THE WITCH – EINE VOLKSSAGE AUS NEUENGLAND
(The Witch: A New England Folktale)
USA 2015
Dt.
Erstaufführung: 19.05.2016
Regie: Robert
Eggers
In The Witch geht es nicht um eine Hexe,
ebenso wenig wie es im letztjährigen Der
Babadook wirklich um eine schattenhafte Präsenz ging, die eine überforderte
Witwe und ihren Sohn heimsuchte. Heimsuchungen sind zwar auch im Regiedebüt von
Robert Eggers ein wichtiges Thema, aber einmal mehr generiert sich das Grauen
weniger aus einer wirklich greifbaren Bedrohung sondern aus den Dämonen, die
aus den Menschen selbst geboren werden. Und anders als der Babadook, dessen
Kreation von unkontrollierbaren äußeren Umständen bedingt wurde, ist es hier
die selbstgewählte Geißelung, die ins Verderben führt. The Witch ist ein analysefreudiger Film, dessen bedrohliche
Stimmung auf billige Jump Scares verzichtet, der immer dann am schwächsten ist,
wenn er zu konkret wird. Dem Gesamteindruck eines hervorragenden Genrebeitrags
tun aber selbst solche Zugeständnisse nicht weh.
Neueungland im
17. Jahrhundert: Aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen, weil sie selbst für die
Puritaner zu puritanisch sind, sucht eine kürzlich aus England übergesiedelte
Familie ihr Heil in der Wildnis. Das Vorhaben, Mais anzubauen wird durch das
feuchte Klima vereitelt, der Kontakt mit anderen Menschen ist auf ein kaum
existentes Maß zurückgeschraubt. Als dann auch noch der jüngste Sohn Samuel
verschwindet, beginnt ein Leidensweg. Die Eltern sind davon überzeugt, ein Wolf
habe das Baby verschleppt, während die Kinder glauben, eine Hexe, die in den
düsteren Wäldern haust, habe ihn geholt. Der Sog aus Trauer, Existenzangst und
Suggestion wird immer stärker …
The Witch ist die Geschichte einer
religiös induzierten Psychose. Die frömmelnde Familie, die sich stets von Gott
geprüft sieht und den Misserfolg nur schwer in Einklang mit ihrer Vorstellung
einer grundsätzlich wohlwollenden Macht bringen kann, erlebt durch den Verlust
des jüngsten Familienmitgliedes einen solch herben Rückschlag, dass die Mär von
einer externen Gefahrenquelle in Form der Hexe wie zu einer Art
selbstzerstörerischen Anker wird. Die Migration, die Landnahme, der
Missionsdruck – all dies sind Faktoren, die aus dem Wald die Schrecknisse
gebären, denen sich die Siedler ausgesetzt fühlen. Neben der Erzählung über
desaströse Nebenwirkungen der Religion kann man The Witch auch als Geschichte über die Vertreibung und Enteignung
der amerikanischen Ureinwohner lesen. Die Verbreitung des Evangeliums ist zwar
eins der erklärten Ziele von Vater William (Ralph Ineson), aber die Ereignisse
des Films lassen auch die Erklärung eines tief sitzenden, nicht bewussten
Schuldeingeständnis zu, eine Ahnung, dass das Land, dass er versucht zu
bestellen, eine unheilvolle Geschichte hat und seine Anwesenheit dort nicht so
„gottgefällig“ ist, wie er es sich ausmalt. So bedarf es nicht einmal des
Kontaktes mit Mitgliedern der ansässigen Stämme, die Verfehlungen der Europäer
liegen wie schwerer Nebel in den Wäldern, die das karge Anwesen der Familie
umgeben. So passt es ebenso, dass William am Ende von den Früchten seiner nicht
von ungefähr als „typisch männlich“ konnotierten Übersprunghandlung, dem
Holzhacken, erschlagen wird.
Überhaupt geht es
in The Witch auch um
Geschlechterrollen und der Film versteht es, hier ebenso Klischees zu
umschiffen wie in der Ausgestaltung seines Horroraspektes. Der Vater ist
streng, gesteht seinen Kindern aber ohne Scheu seine Liebe. Die Mutter Katherine
(Kate Dickie) ist noch strenger und wird bewusst nicht als „typisch weibliches“
Gegenstück zu der gängigerweise als männlich kodifizierten Gewalt inszeniert,
die über allem schwebt. Eher wird die in die Pubertät kommende Tochter Thomasin
(Anya Taylor-Joy) als Bedrohung gesehen, während der heranreifende Sohn Caleb
(Harvey Scrimshaw) überhöht wird. Tiefenpsychologen dürften einen guten Tag
erleben, wenn sie sich The Witch
ansehen. Am Ende zieht der Vater seinen „gerechten Zorn“ dann wieder aus der
Religion, deren Verquickung mit dem Aberglauben einige Jahre nach der Handlung
zu den berühmt-berüchtigten Hexenprozessen von Salem führen sollte.
