BAYMAX – RIESIGES ROBOWABOHU
(Big
Hero 6)
USA 2014
Dt.
Erstaufführung: 22.01.2015
Regie: Don Hall
& Chris Williams
Wer den Zeiten
nachhängt, in denen mehrere unabhängige Medienhäuser die Menschen mit
Unterhaltung versorgten, dem dürfte der Disney-Konzern ein Dorn im Auge sein.
Inzwischen hat sich der Entertainmentriese die ehemalige Konkurrenz PIXAR, die
Rechte an der Weltraumoper Star Wars
und den Comicriesen MARVEL einverleibt. Dies ist unter Diversitätsansprüchen
natürlich nicht schön, lässt sich aber wohl kaum rückgängig machen. Zumal die
McDonaldisierung der Medienwelt schon vor den Megadeals begonnen hat. Unter diesen
Gesichtspunkten ist Baymax, die erste
Kollaboration zwischen der Disney Trickfilmabteilung und MARVEL ein erwartbares
Konglomerat aus technisch perfekter Animation und Superheldenthematik. Und bei
allen Bedenken, die man haben kann, wenn man sich die wirtschaftliche
Entstehungsgeschichte des Werkes ansieht, muss man auch folgendes konstatieren:
nach langen Jahren der Mittelmäßigkeit hat die CGI-Abteilung Disneys auch ohne
PIXARS Hilfe einen passablen Film zustande gebracht. Vergessen sind die Längen
von Ralph reichts, die süßliche
Bedeutungslosigkeit von Die Eiskönigin
oder die seltsamen Experimente á la Himmel
& Huhn. Baymax, über dessen
deutschen Untertitel ich mich lieber nicht äußern möchte, erfindet keins seiner
ihn vorwärts tragenden Räder neu, aber er ist so involvierend und findet vor
allem eine angenehme Mischung aus Spektakel und Emotionalität, dass man nur
allzu gern auf diesen Trip geht.
In der
Megametropole San Franstokyo, einem kulturellen und archetektonischen
Schmelztiegel aus Ost und West, verschwendet der junge Überflieger Hiro sein
Zeit mit illegalen Roboterkämpfen, bis ihm sein großer Bruder Tadashi die Augen
für die Möglichkeiten öffnet, sie sich ihm an der Uni und im Bereich Robotik
bieten würden. Hiro entwickelt ein bahnbrechendes Projekt, dass er im Rahmen
eines Auswahlverfahrens vorstellt, als ein Feuer das Leben von Tadashi und
Hiros Idol Professor Callaghan fordert. Von Trauer übermannt zieht sich Hiro
zurück und legt den Plan, an der Uni zu studieren trotz der steten Ermutigungen
von Tadashis Kommilitonen auf Eis, bis er mit Hilfe von Baymax, einem von
Tadashi entwickelten, gutmütigen Krankenpflegeroboters, dahinter kommt, dass
seine Erfindung, sich durch Gedankenkraft beliebig organisierende Miniroboter,
nicht wie gedacht im Feuer vernichtet wurden. Vielmehr hat ein mysteriöser
Schurke mit einer Kabuki-Maske, der augenscheinlich nichts Gutes im Schilde
führt, sie entwendet. Zusammen mit Baymax, der so ziemlich die einzige
Interaktionsmöglichkeit mit Tadashi Andenken darstellt, macht sich Hiro daran,
den Maskenträger dingfest zu machen – doch dafür braucht er Hilfe. Und wer wäre
dafür besser geeignet als ein Truppe Uni-Nerds?
In punkto
animierte Superheldenfilme muss Baymax
hinter dem künstlerisch und inhaltlich noch etwas ambitionierteren Die Unglaublichen – The Incredibles
zurückstecken, so viel sei vorweg gesagt. Dennoch kommt der Film mit einer
beachtlichen Energie daher, vor allem aber mit einem konstanten Tempo und einem
sicheren Händchen für die emotionale Tragweite seines zentralen Konfliktes.
