Psst, ich habe etwas gemogelt.
Streng genommen habe ich 2016 178 Filme gesehen. Da es sich aber ergeben hat, dass ich in der
ersten Januarwoche Zeit hatte, einige Werke noch nachzuholen (eins hat es dann
sogar noch in die Top 10 geschafft – und nein, es war nicht Toni Erdmann),
zähle ich diese frech noch dazu. So kommen neun hinzu und die Zahl erhöht sich
auf 187 Filme. Das sind satte 20
mehr als 2015 und auch die Zahl der „aktuellen Filme“, also Streifen, die, auf
welchem Vertriebsweg auch immer, es 2016 nach Deutschland geschafft haben, kann
sich mit 74 sehen lassen. Auch hier
sind es 20 mehr als im letzten Jahr. Muss wohl einer dieser kosmischen Zufälle
sein. Auf dieser Basis habe ich die untenstehenden Listen erstellt, aber
wundert euch nicht, wenn sich der Link verändert. Wenn ich Filme aus 2016
nachhole, werden sie dort eingepflegt. Will heißen: in sechs Monaten kann das
Ganze schon wieder leicht anders aussehen und womöglich Top-Filme enthalten,
die hier nicht erwähnt wurden.
Leider habe ich versäumt, ein Serienprotokoll zu führen,
darum kann ich nichts zu der Anzahl der gesehenen Serienstaffeln sagen, aber
ich denke, das ist auch auf einem Filmblog durchaus entbehrlich (das Beste war
ohnehin die zweite Staffel The Knick
und wehe, einer kommt mir mit Stranger
Things).
An der Reviewfront hat es im vergangenen Jahr einige
Umstellungen gegeben. Gerade einmal 19 Full-Length-Reviews haben es in diesen
Blog geschafft, dazu eine Zusammenstellung meiner Gedanken zum ARD-Dreiteiler Mitten in Deutschland: NSU. Dafür bin
ich dazu übergegangen, Gedanken auf letterboxd
in oftmals kleinerem Umfang zusammenzufassen. Zu 69 Filmen habe ich das 2016
geschafft, somit habe ich insgesamt zu immerhin 88 Filmen etwas hinterlassen.
Ich muss sagen, dass mir das letterboxd-Format
durchaus gefällt und ich trage mich mit dem Gedanken, diese Kurzbesprechungen
2017 auch hier im Blog zu verwenden. Ob ihr die Idee gut oder eher schlecht
findet könnt ihr mir ja in den Kommentaren mitteilen, wenn ihr wollt.
Was 2016 gut geklappt hat ist meine Vorauswahl von Filmen
(ich nutze als monatliche Übersicht übrigens epd Film, war aber überrascht, dort nichts von Wir sind die Flut erfahren zu haben. Dank meiner affinen
Twitter-Timeline konnte ich den Film aber auf meine ständig wachsende Liste
setzen). Was das heißt? Ich habe mir Filme, bei denen ich einfach spürte, sie
würden eh nur auf der Flopliste landen, von vornherein gespart. Kein Tschiller: Off Duty, kein Batman V Superman, kein Warcraft – The Beginning, kein Verrückt nach Fixi, nach Lucas
Barwencziks leidenschaftlichem Verriss kein Grüße
aus Fukushima.
Verpasst habe ich natürlich auch einiges. Buzz-Filme,
mögliche Kandidaten für die Top-Liste (wenn man einer wie auch immer gearteten
Mehrheit Glauben schenken mag), Hypes. Darunter sind Seefeuer, Kubo – Der tapfere
Samurai, Captain Fantastic, Junges Licht, The Neon Demon, The Nice Guys,
Valley of Love, Wiener-Dog, 24 Wochen, American Honey, Deepwater Horizon, Krieg und
Spiele, Paterson, Swiss Army Man, Vaiana, Train to Busan, Die Mitte der Welt.
Auch weniger präsente, aber auf meiner persönlichen
Prioritätenliste stehende Filme, harren 2017 auf meinen Besuch: The Visit – Eine außerirdische Begegnung,
Welcome to Norway, Familie haben, Overgames, Nebel im August,
Collide, Agnes, Black Mountain Side,
Ferien, Gestrandet, The Keeping Room,
The Wolfpack – Mitten in Manhattan, Zero Days – World War 3.0.
