Montag, 2. März 2015

Enemy (2014)




ENEMY
Kanada/Spanien 2014
Regie: Denis Villeneuve
Dt. Erstaufführung: 22.05.2014

Denis Villeneuve darf sich wohl inzwischen Liebling der Kritiker nennen. Nach dem massiv gefeierten Prisoners, einer um einen religiösen Aspekt erweiterten Pseudo-US-Version des dänischen Die Jagd konnte auch Enemy, der eigentlich vor dem erzählerisch konventionelleren Prisoners entstand, einiges an Lob auf sich ziehen. Ob es die Nachwehen von Prisoners waren und wie die Reaktion ausgefallen wäre, wenn die Filme in „korrekter“ Reihenfolge erschienen wären, muss dem Reich der Spekulationen überlassen werden. Schließlich darf man auch Kritiker nicht eine gewisse Generosität absprechen, wenn sie einen Regisseur erst einmal in ihr Herz geschlossen haben. Denn so sehr sich Enemy auch bemüht, er ist ein etwas zu offensichtlicher David Lynch-Abklatsch, ein zu sehr auf dann doch recht einfach zu entschlüsselnde Mindfuck-Momente ausgelegter Film, der durch die Dechiffrierung paradoxerweise nicht gewinnt, sonder abbaut.

Der in seinem Alltagstrott gefangene Uniprofessor Adam (Jake Gyllenhaal) entdeckt in einem Film, der ihm empfohlen wurde, sein perfektes Ebenbild in einer kleinen Nebenrolle. Dies wirft ihn völlig aus der Bahn, er beginnt, Nachforschungen anzustellen und forciert schließlich sogar ein Treffen mit dem wenig erfolgreichen Mimen Anthony (ebenfalls Gyllenhaal). Dieser entpuppt sich als unberechenbar und mit dem gegenseitigen Wissen um die Existenz des jeweils anderen entspinnt sich ein Psychospielchen, in dem die Wahrhaftigkeit der Realität immer wieder hinterfragt und auf den Kopf gestellt wird.

Enemy ist einer dieser Filme, der für jeden Zuschauer eine eigene Interpretation bereit hält. Darum ist auch die folgende nicht in  Stein gemeißelt, orientiert sich aber an der Aussage Villeneuves, es ginge in seinem Film um einen bald zum Vater werdenden Ehebrecher. Folgt man diesem Ansatz, entschlüsselt sich die Handlung wie folgt: Anthony, der Schauspieler, ist der eigentliche Protagonist, Adam nur seine „sanfte Seite“, die sich, entgegen seiner wahren Natur, über die Schwangerschaft seiner Frau zu freuen imstande ist. Beide Pole umkreisen sich, testen die Grenzen aus, müssen eine Art Ko-Existenz finden. Der Film ist also nicht Abbild einer filmisch aufbereiteten Realität, sondern mehr Illustration des Unterbewusstseins von Gyllenhaals getriebenen Charakters.

Was sich so als durchaus interessantes Gedankenspiel liest, wird unter dem Vorzeichen Villeneuves zu einer recht unangenehmen Sache, weil der Protagonist schlussendlich vor allem als eins dasteht: als wankelmütiger Beziehungsphobiker, der eine Frau schwängert, mit der anderen eine freudlose Affäre hat und insgesamt recht ziellos durchs Leben wandert. Anthony ist im Grunde ein ähnlich schwer zu ertragender Charakter wie die Hipster in Frances Ha. Natürlich liegt auch in der Verleumdung der intellektuellen-sanften Seite, denn nichts anderes ist Adam, eine gehörige Portion Tragik, aber letztlich ist Enemy die Geschichte eines – pardon – Idioten, dem eine gewisse misogyne Seite nicht abgesprochen werden kann. Dass Villeneuve diesen latenten Hass Frauen gegenüber auch mit der Gleichsetzung von Weiblichkeit und Insekten und Spinnentieren bebildert, verbessert den Eindruck nicht. Die Mutter als riesige Spinne, die haushoch über Adams/Anthonys gesamter Welt wandelt, das Ende, dass, obgleich für sich genommen ein grandioser Moment, andeutet, dass die Wandlung der Hauptfigur nur temporärer Natur sein wird, weil die alte Angst vor Frauen und ihrer Gebärfähigkeit wieder zum Vorschein kommt. Ein Mann hat Angst vor Frauen und vor der Verantwortung, die die Vaterschaft mit sich bringt – mehr hat Enemy nicht zu erzählen und er interessiert sich auch nicht für irgendwie geartete menschliche Lösungsansätze. Am Ende hat „unser Held“ immer noch irrationale Furcht, nichts ist gewonnen. Natürlich muss nicht immer alles in Wohlgefallen enden, aber Enemy tritt auf penetrante Weise auf der Stelle.

Doch hat diese Interpretation einen Sinn? Freunde des Films werden dies selbstredend sofort verneinen, aber auch sonst ist der Film derartig offen gestaltet, dass er mehrere Lösungen bereithält. Dieses sich absolut auf nichts festlegen wollen kann man nun gleichermaßen als genial wie plakativ empfinden. Macht was ihr wollt, es ist mir egal, wahrscheinlich stimmt alles. Dies zeigt sich schon darin, dass Villeneuve seiner Geschichte gar keinen Anker in der Realität geben will. Die Stadt ist meistens menschenleer, Figuren verhalten sich möglichst weit von jeder normalen Reaktion entfernt – schlich sich bei Hitchcock die Ebene hinter dem Offensichtlichen gern langsam in den Vordergrund ist bei Enemy von vornherein klar – hier ist alles seltsam. Viel zu oft drängt sich der Eindruck auf, Villeneuve drehe diesen Film nur wegen des Effekts, den Mindfuck um des Mindfucks Willen.

Also eine gänzlich gescheiterte Angelegenheit? Nein. Handwerklich ist der Film ein Paradebeispiel mit kafkaesken Bildern, hervorragenden Effekten, die behutsam eingesetzt werden (offiziell ist Enemy ein Thriller, bietet aber genügend Alptraumbilder wie ein zünftiger Horrorfilm) und einer durchaus involvierenden Atmosphäre. Auch wenn man enttäuscht wird, man wollte dennoch stets wissen, wohin die Reise geht. Die Schauspieler geben ihr Bestes, um gegen das aufgesetzte Drehbuch anzukommen.
Enemy ist, was der Zuschauer daraus macht. Das gilt zwar für alle Filme, aber in diesem Fall besonders. Was für den einen (wie mich) ein misogynes, fragwürdiges Kuriosum ist, ist für den anderen vielleicht eine komplett stimmige Auseinandersetzung mit (männlichen) Ängsten. Oder etwas ganz anderes.





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