Donnerstag, 27. November 2014

Snowpiercer (2014)




SNOWPIERCER
USA/Südkorea 2014
Dt. Erstaufführung: 03.04.2014
Regie: Bong Joon-ho

Fun Fact: Die US-amerikanischen Verleiher wollten Regisseur Bong Joon-ho dazu verpflichten, eine weniger „intelligente“ Fassung des Films herauszubringen, weil man um seine Potenziale auf dem US-Markt fürchtete. Joon-ho wehrte sich dagegen und so ist der Snowpiercer, den auch wir hierzulande zu Gesicht bekommen, nicht eine (noch weiter) verwässerte Version. Dies zeigt vor allem eins: dass an dem Klischee des US-Bürgers, der alles im weitesten Sinne „ausländische“ an Kulturprodukten automatisch eine höhere Wertigkeit und Intelligenz zuschreibt, immer noch etwas dran ist – so ähnlich, wie die Deutschen die Italiener oder die Franzosen insgeheim immer noch für lebensfroher als sich selbst halten. Dementsprechend waren die Kritiken in den Staaten phänomenal, Snowpiercer wurde zu einem Liebling der Rezensenten, dessen fordernder Inhalt immer wieder lobend in den Vordergrund gesetzt wurde. Vielleicht haben die Kritiker in den USA klammheimlich doch eine andere Version zu sehen bekommen als die Europäer, denn zumindest der Kunde vom überragend intelligenten Drehbuch wird der auf einem französischen Comic basierende Film nicht gerecht. Sicherlich macht sich Snowpiercer mehr Gedanken um sein Setting als der nächstbeste SF-Actionfilm, aber so wirklich in die Tiefe gehen will er dann auch nicht.

Der Versuch, die Erderwärmung zu stoppen, ist katastrophal gescheitert: durch eine in die Erdatmosphäre ausgebrachte Chemikalie wurde eine Kettenreaktion ausgelöst, die die Erde in eine alles Leben vernichtende Eiszeit gestürzt hat. Die Reste der Menschheit bewegen sich in einem gigantischen Zug, dem titelgebenden „Snowpiercer“, angetrieben von einer geheimnisvollen Maschine, auf einem alle Kontinente umspannenden und dereinst vom Zugfanatiker Wilford (Ed Harris) erbauten Schienennetz um die Welt. In diesem Mikrokosmos leben die Wohlhabenden im vorderen Teil des Zuges, der Pöbel darbt im hinteren Teil und wird von den faschistoiden Streitkräften der Herrschenden gequält. Curtis (Chris Evans) und die Seinen haben den ihnen zugedachten Platz in der Hierarchie verständlicherweise satt und proben den Aufstand – das Ziel, den Triebwagen und damit die alles beherrschende Maschine zu erreichen, fest vor Augen…

Snowpiercer legt eine geradezu manische Energie an den Tag. Ähnlich wie für die Protagonisten im Film selbst scheint Stillstand für ihn ein Todesurteil zu sein. Joon-ho bewegt seinen Film mit einem flotten Tempo voran, ohne dabei auf eine generische Abfolge von Actionsequenzen zu setzen. Die Handlung wird konstant nach vorn (haha) gebracht, es ist unbestreitbar, dass Snowpiercer ein Film ist der sich schlicht bewegt. Dennoch lässt er dem Zuschauer genug Raum zum Nachdenken und das ist paradoxerweise einer seiner Fehler.