Wie bereits
erwähnt ist dies aber das Hauptaugenmerk des Films: wie religiös
gerechtfertigte Geißelung, so sehr sie in bestimmten Situationen erbauliche
Erklärungsmuster liefern kann, auch schnell in das Gegenteil umschlagen kann.
Wird Samuel von einer Hexe geholt oder doch von einem Wolf? Schließlich findet
man sogar eine entsprechende Fährte. Sind die alptraumhaften Bilder im Wald ein
Ausdruck einer filmischen Realität oder Illustration der Vorstellungskraft der
Kinder, die vor den Erwachsenen den Forst mit Monstren füllen (dies ist eine
der Sequenzen, die dem Film eher schadet als nützt)? Es ist sicherlich kein
Zufall, dass die (vermeintliche) Hexe Caleb in Form einer verführerischen Frau
gegenübertritt, wenn dieser, in Ermangelung von Alternativen, beginnt, seinen
voyeuristischen Blick auf seine
ältere Schwester zu richten.
Fluch oder Lungenentzündung? Okkultes oder Natürliches? Psychose oder Wahrheit? The Witch lässt beide Argumentationen zu, ist aber stärker, wenn man sich von der Vorstellung einer „wirklichen“ Hexe verabschiedet. So bietet der rigorose Glauben, der allein in der Wildnis nicht automatisch zum Heil führt, eine Blaupause für die Geschehnisse des Films. Zumal die Geschichte einer Familie, die durch all die Entbehrungen, die auch von Gotteanrufungen nicht gelindert werden, langsam in den kollektiven Wahn verfällt, interessanter ist als wenn The Witch den einfachen, den plakativen Weg gegangen wäre.
Fluch oder Lungenentzündung? Okkultes oder Natürliches? Psychose oder Wahrheit? The Witch lässt beide Argumentationen zu, ist aber stärker, wenn man sich von der Vorstellung einer „wirklichen“ Hexe verabschiedet. So bietet der rigorose Glauben, der allein in der Wildnis nicht automatisch zum Heil führt, eine Blaupause für die Geschehnisse des Films. Zumal die Geschichte einer Familie, die durch all die Entbehrungen, die auch von Gotteanrufungen nicht gelindert werden, langsam in den kollektiven Wahn verfällt, interessanter ist als wenn The Witch den einfachen, den plakativen Weg gegangen wäre.
Unter diesen
Gesichtspunkten wird das Ende zum endgültigen Test. Favorisiert man die okkulte
Erklärung, zeigt The Witch das Bild
von europäischen Frauen, die mit dem
Leben in Neuengland nicht zurechtkommen und lieber als Hexenkommune nackt im
Wald leben. Im allegorischen Sinn begibt sich Thomasin endgültig auf den paranoiden
Pfad ihrer Familie, verliert sich und stirbt verwirrt im Wald, der Hexenflug
wird also zur Himmelsfahrt, die ebenso imaginiert ist: die letzten Bilder eines
sterbenden Gehirns, dass sein ganzes Leben mit christlicher Ikonographie
indoktriniert wurde, wie aber auch als letztes Zugeständnis des Regisseurs und
Drehbuchautors, dass in der Religion zumindest für das Individuum das
Heilsversprechen nicht ausgeschlossen werden kann, gelesen werden könnte.
The Witch ist nicht per se antireligös, der Film offeriert aber einen
distanzierten Blick auf jene Auswüchse, die in kontemporären Werken wie Paradies: Glaube schnell überzogen
wirken. In einer Welt, die unter dem religiösen Fanatismus leidet, zeigt The Witch auf die Fallstricke allzu
strenger Denkmuster, die sich durch den Verweis auf Gott oder andere
übergeordnete Platzhalter legitimieren. Die Welt wird hier nicht ins Unglück
gerissen, wohl aber das Wohlergehen von Menschen, die letztlich die Welt
bilden, die sie mit ihrer Frömmigkeit auf ihrer Seite wähnten. Dass der Film
mit seiner durchgehend unheimlichen Atmosphäre, den wohlkomponierten Bildern
und dem Soundtrack dann auch noch ansehnlich und kurzweilig daherkommt, wirkt
bei solchen Subtexten dann schon fast wie ein schmückendes Beiwerk.
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