Montag, 10. Juni 2013

Harte Schule (2011)




HARTE SCHULE
(Bully)

USA 2011
Dt. Erstaufführung: 15.02.2013 (DVD-Premiere)
Regie: Lee Hirsch

Dokumentationen haben einen schweren Stand. Mit Ausnahme von großangekündigten Naturfilmen, wie dem fürs Kinos aufbereiteten TV-Serien-Zusammenschnitt Unsere Erde oder die durch Disney gepushten Produktionen wie Schimpansen laufen Dokus oftmals unter dem Radar. Sie finden selten den Weg in die Multiplexe und gehen selbst in den Kunstkinos unter. Oder sie werden gleich auf den kaum zu überschauenden DVD-Markt geworfen. So erging es auch der preisgekrönten Doku Bully über Mobbing an US-Schulen, die mit einem schrecklichen Cover und unter dem noch schrecklicheren Titel Harte Schule nach knapp zwei Jahren auch den Weg nach Deutschland fand.

Harte Schule erzählt vom alltäglichen Phänomen des Mobbings (engl. bullying) an US-Schulen. Der Zuschauer macht Bekanntschaft mit den Teenagern Alex Libby, der aufgrund seines Aussehens und seiner sozialen Inkompetenz gemobbt wird und mir Kelby Johnson, deren Homosexualität zum „Problem“ wird. Und man bekommt den Fall von Ja’Meya Jackson geschildert, die den heimlichen Rachetraum eines jeden Gemobbten auslebte und die Waffe ihrer Mutter zur Einschüchterung gegen ihre Peiniger zog. Kein Schuss fiel, niemand wurde verletzt und trotzdem drohen Ja’Meya mehrere Hundert Jahre im Gefägnis… Zwei Mobbingopfer werden posthum vorgesellt. Ein Junge hat sich erschossen, ein zweiter erhängt, weil die mit den täglichen Schikanen nicht mehr leben konnten und wollten.

Es dürfte niemanden verwundern, dass der Autor dieser Zeilen selbst zum Opfer von Mobbing in seiner Schulzeit wurde, schließlich ist er ein Nerd, der Filmkritiken schreibt… Die teilweise extremen Formen physischer und psychischer Gewalt habe ich zwar nicht kennengelernt, aber Harte Schule hat vollkommen recht mit der Aussage, dass letztere Form nicht nur die schwerer für Außenstehende nachvollziehbare Form von Gewalt darstellt, sondern auch die tiefergehende. Der Leidensdruck, unter den die portraitierten Teenager stehen und standen, wird manchmal geradezu körperlich spürbar, auch wenn der Film als solcher stets eine dokumentarische Distanz übt, Texteinblendungen nur zur Information nutzt. Regisseur Lee Hirsch muss nicht auch noch seine eigene Meinung explizit kundtun, die teilweisen Ungeheuerlichkeiten sprechen für sich. So wird man Zeuge einer forcierten Entschuldigung zwischen Täter und Opfer, nach der das Opfer von der Lehrkraft ermahnt wird und der Täter ob seiner angeblichen Gutherzigkeit für sie in einem deutlich positiveren Licht erscheint. Oder der Polizist, der Ja’Meyas Verhalten mit nichts entschuldigen kann. Auch wenn das Ziehen einer Waffe sicherlich der Falsche Weg ist – wäre es nicht besser, nach den Ursachen zu fragen, anstatt die Gemobbte erneut zum Opfer zu machen? Die Erwachsenen auf der „ausführenden“ Seite, sprich Lehrer und andere Autoritäten, sind fast durchweg erschreckend ahnungslos darüber, was in der Welt der Kinder vor sich geht. Und vor handfesten Beweisen oder Berichten verschließen sie die Augen. Kids will be kids, dieser Satz erhält in Harte Schule eine ungeahnt bösartige Konnotation.

Letztlich ist der Film etwas zu viel Beobachtung und zu wenig Lösungsansatz. Eine Dokumentation kann natürlich nicht das Übel aus der Welt schaffen, aber sie kann mehr tun als Angst und Hilflosigkeit abzubilden. Ein Jugendlicher berichtet beispielsweise davon, dass er selbst den Teufelskreis des Mobbings durchbrochen hat. Wie, diese Antwort bleibt der Film einfach schuldig. Stattdessen wird der Junge danach spielend mit einem Hund gezeigt. Wenige Sätze mehr hätten die Situation viel erhellender gemacht, aber Hirsch scheint daran weniger Interesse zu haben. Auch die von Eltern ins Leben gerufene Aktionen gegen Mobbing werden nur im Hinblick auf die Aktion, nicht aber die Reaktion gezeigt. Für jeden Gemobbten, der sich vom Film zumindest ein klein wenig Hilfe erhofft, die über die „Es-geht-anderen-wie-mir“-Erkenntnis hinausgeht, für den hält Harte Schule wenig Material bereit. Ohne positive Signale wird man zwar nicht gelassen (vor allem Kelbys Geschichte sorgt für einige Sequenzen von geradezu poetischer Lebensfreude), aber manchmal ist er mehr Aufklärungsfilm für Erwachsene als alles andere.

Unterm Strich ist Lee Hirschs Film ein interessantes Dokument über die alltägliche Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, die aus welchen Gründen auch immer zu Außenseitern gestempelt werden. Die Aussagen mancher Erwachsener sind erschreckend, ebenso die Erlebnisse der Protagonisten. Und dass Mobbing einige in den Tod treibt, ist herzzerreißend. Als Film knirscht es an manchen Stellen, als Dokument ist Harte Schule durchaus der ein oder andere Blick wert. Schon allein aufgrund des brisanten, aber seltsam unter dem Radar verlaufenden Themas hat es der Film nicht verdient, unerkannt auf DVD in den hinteren Regalen zu versauern.




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