FLIGHT
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 24.01.2013
Regie: Robert Zemeckis
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 24.01.2013
Regie: Robert Zemeckis
12 Jahre nach seinem letzten
Live-Action-Film, dem großartigen Cast
Away – Verschollen, meldet sich Regisseur Robert Zemeckis wieder auf diesem
Gebiet zurück. Ein Glück, dass er wohl in der Animationstechnik Motion Capture
(Der Polarexpress) doch nicht der
Weisheit letzten Schluss sah. Denn Flight mag zwar nicht der Beste
Zemeckis-Film sein, aber er ist womöglich der mit der reifesten Geschichte, den
ebenfalls brillanten Contact
ausgenommen. Denn auch wenn es der Trailer suggerieren mag, Flight ist wahrlich kein Wohlfühlfilm
oder leichtgewichtiges Entertainment.
Whip Whitaker (Denzel Washington) hat exzessiv getrunken,
nicht nur am letzten Abend. Statt eines Frühstücks zieht er sich Kokain in die
Nase, um wieder wach zu werden. Das Dumme an der Sache ist, dass Whitaker nicht
irgendein Typ ist: er ist Pilot und muss in wenigen Stunden wieder eine
Passagiermaschine bedienen. An Bord kippt er heimlich weiter Wodka, „versteckt“
in seinem Orangensaft. Dann gibt es plötzlich kurz vor dem Ziel ein technisches
Problem und die Maschine rast Nase voran dem Erdboden entgegen. Mit einem
waghalsigen Manöver gelingt es Whip, das Flugzeug wieder unter Kontrolle zu
bringen und es auf einem Feld notzulanden. Von den über hundert Menschen an
Bord sterben „nur“ vier Passagiere und zwei Besatzungsmitglieder, Whip bleibt
fast unverletzt. Der Pilot ist ein Held, doch was passiert, wenn sein
Alkoholismus ans Tageslicht kommt? Wird man den technischen Defekt gegen seine
Sucht ausspielen? Werden die Toten des Fluges ihm angelastet?
Flight ist in
erster Linie an diesen Fragen interessiert, ohne ihre Antworten dem Zuschauer
vorzugeben. Hat erst der Alkohol das ungewöhnliche Manöver ermöglicht?
Schließlich haben diverse andere (nüchterne) Piloten im Flugsimulator die
Maschine stets nicht retten können. Hätten alle überlebt, wenn Whip nicht
betrunken gewesen wäre – oder gar keiner, weil ein klarer Verstand nicht auf
die Idee gekommen wäre, das Flugzeug zur Stabilisierung zu drehen? Und was sagt
dies über die Verteilung der Schuld aus? Sicher, das Flugzeug stürzte wegen
einem Technikfehler ab, aber ist es nicht auch prinzipiell unverantwortlich von
Whip, sich trotz seiner Sucht ans Steuer zu setzen? Ist er deshalb weniger ein
Held und Retter von so vielen Leben? Flight
wirft allerlei schwierige Fragen in den Raum, die meisten überlässt er in
letzter Konsequenz dem Zuschauer zur individuellen Beantwortung. Denn das
Hauptaugenmerk liegt auf dem Portrait eines Alkoholikers. Und dieses Portrait
ist nicht nur akkurat, es ist auch entsprechend traurig und niederschmetternd.
Denzel Washington läuft in seiner Darstellung von Whip zur
Höchstform auf. Seine Figur ist kein Schurke und kein Held sondern einfach ein
Mann, dessen Sucht ihn langsam, aber sicher ganz nach unten führt. Washington
und Zemeckis exerzieren alles durch, von der Vernichtung des Alkoholvorrats in
einer lichten Minute bis zum Rückfall bei von außen herangetragenen
Schwierigkeiten. Whip sucht einmal betrunken die Nähe seiner geschiedenen Frau
und seines Sohns und trifft durch seine plumpe Art nur auf Unbehagen und Wut,
ein anderes Mal torpediert der Alkohol seine Beziehung zur Leidensgenossin
Nicole (Kelly Reilly), die im Gegensatz zu Whip über die „Ich kann jederzeit
damit aufhören“-Phase schon hinaus ist und Hilfe bei den Anonymen Alkoholikern
sucht, während Whip ein Treffen dieser bereits kurz nach dem Beginn wieder
verlässt. Washington verkörpert diese Berg- und Talfahrt hervorragend, nur wenn
John Goodman als bester Freund und Drogendealer auftaucht, muss er sich
geschlagen geben, denn Goodman sorgt mit unbändiger Spielfreude für die wenigen
auflockernden Momente. Kelly Reilly ist Washington ebenbürtig in ihrem Spiel,
ihre Nicole ist ein nicht minder zerbrochener Charakter, der sich aber
eingesteht, Hilfe zu benötigen. Nicole führt Whip den Weg vor, den er noch zu
gehen hat und es ist schade, dass sie im dritten Akt des Films kaum vorkommt,
auch wenn es dramaturgisch natürlich sinnvoll ist: Alkoholismus stößt auf Dauer
jeden ab. Der Rest des Cast hat solide Nebenrollen, aber nicht allzu viel zu
tun.
Flight als
Suchtfilm hat zwar nicht die Durchschlagskraft von Werken wie Requiem for a Dream oder die durchgehende
Melancholie von Shame, aber er
besitzt durchaus Relevanz, auch und gerade, weil die Alltagsdroge Alkohol im
Mittelpunkt steht. Nicht jeder Alkoholiker ist gleich Pilot und rettet Leben,
aber jeder Alkoholiker zerstört Leben – und sei es, im besten Fall, „nur“ sein
eigenes. Trotz einiger Schwächen wie der Lauflänge (die zwei Stunden hätten
durchaus gestrafft werden können) und offensichtlichen Drehbuchkapriolen (die
geöffnete Hotelzimmertür, die zwar zu einer großartigen Szene führt, deren
Konsequenzen aber in einer unpassenden, viel zu leichtfüßigen Art behoben
werden) ist Flight ein sehenswerter
Film, eine ernste, traurige, auf den Punkt gebrachte Auseinandersetzung mit
einer alltäglichen Sucht. Wer nur den virtuos inszenierten Absturz im Blick
hat, der wird womöglich enttäuscht. Alle anderen werden mit einem klugen, wenn
auch nicht im klassischen Sinn unterhaltsamen, Film belohnt.
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