeinlagen versehen vonstatten. Es ist vielmehr ein Drama mit einigen pointierten Bildern (der Vater der menschlichen Protagonistin besucht gleich zu Beginn ein Schlachthaus, Sinnbild der selbsternannten Entscheidungshohheit des Menschen über das Tier), hervorragend komponierten Tiersequenzen und auch wenn der politische Anspruch nicht wirklich eingelöst wird (als Film über das immer weiter nach rechts abdriftende Ungarn taugt Underdog nur eingeschränkt), funktioniert der international als White God bekannte Film doch als Parabel. Hund Hagen erhebt sich aus einem System, dass ihm und den Seinen aufgezwungen wird und dabei geht es gar nicht darum, möglichst viele Menschen zu töten (was Underdog als Rachefilm disqualifiziert), sondern um die unmissverständliche Forderung nach Anerkennung. Sicherlich unterstellt man den Hunden damit menschliche Motivationen, was aber in einer Parabel nicht weiter negativ auffällt. Underdog ist sicherlich kein perfekter Film, aber sein Gerechtigkeitsbewusstsein, seine nicht von ungefähr vage an Planet der Affen – Prevolution erinnernde Revolution der Marginalisierten, machen ihn – zumindest für mich – sehr sehenswert. Und unter diesen Vorzeichen ist er dann wohl doch auch politisch zu verstehen. Es steckt mehr in diesem Underdog, als man auf den ersten Blick meinen könnte.


08.) DER BABADOOK (The Babadook, Australien 2014, Jennifer Kent)
Als Monsterfilm wird Der Babadook Genrefans recht wenig von dem bieten, was sie suchen. Wer hingegen ein emotional ansprechendes, kompetent inszeniertes Psychodrama sehen möchte, dass entwaffnend ehrlich mit Gefühlen, auch mit düsteren, umgeht, dem offeriert Regisseurin Jennifer Kent einen involvierenden Film, dessen Sujet Trauer durchaus auch auf andere emotionale Ausnahmesituationen angewendet werden kann. Der Babadook kann jeden besuchen und das Mantra des Film – „Don’t let it in!“ – ist als Plädoyer gegen emotionale Abschottung zu verstehen. Verdrängung gebiert Monster, die des Nachts durch knarzende Türen kommen und es bedarf eines emotionalen Reifungsprozess, um ihrer Herr zu werden. So ist Der Babadook letztlich ein hoffnungsfroher, lebensbejahender Film, der um die Finsternis der Existenz weiß, sich von ihrer aber nicht beherrschen lassen will. You can’t get rid of the Babadook – but you can learn to cope with him.


07.) UPSTREAM COLOR (USA 2013, Shane Carruth)
Dank dem deutschen Netflix-Ablegers ist dieser Film nun auch hierzulande ganz offiziell zu sehen und was soll man sagen: vieles, was man gehört hat, erweist sich als wahr. Upstream Color ist ein fordernder Film, ohne Frage. Er verlangt Aufmerksamkeit, Kombinationsgabe, Interpretationsfähigkeit und auch Geduld, wenn die eindeutig von Terrence Malick inspirierte Kamera sich verselbstständigt. Aber anders als Malick, der sich gern in einem gefälligen Nichts ergeht, findet Upstream Color immer wieder zu seiner Geschichte zurück, die gleichermaßen bedrückt, beflügelt, vollkommen klar und rätselhaft ist. Die wie in einem Zwischenstadium zwischen Traum und Erwachen erzählte Mär über die Essenz eines Parasiten, der die Fähigkeit besitzt, verschiedene Spezies‘ (in diesem Fall Mensch und Schwein, im weitesten Sinne auch noch Made und Orchidee) auf einem nicht ganz greifbaren geistigen Level zueinander zu führen, stellt unaufgeregt die Frage nach der Verbundenheit des Lebens auf diesem Planeten. Steht der Mensch allein da oder besteht die Möglichkeit, in einen Kontakt zu nichtmenschlichen Lebewesen zu treten, der über das Streicheln und Aufessen hinaus geht? Upstream Color ist schlicht faszinierend.


