Freitag, 4. Juli 2014

Room 237 (2012)




ROOM 237
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 19.09.2013
Regie: Rodney Ascher

Muss ich eine Art Disclaimer dieser Besprechung voranstellen? Muss ich all jenen, die Room 237 in allen Aspekten für bare Münze nehmen, wirklich sagen, dass ich mit keiner der im Film geäußerten Theorien zur Interpretation von Stanley Kubricks Shining übereinstimme? Dass ich nicht glaube, Kubrick würde beispielsweise verklausuliert seine Beteiligung an der Fälschung der Mondlandung in der Stephen-King-Verfilmung zugeben? Muss das wirklich sein? Natürlich kann man Room 237 und alles, was er erzählt, lächerlich finden, aber das bedeutet nur, dass man den Kern des Films nicht ganz erfasst hat. Denn es geht hier nicht darum, die eine oder die andere Sichtweise zu bestärken oder zu entkräftigen, den Zuschauer für irgendeine der Interpretationen zu gewinnen oder aus Shining wirklich zu einen Film mit einer tief verborgenen Agenda zu machen. Vielmehr geht es um etwas, mit dem sich jeder beschäftigt, der über Filme schreibt, nachdenkt, publiziert: um die Analyse. Gerade die akademische Filmanalyse ist stets bestrebt, Querverweise und „versteckte“ Informationen zu finden, Filme also nicht nur rein oberflächlich zu betrachten. Room 237 präsentiert nun einige der besonders abgedrehten Sichtweisen auf den einstmals verkannten Horrorfilm, von denen einige durchaus, auch dank der suggestiven (und hervorragenden) Montage durchaus für sich genommen Sinn ergeben. Anderes wiederum ist herrlich absurd und das in einem Maße, dass Room 237 100 Minuten gekonnt unterhält.

Allein der obige Absatz bekräftigt nur den Wert von Room 237 als Abhandlung über die irrwitzigen Abwege, die Filmanalyse nehmen kann. Denn auch meine Sichtweise ist letztlich nur eine Interpretation dessen, was Regisseur Rodney Ascher mit seiner Dokumentation bezwecken wollte. Im Film selbst erfährt man nun einiges über Shining als Metapher für die Gräuel des Zweiten Weltkrieges, die Vernichtungslager der Nazis. Oder als Abhandlung über den Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern durch die einfallenden europäischen Siedler. Oder als Hinweis darauf, dass Stanley Kubrick wie Aufnahmen der Mondlandung gefälscht hat. Man sieht plötzlich Minotauren, unmögliche Fenster und wenn man den Film einmal vorwärts und einmal rückwärts abspielt und die beiden Projektionen übereinanderlegt bekommt man durchaus interessante Interaktionen des Films mit sich selbst zu sehen.

Das alles beruft sich auf Kubricks Ruf als strenger, absoluter Perfektionist, der jede noch so kleine Requisite im Film sorgfältig arrangierte und eigentlich nichts dem Zufall überließ. Durch diesen simplen Kniff kann man so gut wie alle aufgezählten Theorien untermauern und man hört den Interviewpartnern, die niemals in natura gezeigt werden sondern für den Zuschauer lediglich auf der Audiospur existieren, die Freude daran an, ihre Erkenntnisse teilen zu können. Cinephile freuen sich immer, wenn sie ein bisher unbekanntes Detail in einem ihrer Lieblingsfilme entdecken und wenn jenes Detail dann auch noch zu einer mit Genuss zusammengebauten Deutungstheorie korrespondiert – umso besser.
Das schöne an Room 237 ist, dass die Deutungen niemanden weh tun. Es sind einfach Ideen zu einem Film. Anders als beispielsweise mit den kruden Theorien in Filmen wie Die Mondverschwörung von Thomas Frickel oder in Mo Asumangs Die Arier gehen hier keine konkreten Abwertungslegitimationen anderer Menschen oder Einstellungen einher, es wird einfach eine abweichende Sicht auf ein Werk der audiovisuellen Kultur präsentiert. Ganz nebenbei erzählt Room 237 denn auch viel über die ungemeine Kraft, die ein Film entwickeln kann und über die wunderlichen Wege, zu denen das menschliche Hirn imstande ist. Ein einzelnes Detail im Hintergrund kann einen Rezipienten so beflügeln, dass er oder sie eine ganze Analyse darum bauen kann. Ein Poster kann einen Film entschlüsseln.

Kubricks Intelligenzquotient von 200 wird herangezogen, um all die angeblichen Hinweise auf eine andere Sichtweise der Handlung zu erklären. Ein so fähiger, intelligenter Mann muss doch einfach etwas jenseits des offensichtlichen in Shining eingebaut haben. Und auch wenn man kaum umhin kommt, dem zuzustimmen (Shining ist voller Anspielungen, die sich aber nicht zwangsläufig zu den in diesem Film geäußerten Deutungen verdichten müssen), so spricht niemand die mögliche andere Seite der Medaille aus: das sich Kubrick für eine bewusste Täuschung entschieden hat, dass all die Details vielleicht bewusst platziert wurden, aber mit der Intention, dem Zuschauer eben so mannigfaltige Interpretationen anzubieten – oder ihn bewusst in die Irre zu führen. Wenn man den 200er IQ als Legitimation für die Genozid-Theorie heranzieht, dann kann man ihn auch als Erklärung für die angeblichen Mondverschwörungs-Hinweise nehmen: vielleicht hat Kubrick euch auch nur auf den Arm genommen, weil er sich vorstellen konnte, unter welcher Beobachtung seine Werke standen. Warum muss man alles für bare Münze nehmen und Kurbrick nicht auch einen elaborierten Scherz zutrauen? Und schon befinde auch ich mich inmitten des Verschwörungsspiels rund um Shining

Room 237 macht Spaß, so wie es alle popkulturellen Verschwörungstheorien machen. Da es hier nicht um die angeblich wahren Attentäter von 9/11 oder etwas vergleichbarem geht, ist Room 237 das vergnügliche Gegenstück zu all den Langspielplatten, die, rückwärts gespielt, angeblich geheime Botschaften enthalten. Man erinnere sich nur an die „Paul is dead“-Theorie über die Beatles. Letztlich ist Aschers Film ein höchst cinephiles Werk, das seinerseits mit unterschwelliger Manipulation arbeitet und so seine eigene Aussagen über die Exaktheit des Mediums konterkariert. So färbt man die Ausschnitte aus Unternehmen Capricorn einfach so ein, als würden sie die Fälschung der Mondlandung zeigen, wobei es in jenem Film doch um eine gefälschte Marslandung geht, die Bilder also rot getönt sind. Room 237 ist, ganz passend, ein detailverliebter Film, an dessen Ende wohl kaum eine Schar neuer Jünger für die eine oder andere Auffassung steht, wohl aber ein Publikum, dass, eine spezielle Liebe zum Kino vorausgesetzt, einen interessanten Einblick in die Wirkmechanismen von Filmen und selbige aufnehmende Gehirne bekommen hat.



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