Denn so sehr sich Tadashi und Hiro als Brüder auch verstehen mögen, im Kern von
Baymax steht ein Bruderzwist
dahingehend, dass Hiro seinem Bruder Vorwürfe macht, gegangen zu sein. Diese
werden nie explizit ausgesprochen, äußern sich aber in Handlungen. So ist eine
der wichtigsten Szene, in denen Hiro Baymax‘ friedvolle Programmierung umgeht,
nicht nur aus der oberflächlich erkennbaren Situation der Sequenz zu erklären,
sondern schildert auch Hiros Wut über das sinnlose Ableben des Bruders, zu dem
er sich – so die Logik der Überlebenden – entschieden hat, zumindest aber die
Möglichkeit akzeptierte. Das Ende ist in dieser Kausalkette dann auch der
Abschied von dem Baymax, der Tadashi verinnerlicht hat, damit Hiro dem neuen
Modell unvoreingenommen begegnen kann. Tadashis Tod kann so akzeptiert werden
und der neue Baymax kann, sollte es Fortsetzungen geben, als vom Geist des
Schöpfers befreite Entität anfangen zu existieren. Das Motiv des Verlustes, der
Trauer und auch der Wut auf den Verstorbenen wird auf geglückte Weise
gleichzeitig subtil wie plakativ behandelt, funktioniert also auf
unterschiedlichen Ebenen für Zuschauer jeder Altersklasse. Bei so viel Verve
ist es auch verzeihlich, dass die Dramaturgie mitunter sehr nach Lehrbuch
abläuft (z.B. lass nach dem Trauerfall nicht zu viel Zeit verstreichen, um
möglichst viele lockernde, erheiternde Szenen nachzuschieben). Ebenfalls
gelungen ist die Charakterisierung von Baymax selbst, die den Zuschauer lange
im Unklaren lässt, wie autonom der Roboter wirklich agieren kann. Gerade als
man Bedenken hegt, Baymax könnte einfach nur ein mechanischer Sklave sein, der
jedem Wunsch seines menschlichen Gegenübers nachkommen muss, beweist er in
einem verweigernden Akt seine Fähigkeit zur kleinen Rebellion, die zwar auch
aus Tadashis Programmierung heraus erklärbar scheint, aber ebenso illustriert,
wie lernfähig Baymax letztlich ist.
Neben dem
gelungenen emotionalen Kern der Geschichte ist Baymax auch schlicht eine unterhaltsame Angelegenheit voller
visueller Bonmots. Vor allem die Metropolis ist ein wahnwitziger Mix aus allen
Großstädten der Welt, von den namensgebenden San Francisco und Tokyo über Dubai
bis Paris. Und das alles in der umweltfreundlichen Version. Die
Stilverschmelzung zwischen den Himmelrichtungen findet auch eine für einen
US-Film erstaunliche selbstverständliche Entsprechung auf der ethischen
Darstellungsebene. Hiro und Tadashis Eltern sind augenscheinlich asiatischer
und kaukasischer Abstammung, aber der Film hält es nicht für nötig, dies auch
nur ansatzweise zu thematisieren. Diese Sensibilität findet man sonst
vornehmlich bei skandinavischen Kinderfilmen, die, anders als deutsche
Produktionen, keine schulmeisterlichen Erklärungen für die Diversität der
Spezies Mensch brauchen.
Das Figurendesign
ist eine sichere Bank, aber niemand hat wohl von Disney Experimente erwartet,
wie sie das Studio Laika (Die Boxtrolls)
wagt. Die technische Umsetzung ist gewohnt hervorragend und wieder werden die
Möglichkeiten der Computeranimation etwas weiter erforscht. Der Hyperrealismus
bei gleichzeitiger Abstraktion (es ist ein Segen, dass man Verirrungen wie Final Fantasy: The Spirits Within oder Der Polarexpress wohl nun endlich hinter
sich gelassen hat) eignet sich dabei besonders gut für die Superheldenthematik,
kämpfen Realverfilmungen bei aller Ernsthaftigkeit doch immer mit dem albernen
Momentum, wenn sich Menschen in Spandex zwängen. Und enervierende Füllmaterialsongs,
wie sie noch in Die Eiskönigin
gefühlt alle zwei Minuten auftauchten, sucht man hier vergeblich, lediglich der
passende Immortal von Fall Out Boy
ist zu hören.
Baymax ist kinetisch, hervorragend
getimt (gerade im Hinblick auf den physischen Humor des titelgebenden
Protagonisten), witzig und hat – um diese an sich ausgelutschte Phrase einmal
mehr zu verwenden – das Herz am rechten Fleck. Gerade wegen letzterem wirkt er
weniger austauschbar als beispielsweise sein unmittelbarer Vorgänger, der Gefühle
eher ironisch zu brechen versuchte und erst am Ende einen befriedigenden Ton
anschlug. Bei Baymax ist man
durchgehend involviert. Man könnte noch eine Diskussion darüber lostreten, ob
es richtig ist, den knuddeligen Baymax in eine Kampfrüstung zu stecken, doch
der Film macht deutlich, dass dies einerseits nur Mittel zum Zweck ist, zum
anderen eher eine negative Konnotation mit sich bringt. Der Film ist ständig in
der Diskussion darüber, ob das Herunterladen von Kampfsporteinheiten auf einen
Gesundheitshelfer überhaupt vertretbar ist. Zumal die Rüstung auch als
Schutzschild fungiert in einer Welt, in der nicht alle dem leicht zu
„verletzenden“ Baymax wohlgesonnen sind. Diese Generosität ist dem Zuschauer
dieses gelungenen Spektakels vorbehalten.
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