Montag, 17. November 2014

Interstellar (2014)




INTERSTELLAR
USA 2014
Dt. Erstaufführung: 06.11.2014
Regie: Christopher Nolan

Das der Platz des Menschen im Universum mit den Mitteln des Films versucht wird zu verhandeln, ist ein konstantes, wenn auch relativ seltenes Ereignis im Science-Fiction-Genre. Die Filmart, die für viele lediglich mit dem Eskapismus des Star Trek und Star Wars-Franchises assoziiert wird, ist zu beachtlichen Leistungen fähig, wenn sie sich an die großen Fragen wagt, die interstellare Reisen zwangsläufig aufwerfen. Es sind Konzepte, die weit über das eigentliche menschliche Verständnis hinausreichen und vielleicht ist darin der Grund zu suchen, warum außer den großen Namen wie 2001 – Odyssee im Weltraum und Contact sich so wenige Genrefilme mit ihnen beschäftigen – die Prämisse ist nicht gerade der Garant für einen völlig konsequenzlosen, rein unterhaltenden Filmabend. Interstellar macht da keine Ausnahme, es ist ein erwachsener Film, der weit entfernt ist von den naiv-fröhlichen Weltraummärchen eines George Lucas. Sieht man ihn als Teil des Dreigestirns der genannten Filme, so muss man allerdings auch konstatieren, dass er der Schwächste der Drei ist, hauptsächlich, weil Regisseur und Drehbuchautor Christopher Nolan, der für Cineasten abwechselnd Messias und Antichrist darstellt, an entscheidenden Stellen patzt und den berauschenden Bildern auf inhaltlicher Ebene oftmals nur kruden Mumbo-Jumbo entgegenzusetzen hat. Interstellar ist ein gestalterisch großartiger Film und es ist schön, dass Nolan normale menschliche Emotionen nun endlich für sich entdeckt hat, aber die Reise an die Grenzen der menschlichen Erfahrungen hinterlässt ob ihrer nur behaupteten Tiefe einen schalen Beigeschmack.

In naher Zukunft ist die Menschheit dem Untergang geweiht: die natürlichen Ressourcen gehen zur Neige, Sandstürme fegen immer wieder über die Länder, der Anbau von Nahrungsmitteln wird immer schwieriger und selbst ehemalige Ingenieure müssen sich als Farmer verdingen, um den Bedarf zu decken. Einer von ihnen ist Cooper (Matthew McConaughey), ehemals einer der besten Piloten der NASA und vom stillen Wunsch beseelt, den Planeten zu verlassen. Die Gelegenheit bietet sich ihm, als eine Gravitationsanomalie ihn und seine Tochter Murph (Mackenzie Foy) zu einer geheimen Forschungseinrichtung führt, wo der geschrumpfte Rest der NASA unter der Leitung von Coopers ehemaligem Mentor Brand (Michael Caine) eine Mission zu einem augenscheinlich von jemanden gezielt platzierten Wurmloch in der Nähe des Saturns vorbereitet. Von der Weltöffentlichkeit verborgen sind bereits Menschen hindurch in eine andere Galaxie geflogen, um dort nach neuen, bewohnbaren Planeten zu fahnden. Die zweite Mission soll nun die Ergebnisse vor Ort auswerten und erste Schritte zu einer Kolonialisierung unternehmen. Cooper wird als Pilot angeworben, lässt seine Familie auf der Erde zurück und begibt sich auf eine Reise weiter und gefährlicher, als sie je ein Mensch vor ihm unternommen hat.

Die Prämisse von Interstellar ist atemberaubend und die Trailer taten einen hervorragenden Job dabei, sie zu verkaufen. Es ist nicht verwunderlich, dass Nolans Herzensprojekt zu einem der am meisten erwarteten Filme des Jahres werden sollte. Und zumindest visuell wird er dem Hype gerecht. Interstellar hat großartige Bilder zu bieten, einige davon in ihrer Größe und gleichzeitigen Simplizität emotional ausgenommen wuchtig, die Effekte sind erste Wahl (was man angesichts des Budgets wohl auch erwarten durfte) und sogar der vielgescholtene Hans Zimmer kann diesmal wieder mit einem rundum gelungenen Soundtrack überzeugen, der vor allem in den actionorientierten Sequenzen wohlplatziert ist, ähnlich wie Gravity im letzten Jahr nicht zuletzt durch die Musik lebte.