06.) DAS MÄDCHEN HIRUT (Difret, Äthiopien/USA 2014, Zeresenay Mehari)
Nicht wenige werden bemängeln, dass Das Mädchen Hirut den Sehgewohnheiten des gängigen Kinos nicht entspricht. Der Realismus dieser äthiopischen Produktion hat nichts mit der Lackoberfläche eines durchschnittlichen US-Films zu tun. Aber ist nicht auch das ein Wert an sich? Und warum den Film darum ablehnen? Weil er solide inszeniert und eine Geschichte zu erzählen hat? Wohl kaum. Das Mädchen Hirut über die titelgebende Protagonistin, die entführt wird, ihren Entführer auf der Flucht erschießt und darum vor Gericht zum Tode verurteilt werden soll (Anmerkung: Hirut ist erst 14 Jahre alt) ist ein über weite Teile bemerkenswert ruhig erzählter Film, in dem Überzeugungen von der Gleichberechtigung der Geschlechter mit patriarchalen Strukturen zusammenprallen. Er gibt Einblick in eine Rechtsprechung, die fremd wirkt, ohne sie zu dämonisieren. Hirut sind Worte wichtiger, Überzeugungen, die standhaft verteidigt werden, auch gegen juristische und soziale Irrungen und Wirrungen. Das Mädchen Hirut ist ein kleiner, starker, selbstbewusster Film über Rechte, Gesellschaft und die Emanzipation beider Geschlechter von hinterfragungswürdigen Traditionen.


05.) MAD MAX: FURY ROAD (USA/Australien 2015, George Miller)
Mad Max: Fury Road ist die Art Sommerblockbuster, von der man träumt, wenn man wieder einen schlechten Vertreter dieser Spezies gesehen hat. Er rast im wahrsten Sinne dahin, präsentiert Action, die Ihresgleichen sucht und weigert sich zudem beharrlich, sich einer Lobotomie hinzugeben. Denn in den Händen eines fähigen Regisseurs wie Miller ist ein Typ mit einer Gitarre, die gleichzeitig ein Flammenwerfer ist, eben nicht nur das. Vielmehr ist er mit einem fordernden Phallus ausgestatteter Teil einer diktatorischen Gigantomanie, die die Vertreter einer auf Humanität und Solidarität aufbauenden neuen Ordnung durch die Wüste jagt. Der Phallus geht natürlich mit der größten möglichen Zerstörung zu Grunde und die Welt kann nach der Apokalypse zumindest im Kleinen beginnen, nicht wieder die Fehler der machthungrigen Vorangegangenen zu begehen. Und auch wenn man von all diesen Interpretationen nichts halten mag: Fury Road ist eben auch pure Kinetik und höchst unterhaltsames Genrekino. Zusammen mit der Tatsache, dass er sein Publikum nicht für dumm verkauft ist er ein Blockbuster der allerbesten Sorte.


04.) BIRDMAN oder DIE UNVERHOFFTE MACHT DER AHNUNGSLOSIGKEIT (Birdman or The Unexpected Virtue of Ignorance, USA 2014, Alejandro G. Iñárritu)
Birdman ist eine einzige Hinterfragung. Er hinterfragt schöpferische Motivationen, künstlerische Terrains und auch den Geisteszustand der Menschen, die sich in den sogenannten schönen Künsten und ihren Peripherien bewegen. Es ist eine schwarze Komödie, die, wie es gute Filme nun einmal tun, mehrere Betrachtungsebnen anbietet. Egal ob Psychogram, Satire oder schlichter Mindfuck (auch wenn diese Elemente nicht so prätentiös daherkommen wie beispielsweise in Enemy) - Birdman ist ein involvierender Film.


03.) ALLES STEHT KOPF (Inside Out, USA 2015, Pete Doctor und Ronnie Del Carmen)
Man musste ja schon Sorge um PIXAR haben: das inzwischen zu Disney gehörige Animationsstudio schien seit ihrem Erstling Toy Story Midas‘ Hände zu besitzen. Dann irgendwann kam Cars und erzählte Doc Hollywood mit sprechenden Autos nach. Er folgte der von der Kritik zu Unrecht gescholtene Merida – Legende der Highlands, die belanglosen Fortsetzungen Cars 2 und Die Monster-Uni und plötzlich war nicht mehr klar, ob irgendetwas abhanden gekommen sein könnte. Mit Alles steht Kopf meldet sich PIXAR zurück und auch wenn man in den Untiefen des Internets einige ziemlich Publikumsverachtende „Interpretationen“ geboten bekommt, ist dies eine pointierte Darstellung des menschlichen Gefühlsleben, ausagiert von personalisierten Emotionen, die (nein, die menschliche Protagonistin nicht lenken und zur willenlosen Sklavin machen) nachvollziehbar (natürlich vereinfachend, aber darum nicht weniger wertig) auf die Zerwürfnisse in der Welt außerhalb von Rileys Kopf reagieren. Denn der Film funktioniert auch, wenn man die „Innenansichten“ herausschneidet, was ihn nur noch mehr zu einem Portrait sich verändernder Gemütszustände und auch psychischer Problemen wie Depressionen macht. Es ist insofern auch ein erwachsener Film, weil er gerade im Gewand eines bunten Animationsfilms ein Stück weit die heile Welt demontiert, mit der die Gefühls- und Erfahrungswelt von Kindern gerne dargestellt wird. Alle steht Kopf gesteht gerade seinen jüngeren Zuschauern eine erfrischende emotionale Komplexität zu. So fügen sich unzählige Details zu einem stimmigen Ganzen zusammen, dass Menschen nicht die Autonomität über ihren Willen nimmt, sondern sie im Gegenteil dazu auffordert, mit ihren Gefühlen zu reifen. Nur wie Emotionen selbst unterschiedliche Emotionen haben können ist eine Nuss, die man besser nicht zu knacken versuchen sollte.