Wie kann das sein, wenn man es doch immer begrüßen sollte, wenn ein Genrefilm die Intelligenz seines Publikums nicht beleidigt? Zum einen ist Snowpiercer sehr sorgsam darin, kritische Plotelemente zu erklären. So erfährt man, wie die Wasserversorgung funktioniert und woraus die Nahrungsersatzstoffe gemacht sind, die als Speisung für die Marginalisierten aus dem hintern Zugteil dienen. Doch dann passieren die Figuren beispielsweise ein gut gefülltes Kühlhaus und es wird mit keinem Wort erwähnt, so die Rinderhälften und die Unmengen Hühnchen eigentlich herkommen. Der Film spielt 17 Jahre nach der Apokalypse. Ich bin kein ausgewiesener Experte, aber auch gekühlt dürfte sich Fleisch nicht über solch einen langen Zeitraum halten. Und wenn es eine lebens- und reproduktionsfähige Anzahl von Rindern und Hühnern gibt, warum verschweigt der Film diesen Wagen so konsequent? Auch die Unterbringung der Oberschicht wird nicht weiter beleuchtet, man sieht lediglich ihre Annehmlichkeiten: Zahnarztpraxis, Sauna, Disco. Dass man, um in die Disco zu gelangen, immer den Saunawagen passieren muss, ist nur eines der Details, auf die man wohl nicht allzu deutlich achten soll. Auch unterhält man eine eigens für Revolten zuständige Hooligantruppe.

Zugegebenermaßen schafft es der Film immer wieder, dass solche Gedanken in den Hintergrund treten, wenn Snowpiercer seine Kinetik voll ausspielt. Ein grundlegendes Gerechtigkeitsbedürfnis lässt die sich anbahnende Revolution immer wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit treten, auch wenn der Film letztlich eine plausible Erklärung für die Zuginterne Gesellschaftsstruktur schuldig bleibt. Snowpiercer ist selbstredend über alle Maße plakativ, wirklich niemanden dürfte die Gesellschaftskritik entgehen und als mitunter erstaunlich differenziertes Lebensbild (kaum eine Figur, die nicht zwei Seiten hat) kann der Film zwar punkten, doch viel mehr als über ein ominösen Losverfahren, mit dem man den Platz im Zug zugewiesen bekommen hat, erfährt man nicht. Auch nicht darüber, ob die Menschen aus dem hinteren Teil außer der Kinderproduktion noch eine weitere Aufgabe an Bord erfüllen. Das, was Snowpiercer nachprüfbar anbietet, ist etwas dünn, um die illustrierte Gesellschaft vollständig zu legitimieren. Man kann nun einwenden, genau dies sei ja der Spiegel, den der Film der Realität vorhält, aber gehört es auch zu den Stärken des Kinos, über das Bekannte hinauszugehen und etwas mehr Substanz zu bieten. Als spekulativer Auswuchs eines konsequenten Sozialdarwinismus, der auf Zufall und Ökonomie fußt, ist Snowpiercer nicht gänzlich erfolgreich.

So nimmt der Film den Zuschauer bei aller Bewegung immer wieder aus der Geschichte heraus, wenn er ihn dazu animiert, seinen Denkapparat nicht gänzlich auszuschalten. Dadurch, dass man immer wieder Fragen nach der inneren Logik stellen kann, wird ihm sein eigener Ansatz zum Verhängnis, auch wenn das Wort im Hinblick auf die allgemeinen Unterhaltungswerte des Films wohl etwas zu harsch ist. Denn als futuristischer Actionfilm kann er stets überzeugen, die Kameraarbeit und das Produktionsdesign sind fantastisch, die sozialen Aspekte immerhin für Diskussionen gut (schon allein, weil es an Bord des Zugs vor allem eine Ober- und eine Unterschicht gibt. Die Mittelschicht wird durch zahlenmäßig wenige Bedienstete, die sich im Status Quo eingerichtet zu haben scheinen, vertreten).
Snowpiercer ist sicher kein neuer Genreklassiker, auch wenn darüber wohl die Zeit entscheiden wird. Aber sein purer Wille, sich nicht komplett einer verordneten Idiotie hinzugeben, verbunden mit der souveränen und deutlich mit Spaß ausgeführten Regie von Bong Joon-ho, die schon seinen internationalen Durchbruch The Host vor dem vollkommenden Trash rettete, machen aus Snowpiercer zumindest ein solides Stück Unterhaltungskino. Auch wenn man speziell in Deutschland immer wieder daran denken muss, was wäre, wenn der Zug im Film von der DB betrieben würde, wo drei Schneeflocken dort doch meist schon als Naturkatastrophe interpretiert werden…




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