Mittwoch, 3. September 2014

Noah (2014)




NOAH
USA 2014
Dt. Erstaufführung: 03.04.2014
Regie: Darren Aronofsky

Eins hat Regisseur Darren Aronofsky (Black Swan, The Fountain) auf jeden Fall verstanden: bei der Bibel handelt es sich um eine Ansammlung von Fantasygeschichten. Die gleichen Menschen, die Fantasien (gerade sexuellen) reichlich skeptisch bis feindselig gegenüberstehen haben im Gegenzug kein Problem, Geschichten über magisch geteilte Meere, Jungfrauengeburten und sprechende Büsche zu glauben, Allegoriecharakter hin oder her. So ist Noah unter diesem Gesichtspunkt ein Film, der durchaus interessante Ansatzpunkte bietet und sich in der ersten Hälfte als unterhaltsamer Fantasy-Trash präsentiert. Doch um die fragwürdigen Implikationen, die der Mär von der Sintflut innewohnen, schlängelt sich der Film herum wie die computeranimierte Schlange im Paradies, auch wenn die zweite Hälfte durchaus Fragen nach religiösem Fundamentalismus aufwirft. Insgesamt ist Noah aber zu unentschlossen, um als durchweg gelungener Beitrag zum Bibelfilm gewertet zu werden.

Noah (Russell Crowe), einem der letzten Nachfahren der "guten Menschen" aus der Linie des Set (einem der drei Söhne von Adam und Eva), plagen Visionen  vom Weltuntergang und er ist überzeugt, dass Gott mit ihm spricht und ihn auserwählt hat. Bestärkt durch seinen Großvater Methusalem (Anthony Hopkins) und eine göttliche Materialbeschaffung beginnt Noah mit dem Bau einer Arche, in der zumindest die Tiere der Erde vor der kommenden, alles reinigenden Sintflut gerettet werden sollen. Natürlich bleibt so ein Unterfangen nicht unbemerkt und als der Bau in den finalen Zügen liegt, tauchen die Nachfahren Kains, die "schlechten Menschen" auf, um ihren Platz auf dem rettenden Schiff einzufordern...

Um einige der drängendsten und offensichtlichsten Fragen larviert sich Noah herum. Ständig erwähnt er die drei Söhne Adam und Evas, Kain, Abel und Set, lässt ersteren mithilfe gefallener Engel, die auf der Erde zu Steinwesen wurden, eine Zivilisation gründen und beantwortet nicht, wie dies ein einzelner Mann ohne Möglichkeit zur Fortpflanzung geschafft haben soll. Später wird dieser Umstand die Überlebenden betreffend dafür umso mehr in den Fokus gerückt und die inzestuöse Implikation aus der Bibel sogar noch verstärkt. Genetische Vielfalt ist kein Thema, genauso wie der Film sehr deutlich macht, dass die Geschichte der Arche auch im Kino keine Beschreibung der menschlichen Diversität darstellt. Noah ist eine Geschichte vom "survival of the Whitest", erspart sich lediglich die Massen an schwarzen Sklaven, die im Zeichentrickfilm In der Arche ist der Wurm drin das Schiff zusammenbauten, um dann fröhlich in den Fluten unterzugehen. In dieser Präsentation ist Noah nur eine Fortschreibung des Mythos vom weißen Menschen als allgemeingültigen Rollenmodell, in dem sich alle anderen Ethnien gefälligst wiederfinden sollen. Dies ist weniger verzeihlich als die stereotype Zeichnung der Antagonisten, die als Repräsentation aller negativen menschlichen Eigenschaften durchgewunken werden können.

Doch man muss die Frage stellen, ob Noah nicht entrückt ist aus unserer Realität. Das erste Tier, das wir als Zuschauer zu Gesicht bekommen, ist eine Art Schuppenreh, eine Chimäre aus diversen Tierarten. An Bord der Arche fallen andere eindeutige Fantasiegestalten der dunklen Seite des Menschen zum Opfer und dann wären da noch die Steinwesen, die sich trotz ihrer linkischen Bewegungen als geschickte Baumeister erweisen (und den Einsatz menschlicher Bauhelfer überflüssig machen). Gerade diese hören sich in der Beschreibung schlimmer an, als sie im Endeffekt sind. Einen nicht gerade unerheblichen Anteil daran hat die visuelle Inszenierung, die, wie bei Aronofsky üblich, hervorragend ist. Das Gefühl der entrückten Welt setzt sich in die Spezialeffekte fort, die gar nicht den letztgültigen Versuch unternehmen, Fotorealismus vorzugaukeln. Und siehe da, es funktioniert. Ansonsten sind die optischen Bonmots, die aufgetischt werden, teilweise grandios. Der Fall der Engel beispielsweise oder die Bebilderung der Evolution, die es schafft, Wissenschaft und religiöse Allegorie unter einen Hut zu bringen. Und über die wahrlich beklemmenden Ausflüge in die Welt eines Hieronymus Bosch kann man kaum genug lobende Worte verlieren.

So generiert sich Noah vor allem in der ersten Stunde als vergnüglicher Hybrid zwischen tiefstem Trash und hohen Kunstkinoambitionen, büßt aber viel Kapital ein, als die Handlung gänzlich auf die Arche wechselt. Aronofsky wagt zwar einen Kommentar dahingehend, dass religiöser Fundamentalismus nicht über den gesunden Menschenverstand siegen sollte, aber der Noah, der sich in die Vorstellung eines freiwilligen Aussterbens der Menschheit hineingibt, wird mit fortschreitender Lauflänge ermüdend. Zumal man auch das Potenzial eines erneuten Sündenfalls, wie er sich in einem Subplot ankündigt, schlicht ungenutzt lässt. Am Ende steht nur eine generische Konfrontation zwischen zwei (bzw. drei) Männern. Noah behelligt den Zuschauer länger, als es gut für ihn ist und irgendwann setzt eine Unruhe ein, wie sie die Tiere empfinden mögen, wenn sie nach monatelangem Schlaf wieder aufwachen (ein besonders peinlicher Plot-Kniff, um sich nicht weiter mit der Fauna an Bord beschäftigen zu müssen). So gibt es nur unnötigen Raum zum Wälzen weiterer Gedanken wie: Scheut die Betonung eines vegetarischen Lebensstils nicht etwas zu sehr die Diskussion? Warum weicht der Film so sehr vor einer tiefergehenden Betrachtung der Dualität des Menschen zurück, obwohl er ständig behauptet, er würde sich für das Thema interessieren? Und wie gut muss der Weltuntergang schmecken, wenn man ihn wie Hopkins' Methusalem zelebriert?

Man kann konstatieren, dass Noah besser ist, als man nach den teils vernichtenden Kritiken erwarten konnte. Natürlich ist es religiöser Mumbo-Jumbo mit einigen extrem offensichtlichen Lücken, aber es ist auch das Werk eines Mannes, der für eine absolut gradlinige Verfilmung wohl auch nicht zu haben gewesen wäre. Aronofskys Noah ist manchmal fragwürdig, manchmal langweilig, aber auch visuell berauschend und voller Details, die entdeckt werden wollen. Kein Film, der eine Sintflut überdauern würde, aber einer, der gestaltungswilliger und diskursfreudiger daherkommt, als man ihm jemals zugetraut hätte.



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