IM AUGUST IN OSAGE COUNTY
(August: Osage County)
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 06.03.2014
Regie: John Wells
Dt. Erstaufführung: 06.03.2014
Regie: John Wells
Die Familie, gerade die dysfunktionale, ist ein dankbares Thema in
Film und Fernsehen. Die Bandbreite reicht da von vollkommen harmlosen Schwanks
in Seifenoper-Manier über Sitcoms, die den familiären Status Quo am Ende einer
22-Minuten-Folge wieder herstellen bis zu Werken, die sich ehrlich auch mit den
Schattenseiten des Familienlebens auseinandersetzen. Nur weil Menschen
genetisch verwandt sind oder sie sich irgendwann einander in Liebe zugewandt
haben bedeutet das nicht, dass dies nicht die Keimzelle lebenslanger, womöglich
unauflöslicher Konflikte sein kann. Und da Blut gemeinhin dicker ist als Wasser
fällt eine Abgrenzung, geschweige denn eine Beziehungsaufgabe, besonders
schwer. Im August in Osage County,
von Tracy Letts nach ihrem eigenen Bühnenstück geschrieben, ist eindeutig eine
Erzählung jenseits der rosaroten Brille. Es wird viel geschrien in diesem Film,
sehr viel schmutzige Wäsche gewaschen, und auch wenn dem Werk insgesamt die
Pointiertheit eines Nebraska fehlt,
der sich in diesem Jahr auch von gewaltigen interfamiliären Konflikten
berichtete, so ist der insgesamt doch erstaunlich nüchtern gehaltene Im August in Osage County ein
interessanter Blick auf das vielleicht schwierigste Beziehungsgeflecht, dass
Menschen eingehen können.
Beverly (Sam
Shepard) ist verschwunden. Der Poet, der mit der grantigen, an Mundkrebs
erkrankten Violet (Meryl Streep) seit Jahrzehnten verheiratet ist, kam von
einem unangekündigten Spazierganz nicht zurück. Widerwillig reist die älteste
Tochter Barbara (Julia Roberts) samt Bald-Ex-Mann (Ewan McGregor) und
pubertierender Tochter (Abigail Breslin) an, um die einzig noch in der Nähe der
Mutter wohnende Schwester Ivy (Julianne Nicholson) bei der Suche zu
unterstützen. Man versichert sich, dass der Alkoholiker sicher nur an einem
ruhigen Plätzchen entspannt, doch dann kommt die Hiobsbotschaft über die
Familie: Beverly ist ertrunken. Zur Trauerfeier in jenem unerträglich heißem
August im Mittleren Westen kommt die ganze Familie zusammen: Violets ebenfalls
schwer erträgliche Schwester Mattie Fae (Margo Martindale) samt gutmütigem
Ehemann Charlie (Chris Cooper) und hochsensiblen Sohn Charles (Benedict
Cumberbatch), die dritte Schwester Karen (Juliette Lewis) samt neuen Freund
(Dermot Mulroney). Alte Kränkungen werden neu aufgelegt, lang vergrabene Unstimmigkeiten
angesprochen und als die Tablettensucht der Mutter aufs Trapez kommt, ist der
Eklat vorprogrammiert...
Kernstück des
Films ist ein ausgedehntes Familienessen nach der Beerdigung Beverlys, das
seine Theaterherkunft nicht verneinen kann. Es ist wohl diese Sequenz, an der
sich das Publikum von Im August in Osage
County in zwei Lager teilt, denn so superb die Darsteller agieren, wie
bissig die Dialoge auch sind, das Ganze ist auch mitunter enervierend schrill
und grob. Nein, man muss die meisten Figuren nicht mögen und wer ein Problem
mit keifenden Darbietungen hat, die vielleicht manchmal schon zu viel der
Realität sind, der wird womöglich weniger Freude mit dem Film haben. Im August in Osage County ist fordernd,
durchaus anstrengend, legt aber auch mit einer Treffsicherheit den Finger in
Wunden, dass es schwer ist, sich ihm zu entziehen.
Wie gesagt,
man kann und muss die meisten Figuren nicht mögen, auch wenn man dabei mit
einem interessanten Betrachtungswinkel konfrontiert wird: die Männer kommen
insgesamt besser weg als die Frauen. Unter anderen Umständen hätte das etwas Misogynes
gehabt, doch DrehbuchautorIN Letts versteht sich darauf, ihre weiblichen
Figuren eher als Chance zur Demaskierung gängiger Geschlechterklischees zu
begreifen. Es sind hier die Männer, die Vermittlerrollen einnehmen, die
einschreiten, wenn die Situationen zu eskalieren drohen und die sehr viel
feinfühliger sind, als gut für sie ist - alles Attribute, die stereotyp eher
Frauen zugesprochen werden. Diese bewegen sich hier dank des nuancierten Spiels
von Streep, Roberts und Martindale weg vom Bild der fürsorglichen Mutter oder
der verständnisvollen Tochter. In ihrer Fahrigkeit, Selbstgerechtigkeit und
Zynismus dürfen sie einfach gebrochene Menschen sein, ohne dabei auch noch
Hollywood'eske Ansprüche an Weiblichkeit erfüllen zu müssen.
So bleibt Im August in Osage County vor allem
wegen der subtilen Dekonstruktion von Geschlechterrollen im Gedächtnis. Schon
der Vater trägt den eher weiblich konnotierten Vornamen Beverly, während
Tochter Barbara meistens nur Bob gerufen wird. Daneben dominieren süffisante
Dialoge und eine zumindest in den klaustrophobischen Innenräumen des Elternhauses
effektive Fotographie (die Hitze der Außenwelt einzufangen gelingt Kameramann Adriano
Goldman nicht). Wenn der Film strauchelt, dann wenn er mit einigen
Familiengeheimnissen zu plakativ, zu effekthascherisch umgeht, ohne in die
Tiefe zu gehen. So ist der zentrale Konflikt zwischen Barbara und Violet
gekonnt inszeniert, die Enthüllungen, die das Drehbuch für die beiden
Schwestern bereit hält, wirken da wie schmückendes Beiwerk.
Was bleibt am
Ende? Ist es die Abnabelung oder die Annäherung, in der der Schlüssel zu so
etwas wie familiärer Harmonie liegt? Ist es besser, wenn es gar nicht geht,
dass man sich willentlich entfremdet oder hinterlässt dies nur eine noch
größere Leere als das ewige Hin und Her zwischen Versuch und Irrtum? Im August in Osage County gibt keine
endgültigen Antworten, wie könnte er auch? Aber er lässt genug
Interpretationsspielraum für alle Zuschauer, sich selbst eine individuelle
Antwort zu generieren. Er verkauft sein Publikum nicht für dumm und scheut
nicht vor den alltäglichen Abgründen zurück. Allein deshalb gebührt ihm
Respekt.
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