DER BABADOOK
(The Babadook)
Australien 2014
Dt.
Erstaufführung: 07.05.2015
Regie: Jennifer
Kent
Der Babadook hat trotz seines geringen
Alters bereits ein bewegtes Leben hinter sich. 2014 zum ersten Mal auf dem
Sundance Filmfestival gezeigt und im Mai desselben Jahres in seinem
Entstehungsland Australien angelaufen, verbreitete sich schnell die Kunde von
einem neuen Meilenstein im Horrorgenre – dem besten Monsterfilm in einer langen
Zeit. Nun muss man mit solchen Superlativen immer etwas vorsichtig sein, gerade
wenn man die doch recht unterschiedlichen Rezeptionshintergründe
angloamerikanischer und europäischer Kritiker bedenkt. Die Diskrepanzen sind
oftmals ebenso verblüffend wie tiefgreifend. Vielleicht hilft dem Babadook
seine Heimat down under, dass er sich
willentlich den generischen Mustern des Genres, wie sie das US-Creature-Feature
zementiert zu haben scheint, widersetzt. Wer einen „klassischen“ Horrorfilm
erwartet, wird wohl bitter enttäuscht werden. Als psychologisches Drama, dessen
Dechiffrierung keine allzu großen Anstrengungen erfordert, aber dennoch stimmig
daherkommt, ist Der Babadook
allerdings ein Erfolg. Regisseurin Jennifer Kent inszeniert bemerkenswert
selbstsicher und macht aus ihrem Spielfilmdebüt ein passables Drama um Trauer
und Verantwortung.
Amelia (Essie
Davies) hat ihren sechsjährigen Sohn Samuel (Noah Wiseman) allein erzogen, weil
ihr Mann Oskar ums Leben kam, als er Amelia mit Wehen ins Krankenhaus gefahren
hat und auf regennasser Fahrbahn die Kontrolle verlor. Seitdem lebt Amelia in
einem Zustand der Verdrängung – Oskar und sein Tod werden konsequent
ausgeblendet. Samuel beginnt eines Tages, enervierendes Verhalten an den Tag zu
legen: er schläft kaum noch und wenn, hält er als Bettgast seine Mutter von
selbigen ab – und er baut diverse Waffen, um sich gegen die imaginären Monster
zu verteidigen, die ihn und seine Mutter bedrohen. Dies weitet sich aus, als
Amelia und Samuel ein makaberes Kinderbuch lesen, in dem von einer Kreatur
namens Babadook die Rede ist, die, ist man sich erst ihrer Existenz bewusst,
die betreffenden Menschen verfolgt und in den Wahnsinn treibt. In der Folge
ereignen sich seltsame Dinge: Geräusche ohne scheinbare Ursache, Glas in
Amelias Essen, unheimliche Anrufe. Samuel ist von der Präsenz des Monsters
überzeugt, während Amelia durch Schlafmangel und ihre eigenen Visionen des
Babadooks zusehends unberechenbarer und zu einer Gefahr für sich und ihren Sohn
wird.
Der Babadook basiert auf dem effektiven,
stilsicheren Kurzfilm Monster,
ebenfalls aus der Feder Kents, und adaptiert die elegante
Schwarz/Weiß-Geschichte werkstreu für die Leinwand, auch wenn Farben immer noch
keine große Rolle in diesem Kosmos spielen. Dies ist nur ein Anhaltspunkt
dafür, den Film nicht als bloße Repräsentation einer filmischen Realität zu
sehen. In Der Babadook vermischen
sich Gemütszustand und Wirklichkeit, Emotionen nehmen Gestalt an und
terrorisieren die Protagonisten, der Zuschauer sieht nicht den Blick einer
„neutralen“ Kamera, sondern direkt aus dem gequälten Inneren Amelias hinaus in
die Welt. Es geht in Der Babadook,
das ist auch ohne tieferes filmtheoretisches Wissen/Gespür deutlich, um Trauer.
Seit dem gewaltsamen Tod Oskars hat Amelia dieses Ereignis verdrängt, hat sich
ganz auf ihren Sohn konzentriert und die Aufarbeitung des traumatischen
Ereignisses völlig außer Acht gelassen. Doch gehört es zum psychologischen
Grundwissen, dass verdrängte Gefühle sich immer wieder Bahn brechen. Die
Sprachlosigkeit und das ihrer Umwelt auferlegten Verbot, auch nur Oskars Namen
zu erwähnen, führen schließlich zu einem immer mächtiger werdenden emotionalen
Sog, in dem Kent sich traut, einige heikle Fragen zu stellen, die so gar nicht
in das kuschelige Familienideal passen wollen, dass mensch sich von der Elternrolle
macht.
