Mittwoch, 3. September 2014

Im August in Osage County (2013)




IM AUGUST IN OSAGE COUNTY
(August: Osage County)
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 06.03.2014
Regie: John Wells

Die Familie, gerade die dysfunktionale, ist ein dankbares Thema in Film und Fernsehen. Die Bandbreite reicht da von vollkommen harmlosen Schwanks in Seifenoper-Manier über Sitcoms, die den familiären Status Quo am Ende einer 22-Minuten-Folge wieder herstellen bis zu Werken, die sich ehrlich auch mit den Schattenseiten des Familienlebens auseinandersetzen. Nur weil Menschen genetisch verwandt sind oder sie sich irgendwann einander in Liebe zugewandt haben bedeutet das nicht, dass dies nicht die Keimzelle lebenslanger, womöglich unauflöslicher Konflikte sein kann. Und da Blut gemeinhin dicker ist als Wasser fällt eine Abgrenzung, geschweige denn eine Beziehungsaufgabe, besonders schwer. Im August in Osage County, von Tracy Letts nach ihrem eigenen Bühnenstück geschrieben, ist eindeutig eine Erzählung jenseits der rosaroten Brille. Es wird viel geschrien in diesem Film, sehr viel schmutzige Wäsche gewaschen, und auch wenn dem Werk insgesamt die Pointiertheit eines Nebraska fehlt, der sich in diesem Jahr auch von gewaltigen interfamiliären Konflikten berichtete, so ist der insgesamt doch erstaunlich nüchtern gehaltene Im August in Osage County ein interessanter Blick auf das vielleicht schwierigste Beziehungsgeflecht, dass Menschen eingehen können.

Beverly (Sam Shepard) ist verschwunden. Der Poet, der mit der grantigen, an Mundkrebs erkrankten Violet (Meryl Streep) seit Jahrzehnten verheiratet ist, kam von einem unangekündigten Spazierganz nicht zurück. Widerwillig reist die älteste Tochter Barbara (Julia Roberts) samt Bald-Ex-Mann (Ewan McGregor) und pubertierender Tochter (Abigail Breslin) an, um die einzig noch in der Nähe der Mutter wohnende Schwester Ivy (Julianne Nicholson) bei der Suche zu unterstützen. Man versichert sich, dass der Alkoholiker sicher nur an einem ruhigen Plätzchen entspannt, doch dann kommt die Hiobsbotschaft über die Familie: Beverly ist ertrunken. Zur Trauerfeier in jenem unerträglich heißem August im Mittleren Westen kommt die ganze Familie zusammen: Violets ebenfalls schwer erträgliche Schwester Mattie Fae (Margo Martindale) samt gutmütigem Ehemann Charlie (Chris Cooper) und hochsensiblen Sohn Charles (Benedict Cumberbatch), die dritte Schwester Karen (Juliette Lewis) samt neuen Freund (Dermot Mulroney). Alte Kränkungen werden neu aufgelegt, lang vergrabene Unstimmigkeiten angesprochen und als die Tablettensucht der Mutter aufs Trapez kommt, ist der Eklat vorprogrammiert...

Kernstück des Films ist ein ausgedehntes Familienessen nach der Beerdigung Beverlys, das seine Theaterherkunft nicht verneinen kann. Es ist wohl diese Sequenz, an der sich das Publikum von Im August in Osage County in zwei Lager teilt, denn so superb die Darsteller agieren, wie bissig die Dialoge auch sind, das Ganze ist auch mitunter enervierend schrill und grob. Nein, man muss die meisten Figuren nicht mögen und wer ein Problem mit keifenden Darbietungen hat, die vielleicht manchmal schon zu viel der Realität sind, der wird womöglich weniger Freude mit dem Film haben. Im August in Osage County ist fordernd, durchaus anstrengend, legt aber auch mit einer Treffsicherheit den Finger in Wunden, dass es schwer ist, sich ihm zu entziehen.

Wie gesagt, man kann und muss die meisten Figuren nicht mögen, auch wenn man dabei mit einem interessanten Betrachtungswinkel konfrontiert wird: die Männer kommen insgesamt besser weg als die Frauen. Unter anderen Umständen hätte das etwas Misogynes gehabt, doch DrehbuchautorIN Letts versteht sich darauf, ihre weiblichen Figuren eher als Chance zur Demaskierung gängiger Geschlechterklischees zu begreifen. Es sind hier die Männer, die Vermittlerrollen einnehmen, die einschreiten, wenn die Situationen zu eskalieren drohen und die sehr viel feinfühliger sind, als gut für sie ist - alles Attribute, die stereotyp eher Frauen zugesprochen werden. Diese bewegen sich hier dank des nuancierten Spiels von Streep, Roberts und Martindale weg vom Bild der fürsorglichen Mutter oder der verständnisvollen Tochter. In ihrer Fahrigkeit, Selbstgerechtigkeit und Zynismus dürfen sie einfach gebrochene Menschen sein, ohne dabei auch noch Hollywood'eske Ansprüche an Weiblichkeit erfüllen zu müssen.

So bleibt Im August in Osage County vor allem wegen der subtilen Dekonstruktion von Geschlechterrollen im Gedächtnis. Schon der Vater trägt den eher weiblich konnotierten Vornamen Beverly, während Tochter Barbara meistens nur Bob gerufen wird. Daneben dominieren süffisante Dialoge und eine zumindest in den klaustrophobischen Innenräumen des Elternhauses effektive Fotographie (die Hitze der Außenwelt einzufangen gelingt Kameramann Adriano Goldman nicht). Wenn der Film strauchelt, dann wenn er mit einigen Familiengeheimnissen zu plakativ, zu effekthascherisch umgeht, ohne in die Tiefe zu gehen. So ist der zentrale Konflikt zwischen Barbara und Violet gekonnt inszeniert, die Enthüllungen, die das Drehbuch für die beiden Schwestern bereit hält, wirken da wie schmückendes Beiwerk.

Was bleibt am Ende? Ist es die Abnabelung oder die Annäherung, in der der Schlüssel zu so etwas wie familiärer Harmonie liegt? Ist es besser, wenn es gar nicht geht, dass man sich willentlich entfremdet oder hinterlässt dies nur eine noch größere Leere als das ewige Hin und Her zwischen Versuch und Irrtum? Im August in Osage County gibt keine endgültigen Antworten, wie könnte er auch? Aber er lässt genug Interpretationsspielraum für alle Zuschauer, sich selbst eine individuelle Antwort zu generieren. Er verkauft sein Publikum nicht für dumm und scheut nicht vor den alltäglichen Abgründen zurück. Allein deshalb gebührt ihm Respekt.



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