Doch so ganz will Interstellar bei aller Wucht nicht funktionieren. Die liegt vor allem darin, dass Nolan in seinen Charakteren keine Entsprechungen zu den grandiosen Bildern findet. Die Reise ins All wird von den recht blassen Figuren hingenommen, kaum ist etwas von ihrer Anspannung zu spüren, vom Sinn für Wunder, den eine solche Odyssee eigentlich besonders stimulieren sollte, auch nicht. Dennoch gelingt es ihm diesmal, eine grundlegende Gefühlsebene zu bedienen, denn einige Szenen sind emotional so befriedigend ausgefallen, wie man es von Nolan gar nicht gewohnt ist. Das Schablonenhafte der Figuren reicht an diesen Stellen, um eine Reaktion zu generieren, tiefer als eine rein beschreibende Oberfläche geht es meistens nicht, vor allem über Wes Bentleys Figur erfährt man atemberaubend wenig, während Anne Hathaway einen reichlich seltsamen Charakter mimt, der das Klischee der irrationalen Frau bedient und der trotz des letztendlich gerechtfertigten Payoffs dieser Emotionalität nie dreidimensional wird.

Hinzu kommt ein nicht zu leugnender Drang, dem Zuschauer alles erklären zu wollen. Nolan fürchtet sich vor einem wirklichen Interpretationsspielraum, wie ihn beispielsweise 2001 an den Tag legte, indem er nicht krampfhaft versuchte, alles in einen sinnigen Kontext zu bringen. Stanley Kubricks Film ist schon allein deshalb zeitlos, weil er dem Publikum eine individuelle Interpretation des Gesehenen nicht nur anbietet, sondern regelrecht abverlangt. Interstellar hat dafür viel zu viel Furcht vor der Leerstelle, vor dem, was jeder Zuschauer aus dem Film machen könnte – oder eben nicht. Um ja niemanden zu verwirren, verabreicht der Film brav Erklärungen, wenn sie gebraucht werden und versucht durch allerlei Techno-Palaver, wie es die Crew des Raumschiffs Enterprise nicht besser hätte aufsagen können, eine Art wissenschaftliche Legitimität aufzubauen. Wie viel davon (theoretischer) Fakt und was Fiktion ist, ist schwer zu sagen, denn es reicht Interstellar voll und ganz, sich im Vagen, im Ungefähren zu bewegen und dies als ausreichend zu verkaufen. So findet alles innerhalb der Narrative eine Begründung, eine Auflösung, und sei sie noch so vorhersehbar (das Rätsel um die Macht, die das Wurmloch „platziert“ hat, ist besonders plakativ und dürfte nicht nur für Genrefans ziemlich leicht lange vor Filmschluss zu erraten sein). So wird Interstellar auf dieser Ebene nichts Halbes und nichts Ganzes, weil er einerseits die Interpretation zu sehr fürchtet, zum anderen gleichzeitig zu hanebüchene und einfach zu verstehende Erklärungen anbietet. Strukturell ist Interstellar genau der richtige Film für Leute, die meinen, Inception wäre ein extrem verschachteltes, schwierig zu verstehendes Werk oder denen die Symbolik in The Dark Knight Rises nicht plakativ genug war.

Interstellar ist zudem an entscheidenden Stellen zu kurz und schafft es trotzdem, 2 ½ Stunden Laufzeit in die Waagschale zu werfen. Entscheidungsfindungen werden abgekürzt, eine ganzheitliche Betrachtungsweise konsequent ausgeblendet (man sieht ausschließlich die USA im Niedergang und auch die Mission ins All ist eine reine NASA-Angelegenheit und nicht etwa eine Teamangelegenheit wie die Erdverteidigung im unterschätzten Pacific Rim) und für einen Film, in dem das Konzept der Zeit eine sehr wichtige, ja zentrale Rolle spielt ist der Film nicht gut darin, das Vergehen selbiger erfahrbar zu machen. Auch hier bleibt der Film sehr oberflächlich, von der Weigerung einer globalen Schildrung der Menschheitssituation ganz zu schweigen (MRTs wurden abgeschafft? Bitte?).

Was bleibt? Interstellar verfehlt auf jeden Fall sein Ziel, in die Fußstapfen der großen Vorbilder zu treten, dafür ist er inhaltlich zu unausgegoren und schielt zu sehr auf eine unbedingte Befriedigung möglichst vieler Zuschauererwartungen, anstatt das Risiko eines wirklich herausfordernden Films zu suchen. Interstellar ist ein Mainstream-2001, auch wenn er selbstredend immer noch weit entfernt von den Spaß-Science-Fiction-Welten eines Star Trek-Reboots ist. Doch der Film geht zu sehr auf Nummer Sicher, sonnt sich etwas zu sehr in der Gewissheit, zumindest mehr Gesprächsstoff als die nächstbeste Space Opera zu bieten und bleibt so hinter seinen Möglichkeiten zurück. Interstellars handwerkliche Qualität ist teilweise atemberaubend, sein Inhalt wird der Prämisse und vor allen den geschürten Erwartungen nicht gerecht. Die Zeit wird, ähnlich wie beim von der Intention ähnlich gelagerten Tree of Life, zeigen, ob Nolans love child auch im Hinblick auf die starke Konkurrenz von Zemeckis und Kubrich das Zeug zum Klassiker hat.




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