Bevor wir zu den 2016ner-Listen kommen, hier noch eine
kleine Auswertung der 114 Filme, die ich unabhängig vom laufenden Jahr gesehen
habe. Darunter waren lediglich 30 Wiederaufführungen, bleiben also noch 84
Filme aus den unterschiedlichsten Epochen, die ich 2016 zum ersten Mal sah. Es
war einiges schönes dabei, darum hier zehn Tipps:
10.) Frau Müller muss weg (2015)
09.) Blutiger Freitag (1972)
08.) Reservoir Dogs (1992)
07.) Schloss des Schreckens (1961)
06.) It Follows (2015)
05.) Threads (1984)
04.) Der müde Tod (1921)
02.) The Entity (1982)
Allerdings muss ich auch vor einigen Filmen regelrecht
warnen. Und da alles zwei Seiten hat, hier auch eine Flop 10
10.) John Wick (2014)
09.) Zombeavers (2014)
08.) Murder Party (2007)
07.) Soul Surfer (2011)
05.) Wolf Creek 2 (2013)
03.) Krokodile (1979)
Von den Wiedersehen haben diese fünf Filme mir auch beim
wiederholten Sehen sehr gut gefallen:
05.) Premium Rush (2012)
03.) Ex Machina(2015)
01.) Psycho (1960)
Und nun kommen wir zu dem, warum ihr überhaupt hier seid, um
zustimmend zu nicken oder augenrollend den Kopf zu schütteln. Oder auch beides.
DIE FLOP 10 DES
JAHRES 2016
10.) MATCH ME!
Die gute Nachricht zuerst: Match Me! ist erträglicher als der letztjährige Dokumentarfilm zum
Thema „Liebe finden“, Love &
Engineering. Die schlechte Nachricht: wirklich interessant ist auch dieser
Film nicht. In einem kühl kalkuliert wirkenden Schachzug werden drei besonders
obskure Suchende portraitiert. (…) Der Film stellt in seiner Tagline die Frage,
wie man die Liebe in der heutigen Zeit finden soll, de facto interessiert er
sich aber nur für ein zielloses Vorführen von verzweifelten Menschen, die zu
mitunter sehr seltsamen Methoden greifen, um einen Partner zu finden. Das Ganze
wird dann witzlos und ohne tiefere Aussage aneinandergeschnitten, so dass Match Me! zu einer recht belanglosen
Angelegenheit wird.
Die Welt wartet
auf so vieles. Der Weltfrieden ist ein beliebter Traum, das Besiegen von Hunger
und Armut weitere Kandidaten. Im filmischen Kontext wartet die Welt auch nach
dem Erscheinen von The Shallows noch
auf einen passablen Hai-Film. Das Subgenre des Tierhorrors (seinerseits eine
Unterabteilung des Horrorfilms), 1975 von Steven Spielberg und seinem massiv
überschätzten Der weiße Hai aus der
Taufe gehoben und inzwischen dank Sharknado
und Co. ihren Trashfaktor gar nicht mehr verbergend, ist keine Sache von
Subtilität. An sich keine schlimme Sache, würde nicht auch The Shallows aus einem durchaus furchterregenden, letztlich aber
recht unbescholtenen realen Tier eine fast unbesiegbar erscheinende
Killermaschine mit persönlicher Vendetta machen, ganz so, als hätten die
verlachten Fortsetzungen des Spielberg’schen Wasserschockers nie existiert. Und
ganz wie der kleine Felsen, auf den sich die Protagonistin hier vor dem Fisch
in Sicherheit bringt, ist dies nur die Spitze eines ganzen Fragenkatalogs, die
der als ernstzunehmender Thriller getarnte Quatsch an den Strand der
enttäuschten Filmhoffnungen spült.
08.) DIE KOMMUNE
Erstaunlich, dass
dieser Film vom gleichen Regisseur wie der hervorragende Die Jagd stammt. Was sich auf dem Papier interessant liest, wird in
Thomas Vinterbergs Film zu einem inkohärenten Ganzen, in dem vor allem die
mitunter furchtbar geschriebenen Figuren sauer aufstoßen. (…) Die Themen liegen
ja quasi auf der Hand: die (Un-)Möglichkeiten alternativer Lebensentwürfe,
wirkliche zwischenmenschliche Verwicklungen – Die Kommune sollte eigentlich ein soziologischer Leckerbissen von
Film sein. Doch weder die Figuren noch der Regisseur interessieren sich
wirklich für die gesamte Bandbreite der Prämisse, warum sollte es also das
Publikum tun. Die Kommune hinterfragt
so gut wie nichts, weiß nicht, wohin er eigentlich will, seine Leerstellen
bleiben genau dies. Dieser Film gibt nur vor, zu atmen, zu leben und zu denken.
