Montag, 26. Januar 2015

Letters from the Big Man (2011)




LETTERS FROM THE BIG MAN
USA 2011
Regie: Christopher Munch
Dt. Erstaufführung: [bisher nicht in Deutschland uraufgeführt]

Er hat diverse Namen, aber die bekanntesten dürften Sasquatch und Bigfoot sein: das hünenhafte Affenwesen, dass durch die Wildnis Nordamerikas streift und turnurmäßig von Menschen gesichtet wird, dessen man aber nie in irgendeiner Form habhaft werden kann. Jüngst führte eine neue, systematische Analyse von angeblichen Haarproben zum Ergebnis, dass nur bekannte Tierarten durch die Wälder wandern. Das, was Bigfoot am nächsten kam, waren Menschen bzw. ihre Haare. Was bedeutet das? Kann man davon ausgehen, dass der angebliche Urweltaffe nur ein Hirngespinst ist? Was ist mit dem berühmten Patterson/Gimlin-Film, der angeblich einen weiblichen Bigfoot am Ufer eines Flusses zeigt und dessen Authenzität von kundigen Stellen mal angezweifelt, mal bekräftigt wird? Doch wenn Sasquatch eine echte Entität darstellt, warum konnte man noch nie auch nur einem stichhaltigen Beweis für seine Existenz habhaft werden? Die Kryptozoologie, das Studium bisher wissenschaftlich nicht anerkannter Tiere, hat dazu einige teils abenteuerliche Theorien entwickelt, die Regisseur Christopher Munch augenscheinlich sorgfältig studiert hat. Denn sein Letters from the Big Man, dem eine deutsche Veröffentlichung bisher verwehrt geblieben ist, nimmt dankbar einige von ihnen auf und spinnt daraus eine sanftmütige, sehr entspannte Betrachtungsweise des Mythos, nicht frei von Pathos, aber dennoch involvierend.

Sarah Smith (Lily Rabe) hat sich jüngst von ihrem Freund getrennt. Da kommt es ihr gerade recht, dass sie ihr Arbeitgeber, eine Umweltorganisation, in die Wildnis schickt, wo sie unter anderem Daten über die bedrohten Fischbestände sammeln und auch Auswirkungen der jüngsten Waldbrände auf die Umwelt dokumentieren soll. Inmitten der Wälder wird sie immer mehr einer Präsenz gewahr, selbst als ihr eigentlicher Auftrag erledigt ist, zieht es Sarah zurück in die Einsamkeit. Dort bestätigt sich immer mehr, dass sie im Kontakt mit einem als Sasquatch (Isaac C. Singleton) bekannten Wesen steht…

Bigfoot musste bereits für vieles herhalten, seien es Pseudo-Dokumentationen, Kinder- und Horrorfilme oder Komödien. In Comics tritt er wahlweise als extrem grausame Bestie (der unangenehme Bigfoot von Rob Zombie) oder als vernunftbegabter Ermittler á la Fox Mulder (der großartige Proof von Alex Grecian und Riley Rossmo) auf. Über die wahre Bedeutung der Erscheinung streiten sich sowohl Kryptozoologen wie auch „normale“ Forscher. Angebliche Fußabdrücke, Haarproben, ja sogar Kadaver und abenteuerliche Geschichten über Entführungen durch die Waldriesen – alles konnte bis heute die Existenz Bigfoots nicht beweisen und auch Munch scheut vor einer allzu plakativen Erklärung seines Wesens zurück. Sein Sasquatch existiert, wie es auch einige Kryptozoologen proklamieren, außerhalb des Dimensionsspektrums des Menschen, d.h. er kann sich bei Bedarf de facto unsichtbar machen und betritt unsere Dimension nur, wenn nötig. Was sich als reichlich krudes Konstrukt anhört, funktioniert im Filmkontext erstaunlich gut, liefert es doch nicht nur eine Erklärung für die Unauffindbarkeit Bigfoots, es macht aus ihm auch eine Art Waldgeist, auf den Hayao Miyazaki (Prinzessin Monokoke) stolz wäre.

So geht es in Letters from the Big Man auch nicht um Spannung, um die Dinge that go bump in the night, sondern um die Akzeptanz einer Erfahrungswelt jenseits der eigenen. Sarah erstarrt nicht in Furcht, wenn ihr klar wird, wer sie da aus dem Wald heraus beobachtet, vielmehr akzeptiert sie die Präsenz des Wesens und setzt sich damit auseinander, was es heißt, eine nicht-menschliche Intelligenz um sich zu wissen, deren Handlungen und Beweggründe nicht immer eindeutig sind. Letters from the Big Man lässt Raum für Interpretationen und tut dies in einem entspannten Duktus, was manche Zuschauer stören könnte, aber vielmehr für eine geradezu spirituelle Atmosphäre sorgt. Die katholische Filmarbeit würde es wohl, wie dereinst bei Disneys Pocahontas „zweifelhaften Naturmystifiziesmus nennen“, doch im Grunde geht es um das Überbringen einer Ökobotschaft, die weiter geht als das postulieren von einfachen Sinnsprüchen. Sasquatch ist bei Munch der Wald, eine Art Seele, die, trotz ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Dimension auf ihn angewiesen zu sein scheint. Das Konzept, dass die Handlungen des Menschen nicht nur Auswirkungen auf die sichtbare Welt haben, ist bedrückend und betörend zugleich und Letters from the Big Man macht auch nicht den Fehler, es restlos aufzuschlüsseln. Sarah kann, wie alle anderen menschlichen Charaktere, nicht das Gesamtbild kennen, weil die Kommunikation mit Bigfoot keine einfache Sache ist. Die Verständigung findet nur auf der Ebene der Empathie statt, beide Parteien spüren sich mehr als dass sie sich auf einem rationalen Level begegnen. Der Film lässt aber die Schlussfolgerung zu, dass dies zumindest dann möglich ist, wenn man die Präsenz von Sasquatch ohne Furcht und Geltungssucht akzeptiert – etwas, dass Sarahs love interest (Jason Butler Harner) nicht zu leisten imstande ist.

Letters from the Big Man ist ein eigenwilliger, aber gerade deshalb sehenswerter Film. Ansprechend fotografiert und unterlegt mit einem passenden Soundtrack und einem gelungenen Sounddesign ist der Film handwerklich hervorragend und inhaltlich für den einen oder anderen Denkanstoß geeignet. Letters from the Big Man ist kein Bigfootfilm wie jeder andere, wie schon Roger Ebert bemerkte. Und genau darin liegt seine Stärke, seine Kraft zur Imagination und Empathie.




2 Kommentare:

  1. Klingt spannend. Und seit "American Horror Story" weiß ich auch um die schauspielerischen Qualitäten von Lily Rabe. Muss ich mir wohl mal merken...

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    1. Spannend weniger im Thriller-Sinn, wohl aber im Hinblick auf das Projekt an sich. Ich bin gespannt auf deine Einschätzung, wenn du ihn nachgeholt hast. :-)

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