LETTERS FROM THE BIG MAN
USA 2011
Regie: Christopher
Munch
Dt.
Erstaufführung: [bisher nicht in Deutschland uraufgeführt]
Er hat diverse
Namen, aber die bekanntesten dürften Sasquatch und Bigfoot sein: das hünenhafte
Affenwesen, dass durch die Wildnis Nordamerikas streift und turnurmäßig von
Menschen gesichtet wird, dessen man aber nie in irgendeiner Form habhaft werden
kann. Jüngst führte eine neue, systematische Analyse von angeblichen Haarproben
zum Ergebnis, dass nur bekannte Tierarten durch die Wälder wandern. Das, was
Bigfoot am nächsten kam, waren Menschen bzw. ihre Haare. Was bedeutet das? Kann
man davon ausgehen, dass der angebliche Urweltaffe nur ein Hirngespinst ist?
Was ist mit dem berühmten Patterson/Gimlin-Film, der angeblich einen weiblichen
Bigfoot am Ufer eines Flusses zeigt und dessen Authenzität von kundigen Stellen
mal angezweifelt, mal bekräftigt wird? Doch wenn Sasquatch eine echte Entität
darstellt, warum konnte man noch nie auch nur einem stichhaltigen Beweis für
seine Existenz habhaft werden? Die Kryptozoologie, das Studium bisher
wissenschaftlich nicht anerkannter Tiere, hat dazu einige teils abenteuerliche
Theorien entwickelt, die Regisseur Christopher Munch augenscheinlich sorgfältig
studiert hat. Denn sein Letters from the
Big Man, dem eine deutsche Veröffentlichung bisher verwehrt geblieben ist,
nimmt dankbar einige von ihnen auf und spinnt daraus eine sanftmütige, sehr
entspannte Betrachtungsweise des Mythos, nicht frei von Pathos, aber dennoch
involvierend.
Sarah Smith (Lily
Rabe) hat sich jüngst von ihrem Freund getrennt. Da kommt es ihr gerade recht,
dass sie ihr Arbeitgeber, eine Umweltorganisation, in die Wildnis schickt, wo
sie unter anderem Daten über die bedrohten Fischbestände sammeln und auch
Auswirkungen der jüngsten Waldbrände auf die Umwelt dokumentieren soll.
Inmitten der Wälder wird sie immer mehr einer Präsenz gewahr, selbst als ihr
eigentlicher Auftrag erledigt ist, zieht es Sarah zurück in die Einsamkeit.
Dort bestätigt sich immer mehr, dass sie im Kontakt mit einem als Sasquatch
(Isaac C. Singleton) bekannten Wesen steht…
Bigfoot musste
bereits für vieles herhalten, seien es Pseudo-Dokumentationen, Kinder- und
Horrorfilme oder Komödien. In Comics tritt er wahlweise als extrem grausame
Bestie (der unangenehme Bigfoot von
Rob Zombie) oder als vernunftbegabter Ermittler á la Fox Mulder (der großartige
Proof von Alex Grecian und Riley
Rossmo) auf. Über die wahre Bedeutung der Erscheinung streiten sich sowohl
Kryptozoologen wie auch „normale“ Forscher. Angebliche Fußabdrücke, Haarproben,
ja sogar Kadaver und abenteuerliche Geschichten über Entführungen durch die
Waldriesen – alles konnte bis heute die Existenz Bigfoots nicht beweisen und
auch Munch scheut vor einer allzu plakativen Erklärung seines Wesens zurück.
Sein Sasquatch existiert, wie es auch einige Kryptozoologen proklamieren,
außerhalb des Dimensionsspektrums des Menschen, d.h. er kann sich bei Bedarf de
facto unsichtbar machen und betritt unsere Dimension nur, wenn nötig. Was sich
als reichlich krudes Konstrukt anhört, funktioniert im Filmkontext erstaunlich
gut, liefert es doch nicht nur eine Erklärung für die Unauffindbarkeit
Bigfoots, es macht aus ihm auch eine Art Waldgeist, auf den Hayao Miyazaki (Prinzessin Monokoke) stolz wäre.
So geht es in Letters from the Big Man auch nicht um
Spannung, um die Dinge that go bump in
the night, sondern um die Akzeptanz einer Erfahrungswelt jenseits der
eigenen. Sarah erstarrt nicht in Furcht, wenn ihr klar wird, wer sie da aus dem
Wald heraus beobachtet, vielmehr akzeptiert sie die Präsenz des Wesens und
setzt sich damit auseinander, was es heißt, eine nicht-menschliche Intelligenz
um sich zu wissen, deren Handlungen und Beweggründe nicht immer eindeutig sind.
Letters from the Big Man lässt Raum
für Interpretationen und tut dies in einem entspannten Duktus, was manche
Zuschauer stören könnte, aber vielmehr für eine geradezu spirituelle Atmosphäre
sorgt. Die katholische Filmarbeit würde es wohl, wie dereinst bei Disneys Pocahontas „zweifelhaften Naturmystifiziesmus
nennen“, doch im Grunde geht es um das Überbringen einer Ökobotschaft, die
weiter geht als das postulieren von einfachen Sinnsprüchen. Sasquatch ist bei Munch der Wald, eine Art Seele,
die, trotz ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Dimension auf ihn angewiesen zu
sein scheint. Das Konzept, dass die Handlungen des Menschen nicht nur
Auswirkungen auf die sichtbare Welt haben, ist bedrückend und betörend zugleich
und Letters from the Big Man macht
auch nicht den Fehler, es restlos aufzuschlüsseln. Sarah kann, wie alle anderen
menschlichen Charaktere, nicht das Gesamtbild kennen, weil die Kommunikation
mit Bigfoot keine einfache Sache ist. Die Verständigung findet nur auf der
Ebene der Empathie statt, beide Parteien spüren sich mehr als dass sie sich auf
einem rationalen Level begegnen. Der Film lässt aber die Schlussfolgerung zu,
dass dies zumindest dann möglich ist, wenn man die Präsenz von Sasquatch ohne
Furcht und Geltungssucht akzeptiert – etwas, dass Sarahs love interest (Jason Butler Harner) nicht zu leisten imstande ist.
Letters from the Big Man ist ein
eigenwilliger, aber gerade deshalb sehenswerter Film. Ansprechend fotografiert
und unterlegt mit einem passenden Soundtrack und einem gelungenen Sounddesign
ist der Film handwerklich hervorragend und inhaltlich für den einen oder
anderen Denkanstoß geeignet. Letters from
the Big Man ist kein Bigfootfilm wie jeder andere, wie schon Roger Ebert
bemerkte. Und genau darin liegt seine Stärke, seine Kraft zur Imagination und
Empathie.
Klingt spannend. Und seit "American Horror Story" weiß ich auch um die schauspielerischen Qualitäten von Lily Rabe. Muss ich mir wohl mal merken...
AntwortenLöschenSpannend weniger im Thriller-Sinn, wohl aber im Hinblick auf das Projekt an sich. Ich bin gespannt auf deine Einschätzung, wenn du ihn nachgeholt hast. :-)
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