07.) INDEPENDENCE DAY: WIEDERKEHR
Independence Day ist etwas doof, aber
unterhaltsam. Wiederkehr ist nicht
mal das. Lieblos zusammengeschustert, sinnfrei und in seiner Inkohärenz
geradezu beleidigend. Im ersten Teil wurden die Aliens mit Heuschrecken
verglichen, hier sind es Bienen. Wir lernen: für Hollywood sind
Insektenanalogien beliebig, Hauptsache es krabbelt. Auf diesen Film bezogen
gilt: Hauptsache, es rummst. Das die partielle Zerstörung der Welt inzwischen
aber im Wochenrhythmus stattfindet, ist nicht die Schuld von Wiederkehr, wohl aber seine sichtliche
Unlust, mit der sie betrieben wird. In diesem Film ist alles so dermaßen egal
und freudlos, dass es fast müßig ist, sich darüber zu echauffieren. Fast.
Der erste von
drei Filmen über den rechtsextremen Terror, der 2011 als sogenannter
„Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bekannt wurde, ist gleich ein großer
Griff ins Leere. Angefangen mit der fragwürdigen formalen Entscheidung, den
Reigen mit den Tätern zu beginnen, bietet der Film darüber hinaus nicht viel
mehr als das übliche rechte Gruselkino á la Kriegerin.
(…) Der Film mag ja laut Aussagen von Szeneaussteigern den Weg ins
rechtsextreme Milieu recht akkurat darstellen, aber eben weil der Film so sehr
Spielfilm ist, oft geradezu in den Darstellungen angespannter Körper schwelgt,
offenbart er auch, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist. Wer exemplarisch
den Weg in eine mörderische, rassistische Gesellschaft zeigen will, der wäre
hier mit einem gänzlich fiktiven Werk wohl besser aufgehoben. So werden
Vermutungen und Spekulationen, die eigentlich erst im noch laufenden Verfahren
gegen Zschäpe aufgearbeitet werden sollen, durch die Macht des Films zu
Wahrheiten. Die Täter – Heute ist nicht
alle Tage spielt damit auch der Überlebenden des Trios in die Hände, die
sich den medialen Sexismus ja schon zunutze machte und sich selbst als „armes
Frauchen“ stilisierte. Die richtig Schlimmen, dass sind immer die Anderen.
05.) KUNG FU PANDA 3
Als Familienfilm
versagt Kung Fu Panda 3, weil er in
seiner Schlichtheit nicht die ganze Familie anspricht. Als Kinderfilm nimmt er
seine jungen Zuschauer nicht so ernst wie die vorherigen Teile und behandelt
sie ähnlich wie Po – eine Weiterentwicklung ist so unerwünscht, dass man sich
lieber auf altbekannte Muster der „niedlichen Naivität“ beruft. Und als
Animationsfilm ist der dritte Ausflug in das anthropomorphe China zwar hübsch
anzusehen, zeigt aber immer dann, wenn die Bilder stilisierter werden, wie
wenig aufregend der generische DreamWorks-Look noch daherkommt. Kung Fu Panda 3 ist weniger die
filmische Entsprechung des auch im Abspann verwendeten Songs („Kung Fu
Fighting“), sondern eher das Äquivalent zur deutschen Übersetzung aus den ZDF Hitparade-Zeiten („Sie spielen Kung
Fu / Das ist eine Art von Sport.“). Es ist irgendwie das Gleiche, nur eben in
schlecht.
04.) FREAKS OF NATURE
Eine Welt, in der
Vampire, Menschen und Zombies zusammenleben und die dadurch zu einem
satirischen Zerrbild einer hierarchischen Gesellschaft wird, hauptsächlich
durchexerziert anhand des Abbildes US-High School.
So oder
vergleichbar wird sich Freaks of Nature
wohl selbst sehen, obwohl von der hoffnungsvollen Prämisse nichts übrig bleibt.
Der Film weiß überhaupt nichts mit ihr anzufangen, weder nutzt er sie für clevere
Gags oder hintergründige Kommentare, noch schafft er ein „world building“, das
diesen Namen verdienen würde. Freaks of
Nature ist so oberflächlich, dass es mitunter schmerzt, eine wirre
Phantasie, die sich selbst keinerlei Regeln für das Funktionieren ihrer Welt
auferlegt, weil sie wahrscheinlich ohnehin zu faul wäre, sich an diese zu
halten.