02.) EX MACHINA (Großbritannien 2015, Alex Garland)
Ex Machina ist das beeindruckende Regiedebüt eines talentierten Erzählers, eine sorgfältig konstruierte Geschichte über das technisch machbare und die unvorhergesehenen Wege, die eine Entwicklung manchmal einschlagen kann. Vor allem aber gibt Garland der filmischen Repräsentation künstlicher Intelligenz eine Eigenständigkeit zurück, die überrascht, und wirft so einen Diskurs in Gang, an dem man sich nur allzu gerne beteiligt. Denn Ex Machina nimmt Intelligenz, egal ob künstlich oder nicht, ernst und schon allein deshalb gebührt ihm Respekt.


01.) NIGHT WILL FALL (Großbritannien 2014, André Singer)
Der Zweite Weltkrieg in Farbe! Wenn bisher nicht veröffentlichte Farbaufnahmen von Hitlers Schäferhund als Sensation verkauft werden, könnte man meinen, dass inzwischen alles zum Dritten Reich gesagt und gezeigt wurde. Die Geschichte findet ein Ende, was einem nicht unerheblichen Anteil der Deutschen, die finden, die Beschäftigung mit den zwölf Jahren Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten müsste aufhören, natürlich entgegenkommen würde. Die ist selbstredend Blödsinn, denn weder kann man einen Geschichtsschnitt machen, nur weil man zu bequem, zu ignorant oder schlicht zu wenig empathisch ist, um sich mit dem deutschen Sündenfall zu beschäftigen, noch sind alle Geschichten erzählt, alle Teilchen ins Mosaik eingefügt. Hitlers Schäferhund sieht auch in Farbe aus wie ein normaler Schäferhund, was Night will fall zeigt ist jedoch von einer drastischen Intensität, vor allem aber von einem Perspektivwechsel geprägt, der nur allzu willkommen ist bei der Flut von Dokumentationen, die sich fast ausschließlich für die Täter interessieren und in denen die Opfer eher „schmückendes Beiwerk“ sind. Night will fall zwingt zum hinsehen, zum Blick in den Abgrund toter Augen und ausgemergelter Körper. Technisch ist der Film den Sehgewohnheiten des öffentlich-rechtlichen Dokumentationskonsumenten verpflichtet, inhaltlich ist er ein regelrechter Leviathan.


4 Kommentare:

  1. Von deiner Best of Top 10 Liste kenne ich gerade einmal zwei (Mad Max und Birdman). Die waren aber auch bei mir recht hoch in der Gunst. "Das Mädchen Hirut" habe ich leider nicht gesehen. Das wird aber definitiv noch nachgeholt. Man kann halt nicht immer alles interessante eines Jahres sofort sehen (wie du ja auch angemerkt hast). Und manchmal ist es auch ganz gut, damit noch etwas zu warten, um den Abstand für eine objektivere Kritik zu nutzen.

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    1. Das ist wahr. Ich hätte meine Besprechung zum aktuellen "Star Wars" wohl auch anders verfasst (und die Wertung um einen halben Stern nach unten korrigiert), aber manchmal juckt es einen dann doch in den Fingern. Generell ist Abstand gut. Und "Das Mädchen Hirut" solltest du in der Tat nachholen. ;-)

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  2. Zumindest einer, der MAGGIE zu schätzen weiß :)

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    1. Ich verstehe gar nicht, wie man den nicht schätzen kann nach all dem redundanten "Walking Dead"-Kram. :) Wenn er ins Kino gekommen wäre, hätte er bestimmt mehr Aufmerksamkeit bekommen.

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