Kindererziehung
dürfte, da muss man wohl nur die eigenen Eltern befragen, eine der
herausforderndsten Aufgaben sein, denen sich Menschen stellen können. Bei
allem, was zudem Elternblogs dokumentieren, ist auch die Welt des
Werbefernsehens, in dem stets nur gut gelaunte Bilderbuchfamilien durch die
Welt tollen, eine Illusion, ist es eben nicht immer nur eitel Sonnenschein und
gerade auf Alleinerziehende kommt eine ganze Flut an An- und Überforderungen
zugerollt. Es ist nicht das Anliegen von Der
Babadook, die Erziehungsleistung von Alleinerziehenden irgendwie in Frage
zu stellen, aber der Film lässt zu, dass sich die Mutter (und mit ihr der
Zuschauer) mit den Dämonen der Erziehung (buchstäblich) auseinandersetzt.
Amelia transferiert einen Teil ihrer unterdrückten Trauer und Wut auf Samuel,
unausgesprochen hängt stets im Raum, dass sie ihm eine Mitschuld an Oskars Tod
gibt. Samuels Verhalten ist nun nur eine Reaktion eines Kindes, das mit der
überfordernden Gefühlswelt eines Erwachsenen konfrontiert wird und auf sie mit
seinen Mitteln reagiert. So ist der Babadook, der stets bemüht ist, Besitz von
Amelia zu ergreifen, eine Manifestation des Gefühlsterror, dem sich Mutter und
Sohn gegenseitig aussetzen. So lässt es der Film auch beispielsweise offen, ob
das Buch tatsächlich zu Amelia zurückkehrt und ihr ihren Abstieg in den Wahnsinn
prophezeit, oder ob dies nur in ihrem Kopf geschieht.
Das Ende ist
besonders gelungen: Erst als Amelia Oskars Tod in die Augen sieht (auch hier
wieder sehr buchstäblich) und sich in vollster Überzeugung zu ihrem Sohn
bekennt, dann sie das Monster besiegen und es in den Keller verbannen, um ein
Dasein als noch vorhandene, aber nicht mehr ständig präsente oder gar
destruktive Emotion zu fristen. Amelia kann ihren Sohn annehmen, dieser spürt
nun endlich Rückhalt und kann sich sicherer bewegen und der Babadook, jene
Visualisierung der Trauer, hat keine Macht mehr über die Familie. „Du kannst
ihn besuchen, wenn du älter bist“, sagt Amelia zu ihrem Sohn und impliziert
damit, dass die Trauerarbeit nicht vorbei ist, nie vorbei sein kann, aber erst
in späteren Jahren eine Rolle in Samuels Leben spielen sollte. Der Babadook
wird wieder auftauchen, aber weil Amelia gelernt hat, mit ihm umzugehen wird
auch Samuel nicht die massiven Probleme bekommen, die sie zu bewältigen hatte.
So kehren am Ende des Films auch langsam die satteren Farben wieder zurück in
ihre Welt und es wird das Leben gefeiert, anstatt sich ängstlich vor ihm zu
verstecken.
Als Monsterfilm
wird Der Babadook Genrefans recht
wenig von dem bieten, was sie suchen. Es gibt einige sehr unheimliche
Sequenzen, aber schon auf ein klares Bild der Entität muss verzichtet werden.
Wer hingegen ein emotional ansprechendes, kompetent inszeniertes Psychodrama
sehen möchte, dass entwaffnend ehrlich mit Gefühlen, auch mit düsteren, umgeht,
dem offeriert Kent einen involvierenden Film, dessen Sujet Trauer durchaus auch
auf andere emotionale Ausnahmesituationen angewendet werden kann. Der Babadook
kann jeden besuchen und das Mantra des Film – „Don’t let it in!“ – ist als
Plädoyer gegen emotionale Abschottung zu verstehen. Verdrängung gebiert
Monster, die des Nachts durch knarzende Türen kommen und es bedarf eines
emotionalen Reifungsprozess, um ihrer Herr zu werden. So ist Der Babadook letztlich ein
hoffnungsfroher, lebensbejahender Film, der um die Finsternis der Existenz
weiß, sich von ihrer aber nicht beherrschen lassen will. Und Amelia wird so zu
einer Figur, die weitaus stärker ist, als ihr selbst bewusst sein dürfte –
etwas, was wohl auf mehr Menschen zutrifft, als man generell meinen würde. You
can’t get rid of the Babadook – but you can learn to cope with him.