Wer absichtlich
Trash schaffen will, kann eigentlich nur scheitern. Es sind die großen
Ambitionen, die mit geringen Mitteln dann nicht so funktionieren, wie sie
eigentlich sollten, die den Charme des cineastischen Scheiterns ausmachen, die
unbedingte, manchmal eben auch blinde, Liebe zum Medium – Selbstüberschätzung
gepaart mit bewundernswerten Elan. Die Sharknado-Filme
gehören nicht dazu, sie sind das kalkulierte Produkt eines TV-Senders, der sich
dem Neuzeit-Trashs aus einer Kosten-Nutzen-Rechnung heraus verschrieben hat.
Umso peinlicher kommt die Dokumentation Feeding
Frenzy daher, die die Filme über fliegende, ewig hungrige Haie als den
heiligen Gral des Trashfilms hinstellt. Das Wort „Popkultur“ wird so
überstrapaziert, dass man glaubt, sie würde nur aus Sharknado bestehen und dem damit einhergehenden „ironischen“
Filmverständnis, dass im am Reißbrett entworfenen „Kult“ eine Offenbarung
gefunden hat. Genau wie die zugrundeliegenden Filme ist Feeding Frenzy ein lautes, pseudo-lustiges Durcheinander, dass sich
permanent selbst befriedigt und viele „talking heads“ präsentiert, die viel
reden ohne viel zu sagen.
02.) HELL & BACK
Oh. Mein. Gott.
Der Aufwand eines
Stop-Motion-Films verschwendet an ein aggressiv-dummes, widerliches Script, das
jegliche menschliche Regung auf Pippi-Kacka-Ficki-Humor reduziert. Eigentlich
so schlecht, dass man es gesehen haben muss, um es zu glauben, aber die Zeit
lässt sich sicherlich sinnvoller füllen. Zum Beispiel mit entkalken der
Spülmaschine.
01.) DEADPOOL
Wo soll man nur
beginnen? Vielleicht bei den positiven Aspekten? Nun gut: nach knapp 75 Minuten
leistet sich Deadpool die einzig
wirklich gute Dialogzeile: „Ich würde dich ja begleiten aber … ich will nicht.“
Lakonisch vorgetragen, gleichzeitig irrelevant wie bestens zur Narrative
passend – es ist ein winziger Moment inmitten eines Taifuns aus cineastischen
Zumutungen. Denn der massiv erfolgreiche Film, enfant terrible des MARVEL Cinematic Universe (zumindest möchte er
so gesehen werden), ist vor allem ein selbstreferenzielles Vakuum, erstarrt in
einem schon fast nicht mehr pubertär zu nennenden Verständnis der eigenen
Coolness.
Prä-Pubertär
trifft es wohl eher, das filmische Äquivalent zu dem noch nicht in den
Stimmbruch gekommenen Halbstarken, der gern über Dinge erzählt, von denen er
bestenfalls eine vage theoretische Ahnung hat – aber das Ganze natürlich so
lauthals, dass es jeder Umstehende ungefragt mitbekommen muss. Es hagelt
Verweise und Sprüche im Sekundentakt, nicht umsonst wird die Figur Deadpool
„the merchant with the mouth“ genannt. Das Ganze ist aber so beliebig, so wenig
fokussiert, dass der Film Deadpool am
Ende des Tages wie eine Twittertimeline gefüllt mit den schlimmsten Nerds, die
man sich vorstellen kann, wirkt: alles wird kommentiert, was schnell in 140
Zeichen passt, egal, ob es sinnvoll ist oder nicht – der schnelle Lacher ist
wichtiger als jede wie auch immer geartete weitere Ebene.
Das sich
ausgerechnet der Film, der vorgibt, sich über die eine breite Angriffsfläche
bietenden Superheldenfilme á la MARVEL lustig zu machen, der mit Abstand
schlechteste Vertreter der leidlichen Bande entpuppt, ist dann auf schräge Art
wieder im Sinne des postmodernen Selbstempfindens des Ganzen – wenn denn die „I
don’t give a fuck“-Attitüde wirklich ernst gemeint wäre. Denn wie der laute
„Whatever“-Pubertätsanwärter aus dem obigen Beispiel ist Deadpool natürlich gar nicht tief unter seiner Oberfläche über alle
Maßen von sich überzeugt, was seine Sympathiepunkte nicht gerade steigert.
