Montag, 18. März 2013

Schuld sind immer die Anderen (2013)




SCHULD SIND IMMER DIE ANDEREN
Deutschland 2012
Dt. Kinostart: 28.02.2013
Regie: Lars-Gunnar Lotz


 Der Jugendliche Benjamin Graf (Edin Hasanovic) ist wahrlich kein Sympath. Zu seinem Repertoire gehören hauptsächlich Überfälle und schwere Körperverletzungen. So hat er nicht nur einer Serviererin, die ihm nichts mehr ausschenken sollte, den Kiefer gebrochen, sondern auch eine Frau brutal zusammengetreten, nachdem er sie zur Herausgabe von 500 € genötigt hat. Doch schließlich kommt auch Bens kriminelle Karriere zum Erliegen und er findet sich im Gefängnis wieder. 

Der Sozialarbeiter Niklas (Marc Benjamin Puch) bietet ihm den Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum an und Ben nimmt widerwillig, hält er dies doch für „schwul“ und „Opferkacke“, an. Im idyllischen Waldhaus gelten strenge Regeln der gegenseitigen Kontrolle und vor allem Bens Zimmergenosse Tobi (Pit Bukowski) achtet akribisch auf deren Einhaltung.

Nach einer Phase der Eingewöhnung macht sich Ben allerdings recht gut und fügt sich in die Schicksalsgemeinschaft ein. Doch dann erscheint Niklas‘ Frau Eva (Julia Brendler) nach längerer Arbeitspause wieder und Ben erkennt die Frau, die er einst zusammengetreten hat, wieder…

Das Kinodebüt des Regisseurs Lars-Gunnar Lotz ist ein kleiner Glücksfall, was die Enttäuschung einer berechtigten Erwartungshaltung betrifft. Denn wie schnell hätte aus der Prämisse ein moralinsaurer Cocktail für das ARD-Abendprogramm werden können?! Schuld sind immer die Anderen schafft es erstaunlich souverän, die gefährlichsten Klippen zu umschiffen, um die das Drehbuch manövriert, was vor allem den hervorragenden Darstellern zu verdanken ist.

Hasanovics Benjamin ist eine wahre Naturgewalt, man spürt den Hass und die Anspannung unter seiner Oberfläche und gerade zu Beginn des Films ist man sich nie ganz sicher, was der Charakter als nächstes tun wird. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist es bemerkenswert, wie gut Hasanovic den Wandel seiner Figur verkörpert, obwohl das Drehbuch gerade hier einen Schlenker macht und einen Zeitsprung einbaut, der zuviel Zeit unkommentiert überspringt. Innerhalb eines Szenenwechsels hat sich Ben eingelebt und der zweite Teil des Films beginnt. Es ist dem Nachwuchsschauspieler anzurechnen, dass dieser Wechsel zwar nicht unbemerkt, so aber relativ glimpflich vonstatten geht. Auch gelingt es Hasanovic und Julia Brendler als Eva eine durchaus stimmige Chemie zu entwickeln. Das psychische Katz-und-Maus-Spiel, das sich die beiden liefern, ist schlicht brillant, eine fast stumme Autofahrt der beiden entlang der Stätten des Überfalls ist der in allen filmischen Belangen Höhepunkt des Films. Dabei ist Schuld sind immer die Anderen kein Film der übertriebenen Gesten. Alles geht subtil und nach Möglichkeit in realistischen Bahnen vonstatten, auch wenn Lotz manchmal vom suspension of disbelief Gebrauch macht. Die Frage, ob sich Ben und Eva auch in der Realität unter solchen Umständen wieder sehen könnten, ist aber letztlich müßig, wenn nicht gar vollkommen überflüssig.

Das naturalistische Spiel kann allerdings nicht über einige Mängel hinwegtäuschen. Auch wenn der Film inhaltlich weit über einem durchschnittlichen TV-Film steht, optisch ist dies nicht der Fall. In punkto Bildgestaltung geht Schuld sind immer die Anderen keinerlei Wagnis ein, der Film sieht nicht nach großem Kino aus. Ein weiterer Pluspunkt für die Darsteller, da ihr Spiel so interessant ist, dass es die Eintönigkeit der Bilder vergessen macht. Wohingegen die Schauspieler nicht anspielen können sind Drehbuchleichen wie die Beziehung von Ben zu einer Praktikantin im Waldhaus, Mariana (Natalia Christina Rudziewicz), die nirgendwo hinführt und ohne Probleme aus dem Drehbuch gestrichen hätte werden können. Sie fungiert nicht glaubwürdig als weiterer Schritt zu Bens Resozialisierung, es kommt im Gegenteil der Verdacht auf, als wolle man dem Antagonisten des Antagonisten, dem unheimlichen Tobi, einen Vorwand geben, Ben zu hassen, auch wenn der Film bereits ohne die Einführung der Praktikantin keinen Zweifel an der aufgeladenen Stimmung zwischen den Beiden lässt. Mariana ist nur ein Vehikel, keine Figur. Sie baut ein unstimmiges „Liebes“-Dreieck auf, dass den Film mehr irritiert als das es ihm nützt.

Schuld sind immer die Anderen schafft in seinen besten Momenten das gleiche Kunststück wie Dead ManWalking – Sein letzter Gang, indem er uns mit einer von grundauf unsympathischen Figur menschlich mitfühlen lässt. Ben wächst dem Zuschauer ein Stück weit ans Herz, auch ohne dessen Zutun, ob er/sie es will oder nicht. Vor allem wertet Lotz nicht, er lässt keine der Figuren zu einer Katharsis kommen, es gibt keine groß inszenierte Konfrontation, die wie ein reinigendes Gewitter alles am Ende aus der Welt schafft. Bens Vergehen ist zu groß, als dass der Film am Ende alle Figuren nicht in der Schwebe halten könnte. Schuld sind immer die Anderen lässt den Zuschauer mit genug Gesprächsstoff und Gedankenanstößen zurück, so dass man auch die manchmal etwas holprige Inszenierung verschmerzen kann.





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