Auch nicht schön:
The Jungle Book, Star Trek: Beyond, Alaaf You,
Bone Tomahawk, Wild, Der Nachtmahr, The Revenant – Der Rückkehrer, Rogue One, Green Room, Anomalisa
DIE TOP 10 DES JAHRES 2016
10.) DER TAG DER KRÄHEN
Es ist en vouge,
über Animationsfilme aus den USA die Nase zu rümpfen und jene aus Japan
hochzuhalten. Mit dem kunstvollen Monolithen Studio Ghibli und einer
beunruhigenden Tendenz des PIXAR-Studios zu unnötigen Fortsetzungen ist dies
zwar auch sehr naheliegend, aber das weite Feld zwischen den Polen wird dabei
schnell aus den Augen verloren. Während in Deutschland zugegebenermaßen eher
der Trickfilm á la Werner – Gekotzt wird
später dominiert, entstehen beispielsweise im Nachbarland Frankreich nicht
nur fantastische Serien wie Die langen
großen Ferien, sondern auch Filme wie Der
Tag der Krähen, der Anleihen an Ghibli macht, jedoch seine eigene Stimme
geradezu mühelos findet. (…) Der Tag der
Krähen ist ein klug durchdachter Film, der zwar an manchen Stellen auf altbekannte
Versatzstücke zurückgreift (z.B. der obligatorische Scheunenbrand) und seine
gestalterischen Vorbilder nicht verleugnen kann, insgesamt aber ein
diskussionswürdiges, reichhaltiges Filmerlebnis bietet. Der europäische
Zeichentrickfilm lebt – und es geht ihm sehr gut.
09.) THE WITCH
In The Witch geht es nicht um eine Hexe,
ebenso wenig wie es im letztjährigen Der
Babadook wirklich um eine schattenhafte Präsenz ging, die eine überforderte
Witwe und ihren Sohn heimsuchte. Heimsuchungen sind zwar auch im Regiedebüt von
Robert Eggers ein wichtiges Thema, aber einmal mehr generiert sich das Grauen
weniger aus einer wirklich greifbaren Bedrohung sondern aus den Dämonen, die
aus den Menschen selbst geboren werden. Und anders als der Babadook, dessen
Kreation von unkontrollierbaren äußeren Umständen bedingt wurde, ist es hier
die selbstgewählte Geißelung, die ins Verderben führt. The Witch ist ein analysefreudiger Film, dessen bedrohliche
Stimmung auf billige Jump Scares verzichtet, der immer dann am schwächsten ist,
wenn er zu konkret wird. Dem Gesamteindruck eines hervorragenden Genrebeitrags
tun aber selbst solche Zugeständnisse nicht weh. (…) In einer Welt, die unter
dem religiösen Fanatismus leidet, zeigt The
Witch auf die Fallstricke allzu strenger Denkmuster, die sich durch den
Verweis auf Gott oder andere übergeordnete Platzhalter legitimieren. Die Welt
wird hier nicht ins Unglück gerissen, wohl aber das Wohlergehen von Menschen,
die letztlich die Welt bilden, die sie mit ihrer Frömmigkeit auf ihrer Seite
wähnten. Dass der Film mit seiner durchgehend unheimlichen Atmosphäre, den
wohlkomponierten Bildern und dem Soundtrack dann auch noch ansehnlich und
kurzweilig daherkommt, wirkt bei solchen Subtexten dann schon fast wie ein
schmückendes Beiwerk.
08.) THE HUNTING GROUND
The Hunting Ground ist in seiner ganzen
Wucht schwer ertragbar. Formal eine Doku ohne Experimente, wiegt der
inhaltliche Sprengstoff alles schnell auf. Die Situation an deutschen
Hochschulen mag anders sein, aber die Mechanismen, nach denen in Fällen
sexueller Gewalt argumentiert wird, legt der Film akribisch offen. Auf dem
Oktoberfest gehören sexuelle Übergriffe ja auch zur „Folklore“ und die
„Provokation“ durch einen Ausschnitt oder einen Rock wird als so gravierend
angesehen, dass dem Vergewaltiger ja gar keine andere Möglichkeit blieb, als
etwas zur Triebabarbeitung zu tun. Es ist diese ungeheuerliche
Argumentationsweise, die in The Hunting
Ground immer wieder zur Sprache kommt und sie ist, so traurig und
erschreckend dies auch sein mag, universell. So wird der Film zu mehr als zu
einer weiteren Schilderung aus den Niederungen der US-amerikanischen
Gesellschaft. The Hunting Ground ist,
in der ein oder anderen Form, überall.
07.) ARRIVAL
Nach
hervorragenden zwei Dritteln zerstört sich der Film im dritten Akt durch einen
Kniff, der so spektakulär blödsinnig ist, dass ich ihn hier dem womöglich
unbedarft Lesenden nicht verraten möchte, fast selbst. Sprache formt das
Denken, sicherlich, aber was Arrival
daraus macht ist so plakativ, dass man sich einen Roman herbeiwünscht, der das
Konzept auf einigen hundert Seiten unterfüttern hätte können. So bleibt eher
viel Mumbo-Jumbo. Es spricht deshalb für den Rest des Films, dass er dennoch
auf dieser Liste auftaucht, denn der Versuch, den Erstkontakt mit
Außerirdischen möglichst realistisch darzustellen, ist so gut gelungen, dass Arrival deshalb in Erinnerung bleibt und
nicht wegen seiner Verfehlungen. Der Film spricht Probleme an, die in den
üblichen Darstellungen des Kontakts nicht vorkommen und wenn man Amy Adams nur
dabei zugesehen hätte, eine sinnige Kommunikationsgrundlage zu finden – Arrival wäre sogar noch besser geworden.
Nicht zu retten ist allerdings der Soundtrack, der mit kaum verfälschten
Walgesängen und einem Dideridoo eine Art Futurismus evoziert, der musikalisch
eigentlich irgendwann in den 1980ern ausgestorben ist. Ja, vielleicht mag ich Arrival in einigen Teilen eher für das,
was er versucht als für das, was er ist.
06.) SPOTLIGHT
Wenn beklagt
wird, dass der „Mittelfilm“ zwischen Blockbuster und Indie auszusterben droht
und es ihn in den 1960er und 1970er Jahren doch noch zu Hauf gab, der wird mit Spotlight zumindest ein bisschen
aufatmen können. Der in so gut wie allen Belangen „klassisch“ inszenierte Film
ist involvierend und trotz des Sujets niemals anklagend oder diffamierend. Es
ist wie guter Journalismus sein sollte: ein Missstand wird recherchiert,
aufbereitet, gecheckt und schließlich veröffentlicht, auf dass sich jeder Leser
ein Bild, ausgehend von den Fakten, machen kann. Manchen mag das trocken
erscheinen, vielleicht sogar zu glatt in Szene gesetzt zu sein, aber Spotlights Kraft sollte nicht
unterschätzt werden. Ein gleichzeitig spannender wie ruhiger Film.
05.) MUSTANG
Letztes Jahr Das Mädchen Hirut, dieses Jahr Mustang. Ich glaube, ich habe was für
Emanzipationsgeschichten übrig. Das Schöne an Mustang ist sein Mix aus absolut leichtfüßigen Momenten (die
Sequenz mit dem Fußballspiel gehört zu meinen Lieblingsmomenten des Kinojahres)
und tiefer Schwere, die von den Protagonistinnen letztlich durch
Einfallsreichtum überwunden wird. Es ist nicht alles gut, wenn der Abspann
einsetzt, aber vor allem die junge Lale scheint den Fängen einer patriarchalen
Struktur entkommen zu sein. Bemerkenswert ist auch der Verzicht des Films aus
einen klar definierten „Schurken“. Der Onkel und die Großmutter sind nicht per
se schlechte Menschen, sie sind nur so gefangen in ihren traditionellen
Vorstellungen von Weiblichkeit, Sexualität und Ehe, dass ihr Weg vorgezeichnet ist.
Sie haben nicht mehr die Kraft zum Umdenken, gerade wenn man unter der
ständigen sozialen Kontrolle des Umfeldes steht. Es geht nicht darum,
verknöcherte Hirnwindungen wieder geschmeidig zu machen, sondern um die Rettung
derer, die noch zu retten sind. Mustang
wirkt nach, keine Frage.
04.) WINTERGAST
Cineasten
beschwören es ja immer wieder: großartige Filme findet man häufig eher in den
Nischen und weniger im Multiplex. Kaum ein anderer Film in diesem Jahr zeigt
dies so gut wie Wintergast, eine
kleine Produktion aus der Schweiz, die dank Untertiteln und den monochrom
gehaltenen Bildern gleich zwei „Hürden“ für den Massenmarkt anbietet. Doch Wintergast ist auch eine präzise
beobachtete Studie über die Schwierigkeiten des kreativen Schaffensprozess und
die mit ihm kollidierenden diffusen Lebensziele, ohne dabei in schale
Hipster-Posen abzugleiten - quasi eine europäische Version von Frances Ha ohne die enervierenden
Elemente.
03.) ZOOMANIA
Es gibt ein
Brettspiel für Kinder mit dem alles erklärenden Namen Tiere füttern, quasi die Fortsetzung des Besuchs im Zoo, Wald oder
am Wildgatter für den heimischen Esstisch. Menschen, nicht nur die an Jahren
junge, locken gerne andere Tiere mit Futter um sie eben zu füttern, zu
streicheln, sie aus der Nähe zu sehen. Dabei steht weniger das Beobachten der
schnöden Nahrungsaufnahme im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Kontakt zu einem
nicht-menschlichen Lebewesen. Der Mensch, quasi isoliert durch einen
Evolutions- und Kulturprozess, der ihn immer weiter von den anderen Geschöpfen
des Planeten entfernt, sehnt sich nach „den Anderen“. Dieses sich in Relation
setzen kann natürlich gute wie schlechte Blüten treiben und man muss nur an das
koloniale Klischee vom „edlen Wilden“ erinnern, um zu erkennen, dass die Suche
sogar innerhalb der eigenen Art auf grausamste Spitzen getrieben werden kann.
Umso erfrischender, dass Zoomania,
der in der Zählweise des Disneystudios inzwischen 55. abendfüllende
Animationsfilm, genau solch plumpe Zuschreibungen umgeht. Der Film ist
cleverer, als wohl die Meisten erwartet haben dürften, geradezu wasserdicht
handhabt er seinen Subtext, der über die einfache Rechnung „Vorurteile sind
schlecht“ weit hinausgeht. Zoomania
ist genau der richtige Film zur richtigen Zeit, eine im besten Sinne moderne
Parabel in einer politisch vergifteten Zeit, in der die Differenzierung dem
Stammtisch geopfert wird.
02.) SON OF SAUL
Eine „gute Zeit“
im Popcornkinosinn wird man als Zuschauer bei Son of Saul nicht haben. Mehr noch, es kann sein, dass man ihn nach
einmaligem Sehen nie wiedersehen möchte – was vollkommen legitim ist. Der Film
zeigt wenig von dem, was man aus Filmen über den Holocaust kennt, nicht zuletzt
dank Steven Spielbergs Schindlers Liste,
auch weil die Kamera im 4:3-Format stets an Protagonist Saul hängt. Dies
schafft eine Nähe, die schwer wiegt – unmittelbar und schonungslos. Das
Babygeschrei in einer Sequenz verfolgt mich immer noch. Ein Film über den
menschlichen Drang nach Sinnhaftigkeit, selbst wenn der Sinn, gerade in einem
Konzentrationslager, so weit weg scheint wie die Menschlichkeit.
01.) RAUM
Raum ist ein Film mit beeindruckend
vielen Lesarten, während er eine oberflächlich klar umrissende Geschichte
erzählt bietet er gänzlich unaufdringlich noch weitere Möglichkeiten der Interpretation
an. Raum ist Thriller und
Familienfilm, etwas Tragikomödie und grausames Drama, eine Geschichte über das
Erwachsen werden und das Erwachsen sein, über die menschliche Psyche und ihre
Überforderung. Schwer liegt dem Zuschauer vieles auf der Seele, ohne dass der
Film ein Paradebeispiel für Hoffnungslosigkeit wird. Raum ist ein ausbalancierter Film, erschreckend und wunderschön
zugleich. Und schlicht der beste Film des Jahres 2016, welches bei so vielen ja
als besonders schlimm in Erinnerung bleiben wird, wenn man einigen Kommentaren
glauben mag. Doch solange es Filme wie Raum
gibt, gibt es immer noch genügend Gründe, ins Kino zu gehen.
Auch schön: Toni Erdmann, A War, The Survivalist, The Lobster, Mitten in Deutschland: NSU – Die Opfer, Der Bunker, Störche –
Abenteuer im Anflug, Where to Invade Next, Lehrstunden der Harmonie